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Ukraine Überleben an der Frontlinie

Selbst am Tag hält sie die Fensterläden fest verriegelt. In Katjas Haus und Hof muss man immer damit rechnen zur Zielscheibe zu werden, denn gleich hinter dem Dorf hintern den Hügeln lauern prorussische Separatisten. Ihre Scharfschützen nehmen das ukrainische Dorf Zhowanka regelmäßig ins Visier.

Von: Nicholas Conolly / Mykola Berdnyk

Stand: 11.02.2018 | Archiv

Einschusslöcher mit Blick auf Haus in Zhowanka | Bild: BR

Katja lebt seit fast vier Jahren mit diesem Krieg, der schon mehr als 10.000 Opfer gefordert hat. Die 27-Jährige nimmt uns mit in ihr Haus. Hier lebt die alleinerziehende Mutter mit ihren drei Kindern. Das jüngste ist gerade anderthalb, Spielkameraden gibt es keine: die anderen Familien sind längst weggezogen. Wir fragen, ob sie nicht Angst hat, wenn hier jeden Tag geschossen wird:

"Wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Angst. Wir sind es einfach gewöhnt. Man geht aus der Tür raus und weiß sofort mit welcher Waffe geschossen wird. Ob man sich verstecken muss oder nicht."

Jekaterina Shumyn, Einwohnerin von Zhowanka

Jekaterina Shumyn im Schlafzimmer

Am Anfang, so erzählt sie uns, versteckte sich die Familie noch bei Angriffen im Keller. Seitdem auch der Keller beschossen wurde, bleiben sie einfach im Haus:

"Wir halten uns hier auf, schlafen tun wir auch hier. Von der Seite her schützt uns die Küche, von der anderen Seite gibt es kaum mal was. Hier schläft meine Mutter, hier meine Tochter Diana und ich schlafe hier mit den zwei Kleinen."

Jekaterina Shumyn

Ohne Hilfe von außen könnten die Menschen in Zhowanka nicht überleben. Das Dorf ist auf mehreren Seiten von bewaffneten prorussischen Separatisten umgeben. Zurück in das von der ukrainischen Regierung kontrollierte Gebiet führt nur eine einzige Straße. Die Bewohner sind auf Hilfslieferungen angewiesen. Tatjana Koschel und ihr fünfköpfiges Team nehmen den gefährlichen Weg in das Kriegsgebiet auf sich, um die Bedürftigen mit Lebensmitteln, Kleidung und Decken zu versorgen.

Seit hier der Krieg vor drei Jahren ausbrach, fahren keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr. Der nächste Supermarkt ist mehrere Stunden Fußweg entfernt. Für die 140 meist älteren Einwohner von Zhowanka unerreichbar.

"Das Dorf ist abgeschnitten; die Menschen hier haben kaum Möglichkeiten rauszukommen. Das hier ist kein Leben. Die Menschen überleben nur dank ihrer Gärten und dem, was sie anbauen können."

Tatjana Koschel, Koordinatorin, NGO Proliska-Majorsk

So ergeht es hunderten Zivilisten, die notdürftig von ukrainischen Hilfsorganisationen und dem UNHCR versorgt werden. Wir verlassen das Dorf in Richtung Front. Ab hier gibt es nur noch Ruinen und Schützengräben, die meisten von ihnen kaum tief genug, um aufrecht darin stehen zu können. Zwei ukrainische Soldaten halten hier Wache: Vater und Sohn:

"Natürlich mache ich mir Sorgen um ihn, aber so sehe ich ihn zumindest jeden Tag. Hier wird schon geschossen, aber meistens nachts. Am Tag ist es ruhiger, aber es passiert schon was."

Der Vater

Jelena Bychowaja

Wenige Meter von hier entfernt lebt die Rentnerin Jelena Bychowaja. Tatjana bringt ihr die Lebensmittel persönlich vorbei. Vor wenigen Monaten traf eine Grad-Rakete das Haus der alten Frau. Sie war zuhause als es passierte:

"Hier schlug die Rakete rein, es war ein Volltreffer."

Tatjana Koschel, Koordinatorin Hilfsorganisation Proliska-Majorsk

Es blieb aber nicht bei dem einen schweren Einschlag:

"Ein anderes Mal schlug was im Garten ein, direkt unter meinen Fenstern; weitere zwei im Vorgarten; die Schuppen haben sie komplett zerstört. Auf der anderer Straßenseite gab’s elf Einschlaglöcher."

Jelena Bychowaja, Rentnerin

Den Winter verbringt Jelena trotzdem alleine in ihrem Haus. Sie harrt aus in diesem Krieg, ohne Hoffnung, dass er bald vorbei ist, genau wie Katja. Sie zeigt uns, was von ihrem Gemüsekeller übriggeblieben ist, in dem sie sich früher versteckt haben, und trotzt der Verzweiflung:

"Ich will nicht, dass meine Kinder Angst bekommen. Ich sage ihnen, dass sie keine Angst haben sollen. Wenn hier geschossen wird, hole ich sie rein ins Haus und wir spielen dann Verstecken."

Jekaterina Shumyn

Katja will in ihrem Dorf ausharren, erzählt sie uns, trotz der tödlichen Gefahr für sich und ihre Kinder:

"Wenn ich was Eigenes hätte, eine eigene Wohnung, dann würde ich sofort weggehen. Aber bloß zu Gast sein, immer dankbar sein müssen, das will ich nicht."

Jekaterina Shumyn

Noch ist es möglich, das Leben in Zhowanka, dank Helferinnen wie Tatjana, ein Leben an der Front ohne Perspektive auf Frieden.


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