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Weißrussland Lukaschenkos Spagat

Weißrussland grenzt sich vom großen Nachbarn im Osten ab, jetzt auch sprachlich: mit dem Belarussischen wird Flagge für das eigene Land gezeigt.

Von: Ina Ruck

Stand: 03.02.2019 | Archiv

Belarussischkurs | Bild: BR

Sie treffen sich montags, in einer Kneipe in der Minsker Altstadt. Wer einen guten Platz will, kommt schon eine Stunde vorher. Voll wird es immer. Zum Auftakt gibt’s heute ein Lied von Paul McCartney, frisch übersetzt ins Belarussische. Und dann: Grammatik, die eigene Sprache neu lernen, denn bis heute ist Belarussisch kaum verbreitet, galt lange gar als Sprache der Opposition, weil der Präsident lieber russisch spricht. In den Schulen wird es zwar unterrichtet, doch im Alltag sprechen fast alle russisch:

"Es gibt so wenig Gelegenheit, belarussisch zu reden. In meinem Umfeld können es nur wenige richtig. Hier kann man die Sprache hören, und man kann das Sprechen üben."

Teilnehmer

Hleb Labadsenka

Die Kurse sind privat organisiert, es gibt sie im ganzen Land. Die Leute rennen uns die Bude ein, sagt der Initiator:

"Wir haben schon vor dem Krieg in der Ukraine angefangen. Es ist nicht so, dass die Leute nur deswegen hier sind, aber der Krieg hat vielen Angst gemacht und er hat Interesse an der Sprache geweckt, damit nicht morgen einer kommt und sagt: 'Ihr seid doch alle Russen, wir holen euch zurück.'"

Hleb Labadsenka, Blogger, Initiator Mowa Nanowa

Lukaschenko und Putin

Die Annexion der Krim hat auch Belarus erschreckt und erst recht seinen Präsidenten. Alexander Lukaschenko, treuer Freund Russlands, betont in letzter Zeit auffällig deutlich die Eigenständigkeit seines Staates, selbst an Weihnachten:

"Allen, die uns Schlechtes wollen, sei gesagt, dass wir nie wieder unter der Knute stehen werden. Wir sind ein stolzes, unabhängiges, tolerantes und sehr gutmütiges Volk."

Alexander Lukaschenko, Präsident Belarus

Dass Moskau sich nun auch Belarus einverleiben wolle, das ist das neueste Schreckgespenst in Minsk. Schon seit Jahren gibt es einen Vertrag beider Länder für einen gemeinsamen Staat. Bloß war‘s bislang nicht weit her damit. Doch es gibt Anzeichen, sagt der Politologe Waler Karbalewitsch, dass Moskau die Vereinigung jetzt vorantreibt:

"Das Maximum, der gemeinsame Bundesstaat, ist jetzt nicht zu erreichen. Aber man kann das Minimum versuchen, und das machen sie gerade: sie kürzen die Subventionen und knüpfen weitere Wirtschaftshilfe zum ersten Mal an die Frage, ob Belarus bereit ist zum weiteren Zusammenwachsen, zur Vereinigung mit Russland."

Walter Karbalewitsch, Analytisches Zentrum Strategia

Tatsächlich schickt Moskau schon seit Jahren Gas und Öl zum Billigtarif – Subventionen in Milliardenhöhe. Doch beim Erdöl hat es diese Sonderkonditionen jetzt gekappt. Ein schwerer Schlag für das belarussische Wirtschaftsmodell. Denn das sah bislang so aus: die beiden Raffinerien importierten billiges Rohöl und exportierten mit viel Gewinn die Ölprodukte.

Gleich zweimal war Lukaschenko im Dezember im Kreml, um über das Öl zu reden – vergeblich. Auch das Geschenk half nichts: vier Sack Kartoffeln aus Belarus, mit Kochanleitung.
Das Ganze wirkte wie eine kleinlaute Entschuldigung: Lukaschenko braucht Putins Wohlwollen. Und erst Tage zuvor hatte er noch ziemlich forsch gesagt, was aus seiner Sicht hinter der neuen Öl-Politik steckt:

"Ich kann zwischen den Zeilen lesen. Ich verstehe die Anspielung. Man kann es auch gleich aussprechen: 'Ihr kriegt von uns das Öl. Aber dann vergesst bitte auch euer Land und werdet ein Teil von Russland.'"

Alexander Lukaschenko

Fjodor Lukjanow

Auch in Moskau übrigens spekuliert man über eine mögliche Vereinigung. Es gibt wilde Gerüchte: Weil Putin in Russland laut Verfassung nicht nochmal kandidieren kann, wolle er den Gemeinschaftsstaat – und dann eben dort Präsident werden. Völliger Unsinn, sagt der Politologe Fjodor Lukjanow:

"Diese Idee gibt es seit Jahren. Und sie ist absolut illusorisch. Wenn denn Putins Zukunft geregelt werden soll, dann braucht es bessere Pläne. Und was die Vereinigung betrifft, da muss man einfach nur den bisherigen Weg weitergehen, denn der bindet Belarus sowieso unweigerlich immer enger an Russland."

Fjodor Lukjanow, Hochschule für Wirtschaft, Moskau

Lukaschenko zeigt Putin sein Heimatdorf. Es ist eine seltsame Beziehung zwischen den beiden. Alexander Lukaschenko regiert seit einem Vierteljahrhundert – länger als jeder andere europäische Staatschef. Und all diese Jahre schon laviert er zwischen demonstrativer Freundschaft zu Moskau und nötiger Distanz. Denn zu viel Nähe bedeutet Machtverlust. Und gleichzeitig weiß er, dass nur Moskau seine Macht garantieren kann.

Zuhause herrscht Lukaschenko mit harter Hand, viele seiner Gegner sind im Exil. Wahlen werden regelmäßig nicht vom Westen anerkannt, Opposition wird unterdrückt. Dennoch – viele hier sind für ihn: er garantiert Stabilität, sagen sie. Und neuerdings sind Dinge möglich, die noch vor ein paar Jahren undenkbar waren: Dieser Laden für belarussische Souvenirs zum Beispiel. Solch nationale Symbolik galt wie die Sprache lange als verdächtig, als Opposition gegen Lukaschenkos Politik der Russifizierung.

Pawel Belawus

Im Moment läßt er uns machen, sagt Pawel Belawus. Aber das kann sich wieder ändern. Bei Lukaschenko weiß man nie:

"Und trotzdem: wenn ich wählen kann zwischen einem kleinen armen Belarus mit einem ewigen Lukaschenko oder einem riesigen, armen Russland mit einem ewigen Putin, dann bitte Belarus und Lukaschenko. Den kennen wir."

Pawel Belawus, Projekt Symbal.by

Vor den Toren von Minsk entsteht mit Geld aus China ein riesiger Industriepark. Die Abhängigkeit von Russland wird er ein wenig verringern. Dennoch – ohne Subventionen aus Moskau käme Belarus nicht klar. Es bleibt fest in russischer Hand – auch ganz ohne Vereinigung.


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