Europa Nach dem Anschlag in Paris
Montag: Mit einer Schweigeminute gedenkt Europa der Opfer von Paris.
Inzwischen sind es mindestens 130 Menschen, die bei den Attentaten starben; viele kämpfen in den Kliniken der Stadt noch immer um ihr Leben.
In Paris marschiert das Militär auf. Präsident Hollande wendet sich an die Öffentlichkeit:
"Was sich ereignet hat, war ein Kriegsakt. Ausgeführt von einer terroristischen Armee, einer Dschihadistenarmee gegen Frankreich."
François Hollande
Französische Jets starten in Richtung Syrien, um dort islamistische Stellungen zu bombardieren. Der Flugzeugträger Charles de Gaulle wird ins östliche Mittelmeer verlegt. In Brüssel bittet Frankreichs Verteidigungsminister Le Drian die EU-Partner um Hilfe.
Paris beruft sich auf Artikel 42 des EU-Vertrages. Darin heißt es:
"Wird ein Mitgliedsstaat angegriffen, schulden ihm die anderen alle in ihrer Macht stehende Unterstützung."
Artikel 42 des EU-Vertrages
Klar ist: Frankreich erwartet auch militärischen Beistand und will die Details in bilateralen Gesprächen klären. Beispielsweise könnte die Bundeswehr Frankreich bei seinen Auslandseinsätzen entlasten. Deutschland setzt außerdem auf weitere Unterstützung der kurdischen Peschmerga.
Beim G20-Gipfel in der Türkei gibt es zudem eine Annäherung des Westens an Russland.
Am Dienstag im Kommandozentrum der russischen Streitkräfte: Präsident Putin weist seine Flottenkommandeure im Mittelmeer an, den französischen Flugzeugträger als Verbündeten zu betrachten.
Die Fahndung
Klar ist mittlerweile: Die meisten Attentäter stammen aus Frankreich und Belgien – nicht aus dem arabischen Raum.
In Brüssel gibt es schon am Samstag mehrere Razzien und Festnahmen. Die Spur hierher ergab sich durch Augenzeugen, die in der Nähe der Anschlagsorte in Paris ein Auto mit belgischem Kennzeichen bemerkt hatten.
Der französischen Polizei aber unterläuft eine Panne: An der Grenze zu Belgien hält sie einen der mutmaßlichen Attentäter an und lässt ihn ziehen. Es war Salah Abdeslam aus dem Brüsseler Viertel Molenbeek. Sein Bruder Brahim war ebenfalls am Attentat beteiligt. Er hatte sich vor einem Pariser Café in die Luft gesprengt.
In Molenbeek betrieben die Brüder Abdeslam selbst ein Lokal, das von den Behörden Anfang November geschlossen wurde – wegen schwunghaften Drogenkonsums und Handels; davon später mehr.
Auch in Deutschland wird nach dem flüchtigen Salah gefahndet. In einem Supermarkt in Alsdorf bei Aachen will ihn eine Zeugin erkannt haben. Mehrere Personen werden festgenommen; am Ende erweist sich alles als falscher Alarm.
Dienstag: Am Abend sollen zwei Fußballspiele ein Zeichen gegen den Terror setzen.
Unter schweren Sicherheitsvorkehrungen spielt im Londoner Wembley-Stadion die französische Nationalmannschaft gegen England. Zehntausende Briten und Franzosen singen gemeinsam die Marseillaise.
Am gleichen Tag in Hannover: Vor dem Spiel wird jeder Sitzplatz einzeln auf Sprengstoff untersucht. Selbst die Kanzlerin will ins Stadion. Noch am Nachmittag schließt die Polizei Hinweise auf eine konkrete Bedrohung aus. Erst als die Fans schon am Stadion stehen – die Wende: Das Spiel fällt aus.
Gerüchte machen die Runde. Wie real die Gefahr wirklich war, erfährt die Öffentlichkeit nicht.
Mittwoch: In Frankreich gehen die Sicherheitsbehörden weiter gegen Verdächtige vor. Die Suche konzentriert sich auf den mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge Abdelhamid Abaaoud. Sicherheitskräfte vermuten ihn im Pariser Vorort Saint Denis. Bei einer Razzia kommt es zu schweren Gefechten. Ein Sprengstoffgürtel explodiert. Mehrere Menschen sterben. Die Identität eines Toten bleibt lange offen.
Plötzlich taucht der Eigentümer der Wohnung auf: Völlig cool erklärt er den Journalisten, dass er aus reiner Gefälligkeit den Gesuchten seine Wohnung überlassen habe und sie nicht weiter kenne. Er habe keine Ahnung woher sie kämen. Direkt im Anschluss wird er festgenommen.
Donnerstag: Vor der französischen Nationalversammlung erklärt Premier Valls:
"Heute wissen wir: Abaaoud, das Gehirn dieser Attentate, eines der Gehirne der Attentate befindet sich unter den Toten."
Manuel Valls, Ministerpräsident Frankreich
Zur Ruhe kommt Frankreich dennoch nicht: Die Sicherheitsgesetzte werden verschärft – der Ausnahmezustand bis Februar verlängert: Wer verdächtigt wird, die öffentliche Sicherheit zu gefährden, kann unter Hausarrest gestellt werden, sein Ausweis darf eingezogen werden. Bei Hausdurchsuchungen dürfen die Ermittler künftig auch ohne richterlichen Beschluss Computerdaten sicherstellen. Polizei, Justiz und Zoll werden verstärkt – um 8500 Beamte.
Die Zustimmung in der französischen Bevölkerung ist groß. Auch aus den Nachbarländern kommt kein Widerspruch. Die Terrorwarnung in Brüssel gestern zeigt noch einmal: Europas Bürger fürchten um ihre Sicherheit.