Europa-Reportage 22.4.2018 Frühlingserwachen in Georgien
Georgien, das Land am östlichsten Rand Europas, scheint wie das Paradies in Miniaturformat: Als Land zwischen West und Ost, zwischen Tradition und Moderne auf einer Fläche gerade mal so groß wie Bayern oder Irland scheint alles geboten zu sein: Alpine Gipfel des großen Kaukasus genauso wie sonnenverwöhnte Täler mit bestem Wein und weiten Stränden am Schwarzen Meer.
Erhaben thront die Statue Mutter Georgiens mit einer Schale Wein und Schwert für Freund oder Feind auf dem Gebirgskamm hoch über Tbilisi. Wir kommen als Freunde und wollen mit dem 27-jährigen Reiseführer Lasha das märchenhafte Georgien nicht erobern, sondern erkunden und uns von der sagenumwobenen Schönheit des Landes und seiner Gastfreundschaft verführen lassen.
Unterwegs in der Altstadt
Über Kopfsteinpflaster entdecken wir die Altstadt: Hinter jeder Ecke eine architektonische Überraschung, ein großer Teil steht unter Denkmalschutz. Der Charme von Tbilisi – eine Mischung aus mediterranem und orientalischem Flair. Nach wie vor finden sich hier die unterschiedlichsten Kulturen. Viele Völker haben in der Geschichte Georgiens ihre Spuren hinterlassen: Perser, Griechen, Römer, Tartaren, Mongolen, Araber, Armenier, Juden, Türken, Kurden und schließlich die Russen, sind nur einige, die die Stadt und ihr Lebensgefühl prägten.
Lasha, der vor sechs Jahren nach Deutschland kam, um dort zwei Saisonen in der Bundesliga Rugby zu spielen, ist wie offensichtlich jeder Georgier ein Patriot. Wir sehen die Zeugnisse der Geschichte eines Landes, das bereits im Jahre 337 durch die heilige Nino christianisiert wurde und laufen durch den ältesten Stadtteil von Tbilissi:
"Das ist eigentlich so eine Multikulti-Stadt. In diesem kleinen Raum trifft man, sieht man nebeneinander Moschee, Synagoge, georgisch-orthodoxe Kirche, armenische Kirche, Feuertempel für Zarathustra – das ist eigentlich alles multikulti und es leben viele Nationen auf diesem kleinen Raum und die verstehen sich sehr gut. Und der Legende nach, als der Gott die ganze Welt verteilt hat, kamen die Georgier zu spät. Und dann fragen sie den Gott: 'Okay, gib uns auch ein Stück Land!' Aber es war kein Land mehr übrig. Und die Georgier haben angefangen zu feiern, auf die Völker zu trinken und die waren eigentlich am Glücklichsten von diesen Menschen. Deswegen hat der Gott beschlossen den Georgiern das Stück Land zu geben, das er für sich reserviert hatte. So haben die Georgier das Paradies bekommen und wir verstehen Georgien als wäre es das Paradies und ein großes Geschenk von Gott."
Lasha Motsonelidze, Fremdenführer
Ein kleines Land
Das "Land Gottes", so groß wie Bayern an der Schnittstelle zwischen Asien und Europa, ist eine Art Landbrücke zwischen dem Schwarzen und Kaspischen Meer und kann mit unterschiedlichsten Landschaften aufwarten, von den Stränden am Schwarzen Meer bis zu den wilden Bergregionen des Kaukasus. In Georgien, dem Sehnsuchtsland am südöstlichen Rand Europas, sind Traditionsbewusstsein und der tiefverwurzelte Glaube auch bei den jungen Menschen Teil ihres Alltags. Bereits im 12. Jahrhundert wurde hier im Kloster von Ikalto neben Theologie und Philosophie auch Weinkultur gelehrt. Alles, was Mutter Natur zu bieten hat – neben dem Wein betrachten die Georgier auch das Essen als Lebenselixier. Die Qualität und die regionale Abwechslung der georgischen Küche waren schon zu Sowjetzeiten legendär und beliebt. Zudem sind die Georgier für ihre Gastfreundschaft bekannt, nirgendwo sonst soll leidenschaftlicher gegessen und gefeiert werden. Lasha fährt mit uns über Land, fernab der Hauptstadt ist alles von einer geradezu beschaulichen Idylle. Das Leben wird von den Jahreszeiten bestimmt seit Generationen. Dabei leben von den gerade mal 3,7 Millionen Einwohnern Georgiens rund ein Drittel in der Hauptstadt. Georgien, jahrtausendealte Zivilisation mit reicher Kultur; ein fruchtbares Land für Kunstsinnige und Künstler.
Hipp in Tbilisi
Der deutsche Unternehmer und Künstler Claus Hipp ist nicht nur als Honorarkonsul, sondern durch seine Lehrtätigkeit an der Kunstakademie Tbilisi seit vielen Jahren mit dem Land verbunden. Ungezwungenes Arbeitsessen mit Giorgi Gugushivili, ebenfalls bekannter Maler und Leiter der Kunstakademie:
"Im Münchner Behördenorchester spiele ich zweite Oboe und der erste Oboist ist ein Georgier, der mich mal gefragt hatte, ob ich Milchnahrung spenden kann für ein Kinderheim. Das habe ich dann gemacht. Dann haben die Georgier für mich eine Ausstellung organisiert für meine Bilder und dann hat der Präsident der Kunstakademie mich angesprochen, sie hätten 70 Jahre sozialistischen Realismus malen müssen, sie hätten gern jemanden, der auch etwas anderes unterrichtet. Und ob ich bereit wäre, dort zu unterrichten. Und dann habe ich angefangen, dort zu unterrichten und dann ist die Universität dazugekommen, und später dann die Technische Universität. Und so bin ich hier seit Jahren aktiv."
Prof Dr. Claus Hipp, Unternehmer und Maler
Prachtbau Stadtpalais
Nach dem Universitätsseminar Wirtschaftsethik von Unternehmer Prof. Hipp besuchen wir eine weitere Wirkungsstätte von ihm, die Kunstakademie.
Dort werden wir schon von deren Rektor, Giorgi Gughushivili, empfangen. Zusammen mit Lasha können wir die Schätze des ehemaligen Stadtpalais, das sich einer aufwändigen Restaurierung unterziehen muss, in Augenschein nehmen. Das Hauptgebäude wurde bereits 1856 entworfen. Die Mehrzahl der Säle und Innenräume wurde dann aber von einem in Tiflis arbeitenden iranischen Baumeister ausgestaltet. Opulente Wände und Decken, die den Reichtum vergangener Zeiten erahnen lassen. Der Rektor führt uns durch den Spiegelsaal, der bis 1937 auch als Ballettstudio genutzt wurde.
Gastland der Buchmesse
Eine Chance für mehr Aufmerksamkeit für Georgien, seine bewegte Geschichte, Kunst und Literatur bietet die Frankfurter Buchmesse, auf der Georgien 2018 Gastland ist. Der bekannte Journalist, Hochschuldozent, Schauspieler und Schriftsteller Lasha Bakradze kennt die Seele seines Volkes und die Wünsche und Erwartungen an den Westen. Viele junge Georgier erhoffen sich von Europa mehr Chancen für ihre Zukunft:
"Nicht nur ich, sondern viele Leute, die mit der Frankfurter Buchmesse zu tun haben, möchten Georgien als ein Land zeigen, das für die Zukunft offen ist, nicht nur die Vergangenheit des Landes zeigen, die auch interessant ist, sondern auch jetzt, wo das Land sich in einer Phase befindet, wo sich viel verändert, nicht nur wirtschaftlich und politisch, sondern auch in den Köpfen der Menschen."
Lasha Bakradze, Autor
Unter dem Motto "Georgia – Made by Characters" präsentiert sich Georgien auf der Frankfurter Buchmesse: Einzigartig das Alphabet mit den 33 kunstvoll geschwungenen Buchstaben.
"Ein sehr wichtiger Identitätsfaktor für Georgien ist, glaube ich, wenn man mich fragt, die Schrift. Was zum Beispiel in Westeuropa oder Europa nicht der Fall ist, weil Schrift nicht an ein Land gebundenes ist. Das ist die lateinische Schrift in Europa. Und für uns hier, die Georgier und unsere Nachbarn, die Armenier, wir haben eine eigene Schrift und Schrift spielt eine ganz große Rolle."
Lasha Bakradze, Autor
Ein Puppentheater
2011 wurde das Joseph-Hipp-Puppentheater gegründet. Das Theater hat zwei Gründerväter: Kunstprofessor Giga Lapiashvili und Unternehmer, Maler, Kunsterzieher und hier in der Funktion des Hochschulprofessors an der Kunstakademie und Mäzens, Claus Hipp:
"Mein Großvater, nach dem dieses Theater hier benannt ist, der war schon Puppenspieler und mein Vater auch und insofern habe ich von klein auf das schon mitbekommen."
Claus Hipp
Die Studenten fertigen selbst die Puppen und nähen die Kostüme.
"Die Möglichkeiten, Bühnenerfahrungen zu sammeln, sind begrenzt in Georgien, weil es nicht genügend Theater gibt. Aber auf diese Weise kann jeder eine Rolle mal auf der Bühne spielen mit allem, was dazu gehört, mit Lampenfieber und die Bewegungen mit dem Partner koordinieren und so Bühnenerfahrung sammeln und auch in anderen Ländern zu spielen, das ist sehr begehrt."
Claus Hipp
Mit ihren Stücken gehen die Studenten auf Tour – auch in Deutschland. Was spielerisch aussieht, ist für Claus Hipp, den Unterstützer des Puppentheaters, eine lohnende Investition in die Zukunft der georgischen Jugend.
Austausch mit dem Ausland
Ein Hot Spot ist auch das Fabrika. In einer ehemaligen sowjetischen Näherei in der historischen Altstadt von Tbilisi, bedecken nun Botschaften der Jugend in kreativem Desig. die alten Betonwände Hier ist ein beliebter Treffpunkt zum Austausch und zum Abhängen. Mit Auslandserfahrungen erhöhen sich die Chancen auf einen guten Job in Georgien. Wenngleich die jungen Georgier auch mal gerne Westluft schnuppern, sind die meisten doch überzeugte Patrioten. Auch die Mode spiegelt das multikulturelle Gesicht Georgiens wieder. Viele kulturelle Einflüsse finden sich schon seit je her in der kaukasischen Metropole, die durch die Seidenstraße zum Schnittpunkt der großen Handelsrouten wurde. Die Vielfalt und Fülle Georgiens lässt sich auch erschmecken:
"Das ist so ein typischer georgischer Bauernmarkt. Den gibt es jeden Tag. Es gibt alles: Obst, Fisch, Gemüse, Käse und Fleisch und das jeden Tag von frühmorgens bis abends. Und die Einheimischen kommen hier einkaufen. Es ist alles bio."
Lasha Motsonelidze, Fremdenführer
Probieren ist erlaubt und erwünscht. Schon zu Sowjetzeiten war die gute georgische Küche beliebt. Das kleine Land von der Größe der Schweiz bietet eine ungeahnte Fülle an Flora und Fauna. Um die Landwirtschaft zu kultivieren, kamen vor zwei Jahrhunderten Schwaben hierher.
Deutsche Einflüsse
Universitätsprofessor Oliver Reisner gehört dem Verein zur Bewahrung des deutschen Kulturerbes im Kaukasus an. Er zeigt uns die ehemaligen Häuser der schwäbischen Siedler und Anhänger des protestantischen Pietismus, die eine Hungersnot und ihr Glaube in den Kaukasus trieb. Für die Nachkommen der Deutschen verschärfte sich die Lage dramatisch mit dem Ersten und zunehmend mit dem Zweiten Weltkrieg, als die Deutschstämmigen nach Sibirien zwangsumgesiedelt wurden. Oliver Reisner, Lehrstuhlinhaber für Europäische Studien an der Ilia Universität, sieht bei seinen Studenten eine große Affinität zu Deutschland und Europa:
"Erwartungsvoll, das heißt eine Beitrittsperspektive. Nicht in der nahen Zukunft, da ist man realistisch. Aber das man gesagt bekommt, ihr könnt irgendwann mal Mitglied der Europäischen Union werden, wenn ihr eure Hausaufgaben macht und da gibt es einiges zu tun. Vor allem die Master-Studenten freuen sich darauf, über das Erasmus-Programm für ein oder zwei Semester an eine europäische Hochschule, unter anderem auch gern nach Deutschland zu kommen, um dort zu studieren."
Oliver Reisner
Auch viele junge Menschen aus Westeuropa führt der Weg nach Georgien. Sie fühlen sich von der Aufbruchstimmung im Land angezogen, die sich auch in der Club- und Festival-Kultur ausdrückt. Ähnlich wie die Musik, gehört die Tradition des Tanzes zu Georgien und ist auch bei Studenten alles andere als aus der Mode. Tanz und Musik gehören auch zu jeder Essensrunde in Gesellschaft. Wir dürfen die sprichwörtliche georgische Gastfreundschaft erleben. Denn Lasha hat uns zu seiner Familie nach Hause eingeladen.
Lashas Mutter Ketie erwartet uns bereits. Seine Studienfreunde, die beide inzwischen in einem Hotel arbeiten, wollen mit uns feiern. Anstoßen mit eigenem Wein vom Hof der Großeltern. Es wird ein langer Abend mit Trinksprüchen und Gesängen auf den Frieden und die Freundschaft.
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Stephen Walter, Sonntag, 29.April 2018, 17:57 Uhr
2.
Wir durften Lasha bereits im Jahr 2015 als Reiseleiter in Georgien kennenlernen. Sein Enthusiasmus war ansteckend! Georgien ist noch toller als hier beschrieben.
Am besten gleich hinfliegen!
Nino, Dienstag, 24.April 2018, 21:31 Uhr
1.
Sehr gute Reportage ueber Georgien und der Fremdenfuehrer Lasha macht sehr guten Eindruck, er ist sehr guter Botschafter seines Landes.