Europa-Reportage Verzaubertes Island
Kräftige Männer, die bei der Fußball-WM den Gegnern mit Schlachtrufen das Fürchten lehrten, Pferde, die noch einen zusätzlichen Gang einlegen, ein unaussprechlicher Vulkan, der den Flugverkehr der Welt lahmlegt und eine Regierung, die schon mal ein Tunnelprojekt absagt, weil dort Elfen leben – das ist kein Märchen, sondern Island.
Vorweihnachtliches Reykjavik – die Hauptstadt Islands und die am nördlichsten gelegene Hauptstadt der Welt, empfängt den Besucher farbenfroh. Mit gut 120.000 Einwohnern lebt mehr als ein Drittel der Isländer in der Hauptstadt. Jetzt wird die Stadt mit Weihnachtsdekoration und Lichterschmuck rausgeputzt – für die anstehenden Festtage und die langen dunklen Nächte auf der Vulkaninsel. Doch wir lassen die boomende Stadt hinter uns, um in dieser besonderen Jahreszeit einen ganz anderen Zauber der Insel aufzuspüren.
Umgeben von Wiesen und Islandpferden: das Zuhause von Hlin, die eigentlich Christina heißt und mit 20 Jahren aus Deutschland, auch aus Liebe und Leidenschaft zu den Islandpferden hierherkam. Inzwischen hat sie die Hälfte ihres Lebens in Island verbracht, zusammen mit ihrem isländischen Mann und den gemeinsamen Kindern, der-13 jährigen Tochter Anna und dem 11-jährigen Sohn Vignir, den alle nur Wicki nennen.
In dem wenig besiedelten Land haben Nachbarschaftshilfe und Gastfreundschaft eine lange Tradition. Jeder Besucher soll sich gleich willkommen und wie zuhause fühlen:
"Pfannkuchen ist sehr traditionell in Island, weil das schnell geht. Denn wenn dann jemand zum Kaffee kommt und man hat keinen frischen Kuchen, dann machen wir ganz schnell Pfannkuchen."
Hlin
Seit der Fußball-Europameisterschaft wissen wir, dass die Wikinger-Nachfahren auch Fußball können. Und was war die Kraftquelle für Hlin?
"Es ist einfach diese Selbstverwirklichung, die man in Island erreichen kann, die mich reizt. Man kann seine Träume leben und dafür ist man natürlich auch bereit, mehr zu arbeiten. Und es ist hier natürlich auch viel leichter, Pferde zu halten. Es macht zwar viel Arbeit, aber es macht ja auch Spaß."
Hlin
Christliche irische Mönche waren wohl die ersten Menschen, die die Vulkaninsel besiedelten. Mit den Wikingern zogen im neunten Jahrhundert dann heidnisch-germanische Bräuche ein. Und nachdem sich die isländische Bevölkerung um das Jahr 1000 christlich taufen ließ, wurden die heidnischen Bräuche zwar offiziell nicht geduldet, doch toleriert.
"Island hat eine besondere Energie und das hat mich eigentlich von Anfang an gepackt und das ist sehr mystisch mit den Bergen und der Weite, den ganzen Elfengeschichten, Trollen und Geistergeschichten und das ist sehr faszinierend."
Hlin
Sage und Schreibe 60 Prozent der Isländer sollen an unsichtbare Wesen glauben. Vielleicht bringt das Überleben in einer unerbittlichen Natur den Stoff hervor, aus dem Sagen und Legenden entstehen? Jedenfalls zieht die Insel nicht nur eine wachsende Zahl von Touristen in ihren Bann. Zwischen den Städten Saudárkrókur und Blönduós mitten in den Bergen ist das Zuhause von Caroline Mende, die sich jetzt isländisch Karólina nennt.
Und an den dunklen Wintertagen in Island, an denen rund vier Stunden Tageslicht herrscht, wird das Eiland in eine ganz besondere, geheimnisvolle Stimmung gehüllt. Nicht jedermanns Sache, Diplom-Ingenieurin Karólina aber hat ganz bewusst diesen Weg eingeschlagen. Inzwischen ist sie Expertin für Islandschafe und deren Wolle. Und ob sie Wolle von ihren Schafen oder von benachbarten Höfen spinnt, Wolle nach Deutschland verkauft oder über das Naturprodukt und dessen Verarbeitung Seminare gibt – Karólina ist in ihrem Element:
"Ich bin in jeder Hinsicht glücklich und ich habe genau das, was ich möchte und was ich mir vom Leben erträumt habe, beziehungsweise so genau war der Traum gar nicht. Aber es ist genauso geworden, dass ich sagen kann: Gut so."
Karólina
Auch wenn Karólina zum befreundeten Schafbauern Sigursteinn fährt, dann begegnet ihr weit und breit kein Mensch. Der große Hof liegt mitten im Bergtal Svartárdalur, was so viel heißt wie enges, tiefes Tal umgeben von sanft ansteigenden Berghügeln.
Karolina darf einen Blick in den Schafstall werfen. Dort liegt schon von Sigursteinns großer Schafherde jede Menge hochwertiger Wolle parat. Karólina wird einige Säcke für den Weiterverkauf nach Deutschland mitnehmen.
Die nächste Stadt ist Saudárkrókur, mit rund 2600 Einwohnern die größte Stadt Nordwestislands. Die Menschen leben in erster Linie von Landwirtschaft und Tourismus. Fischfang, Schaf- und Pferdezucht sind hier in der Region die Einkommensquellen.
Im wilden Land hinter den Bergen sind diese magischen Wesen, Islandpferde genannt, die offensichtlich viele in ihren Bann ziehen und zu Neuisländern werden lassen: So wie Karólina, inmitten der Pferdeherde, die zur berühmten Saudarkrokur-Zuchtlinie gehört und offensichtlich in ihrem Element.
"Ich kann auf Augenhöhe einem Islandpferd begegnen und es nicht so, dass ich auf es aufpassen muss. Es ist umgekehrt, dass es auf mich aufpasst. Das war genau das, was mich von Anfang an fasziniert hat und bis heute der Reiz ist."
Karólina
Die Weite, die unberührte wilde Natur der Vulkaninsel zwischen schneebedeckten Bergen und Fjorden lässt der Fantasie freien Lauf und ist wohl so etwas wie Labsaal.
Geschichten, die fast zu schön sind, um wahr zu sein – einfach wie im Märchen. Doch wir haben die Menschen erlebt, die verzaubert sind von der unbezähmbaren Natur um sie herum. Naturgewalten, die den Volksglauben an geheime Wesen, die in Steinen und Felsen wohnen, sicherlich bestärken. Doch spätestens dann, wenn der Schnee die Berge überzuckert, glauben auch wir, dass wir in einem Märchen sind.
(Dieser Text ist eine stark verkürzte und redaktionell bearbeitete Fassung des Sendungsmanuskripts, das Sie hier unten vollständig herunterladen können.)
Wiederholung vom 11.12.2016
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