Frankreich Burgbau mit Methoden des Mittelalters
Das war vor 800 Jahren ein Baukran und das ein Lastwagen. Und das sind Bauarbeiter von damals. Nein, eigentlich sind es freiwillige Helfer, die sich nur jeden Tag so verkleiden.
Er zum Beispiel ist pensionierter Fernfahrer, und baut seit fünf Jahren begeistert mit, ohne einen Euro zu verdienen – im Gegenteil.
"Als ich als Kind mit meinen Eltern Schlösser besichtigte, sagten sie immer: 'Es ist unglaublich, was die damals gemacht haben. Heute wäre das nicht mehr möglich.' Und als ich dann dieses Projekt Guédelon sah, da habe ich mir gedacht: 'Schau an, es gibt ja doch Verrückte, die das schaffen.'"
Serge Gramont, freiwilliger Helfer
Streng mit den Techniken von damals entsteht seit 1997 hier in der Bourgogne eine mittelalterliche Ritterburg. Aus aller Welt kommen freiwillige Helfer, so auch die Passauerin Imme Oldenburg. Ihre stilechte Arbeitskleidung musste sie selbst mitbringen.
"Ja, heute geht’s los. Heute ist mein erster Tag. Und ich habe noch nicht gearbeitet. Die sind also noch ganz sauber und jungfräulich. Ich habe noch keine Ahnung, wo ich die einsetze. Man muss eine solche Tasche dabei haben, wo man alles verstecken muss. Meine Uhr habe ich schon abgenommen. Die darf natürlich auch nicht sein. Dann haben wir eine lange Liste bekommen, was wir machen müssen. Zum Beispiel unsere Sachen, die wir anziehen, die habe ich extra genäht. Also, wo die mich jetzt einsetzen, keine Ahnung. Ich habe natürlich meine Vorlieben. Ich würde wahnsinnig gerne zu den Steinmetzen gehen. Ob das klappt, weiß ich nicht."
Imme Oldenburg, freiwillige Helferin aus Passau
Vor der harten Arbeit bei den Steinmetzen schreckt die Kunsthistorikerin also nicht zurück. Hier werden gerade die Kalksteine, die als weiße Schmucksteine verwendet werden, auf Maß gebracht.
Noch komplizierter: Das Spalten der Blöcke. Um die Keile richtig zu setzen, muss man genau darauf achten, wie der Stein geschichtet ist. Das machen natürlich festangestellte geschulte Kräfte, nicht Anfänger wie unsere Passauerin.
Guédelon liegt direkt in einem mittelalterlichen Steinbruch. Ein Zugeständnis, das die Gründer eingegangen sind, um nicht mit Pferdekarren die modernen Straßen zu blockieren.
Zuschauer müssen gehörig Sicherheitsabstand halten, denn Guédelon ist kein Museum, sondern offiziell eine Baustelle. Ein einziger schwerer Unfall wäre katastrophal für das ganze Projekt.
Imme Oldenburg ist inzwischen bei den Maurern gelandet, erst nach drei Tagen Übung kam sie zu den Steinmetzen.
"Ich habe keine Ahnung von nichts. Ich habe zwei linke Hände, bin eigentlich jemand, der mit dem Kopf arbeitet. Ich werde jetzt also hier Mörtel reinfügen. Er wird mir zeigen, wie man Mörtel zwischen die Steine tut."
Imme Oldenburg, freiwillige Helferin aus Passau
In die Fugen, meint sie. Der Maurer weiß schon, welche Arbeiten für Praktikanten geeignet sind.
Stolz zeigen die Führer, was in den 17 Jahren Handarbeit schon alles entstanden ist. Die Kreuzgewölbe in den Turmzimmern waren besonders herausfordernd.
Und dann die zwei bis drei Meter dicken Mauern. Aber wie sollte die Ritterburg aus dem 13. Jahrhundert überhaupt aussehen?
Die Architekten von Guédelon suchten nach Beispielen in der Umgebung. Nur 15 Kilometer entfernt wurden sie fündig: Die Burg Ratilly wurde zum Vorbild. Eine genaue Kopie durfte Guédelon freilich nicht werden: Der heutige Besitzer von Ratilly wollte nicht eine Doublette von seiner Burg ganz in seiner der Nähe sehen.
Doch so weit ist Guédelon noch längst nicht. 2025 soll die Burg fertig sein.
Imme Oldenburg kämpft immer noch mit dem Mörtel. Sie ist froh, dass sie vorher ihr Französisch aufgefrischt hat. Trotzdem, so richtig zufrieden ist sie nicht mit ihrem Ergebnis, verglichen mit den fertigen Mauern ringsherum.
"Man sieht schon den Unterschied, ganz klar. Ich habe es aber nicht besser hingekriegt. Wenn man näher dran ist, sieht es besser aus, als von hier jetzt gerade. Da könnte man nochmal nachbessern."
Imme Oldenburg
Die Philosophie von Guedelon ist "erlebbare Geschichte". Mit wissenschaftlicher Akribie zeigen sie den Besuchern, wie im Mittelalter mit scheinbar einfachster Technik Großprojekte entstehen konnten. 300.000 Besuchern kommen pro Saison, der Eintritt kostet 12 Euro. Auch die Restaurants bringen Geld; zwischendurch muss man ja auch mal was essen. So kommt das nötige Geld zusammen.
Direktorin Maryline Martin ist stolz, im Unterschied zu den ersten Jahren heute ohne Zuschüsse auszukommen.
"Die Baustelle wird seit 15 Jahren komplett finanziert durch die Eintrittsgelder, die Shops und die Restaurants. Damit können die Gehälter der 70 festangestellten Mitarbeiter bezahlt werden. Die Baustelle trägt vollkommen sich selbst."
Maryline Martin, Direktorin der Burgbaustelle Guédelon
Nicht erwähnt hat sie, dass die vielen freiwilligen Helfer jeden Tag sogar noch sieben Euro bezahlen müssen, um überhaupt arbeiten zu dürfen. Aber die zahlen das gerne.
"Ich bin seit 1998 dabei, weil ich vom Mittelalter begeistert bin, besonders vom 13. Jahrhundert. Es ist ein auf der Welt einzigartiges Projekt. Ich möchte meine Spuren irgendwo hinterlassen, damit da überall ein Teil von mir drin steckt."
Didier Simon, freiwilliger Helfer in Guédelon
Jeden Dienstagmorgen treffen sich die Festangestellten. Heute geht es um die Frage, ob die Tretradbaukräne wegen des hohen Besucherinteresses auch mal nur zur Schau laufen sollen. Aber das widerspricht ihrer wissenschaftlichen Philosophie. "Wir wollen kein Disneyland in Guédelon", meint der Holländer Hein Koenen.
"Was wir hier machen, ist wirklich pur. Wir arbeiten hier. Wir bauen hier. Wir machen keine Animationen. Wenn wir etwas benützen ist es, dass wir es in diesem Moment tatsächlich brauchen."
Hein Koenen, Pressereferent der Burgbaustelle Guédelon
Zum Beispiel Dachziegel, die werden wirklich gebraucht. Hier treffen wir auch wieder auf Imme Oldenburg. Auch wenn es noch nicht die Steinmetze sind, macht ihr der Job in der Ziegelei mehr Spaß als gedacht.
"Das ist wie Kuchenbacken. Den Hefeteig mache ich genauso."
Imme Oldenburg, freiwillige Helferin aus Passau
Die Platten sind für die zukünftigen Dächer der sechs Wachtürme.
"80.000 werden gebraucht. 80.000 für ganz Guédelon."
Imme Oldenburg, freiwillige Helferin aus Passau
In elf Jahren erst soll Guédelon fertig sein, so die Planer dieses Riesenprojekts der experimentellen Archäologie. Im Mittelalter stünde eine Burg wie Guédelon längst. Nicht nur rund 100 wie hier, sondern Tausende arbeiteten gleichzeitig auf solchen Baustellen. Überhaupt: Mit dem Fertigwerden haben die Erbauer ein echtes Problem.
"Was wir nachher mit der Burg machen wollen, wissen wir eigentlich gar nicht. Dann interessiert die Burg uns auch viel weniger. Es geht hier um den Bauprozess. Wir sind da, um zu bauen. Wir sind da, um den Leuten zu erklären, wie gebaut wurde, mit welchen Techniken, welche Werkzeuge sie benützten."
Hein Koenen, Pressereferent der Burgbaustelle Guédelon
Also, der Weg ist das Ziel: Nicht zu schnell arbeiten, sonst könnte die Burg zu früh fertig werden.