Georgien Vorbild für Korruptionsbekämpfung
Das war der Alptraum eines Autofahrers in Georgien: Von einer Polizeistreife einfach angehalten zu werden. Denn dann das hieß "Bußgeld" - für was auch immer: Und natürlich cash, ohne Quittung.
Und heute? Fast unglaublich: Dieser Polizist ermahnt: Telefonieren am Steuer sei verboten. Er verzichtet auf den Strafblock, kein Schmiergeld mehr.
"Wir haben eine sehr gute Polizei."
Eine Frau
"Selbstverständlich ist es besser geworden. Kriminalität gibt es nach wie vor. Da kann die Polizei nichts dafür. Aber die Polizisten stecken nichts mehr für sich ein."
Ein Mann
"Das war definitiv ein Schritt nach vorn. In sowjetischen Zeiten gab es die berüchtigte GAI, die durch und durch korrupt war."
Eine Frau
Rückblick: Tiflis vor rund 20 Jahren. Georgien war arm, die Schattenwirtschaft überall. Die Polizisten konnten nicht von ihrem winzigen Gehalt leben. Sie nutzten ihre Macht, verdienten vorwiegend durch Schmiergelder. Georgien gehörte zu den weltweit korruptesten Ländern - bis zur Rosenrevolution 2003. Das Volk hatte Korruption und Clanwirtschaft satt, vertrieb den noch aus Sowjetzeiten stammenden Präsidenten Eduard Schewardnadse.
Neuer Präsident wurde der prowestliche Michail Saakaschwili. Schon bei seinem Amtsantritt kündigte er der Korruption den gnadenlosen Kampf an. Eine Rosskur fürs ganze Land: Jeder musste plötzlich Steuern zahlen. Tausende korrupter Politiker oder Staatsbediensteter wurden unter Saakaschwili verhaftet.
So kommt es, dass heute in Georgien fast jeder jemanden im Freundeskreis hat, der wegen Korruption im Gefängnis saß.
16.000 Verkehrspolizisten wurden entlassen und das Gehalt der neu eingestellten verzehnfacht. Ein Polizist sollte genug zum Leben verdienen – nicht auf Schmiergelder angewiesen sein.
Stand Georgien vor zehn Jahren laut Korruptionsindex schlechter da als Uganda, steht es in der Rangliste inzwischen besser da als Länder wie Tschechien und Griechenland.
Als wir das Rathaus am Platz der Freiheit filmten, konnten wir das neue Selbstbewusstsein der Georgier sehen. Angehörige vom staatlichen Sicherheitsdienst wollten das Team aufhalten, aber unser Mitarbeiter und Übersetzer ließ sich das nicht gefallen. Die Beamten mussten am Ende abziehen – ohne Schmiergelder zu kassieren.
"Sie haben gefragt, wofür wir das filmen und was wir überhaupt filmen. Aber per Gesetz hier sind wir Journalisten nicht verpflichtet, alles zu erzählen, was wir auf der Straße filmen."
Giorgi Janelidze, Journalist und Filmemacher, Tiflis
Symbol für die neue Zeit und Stolz der Reformer: Die "Public Service Hall", gläsernes Herz der Stadtverwaltung der Hauptstadt Tiflis. Giorgi Janelidze hat in München studiert und ist dann in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Heute will er seinen abgelaufenen Ausweis erneuern. Früher hätte er dafür einen halben Tag anstehen müssen.
"Ich hole meinen neuen Personalausweis, eine ID-Card aus Plastik. Es gibt eine Aktion: Für zwei Monate ist das kostenlos, sogar das Foto, ein Passfoto zu machen."
Giorgi Janelidze
Vor Dutzenden von Fotokabinen sind Helfer in gelben T-Shirts zur Stelle. Die Fotos selbst kommen nicht als Papierabzüge heraus, sondern werden direkt in Dateiform an die Ausweisabteilung im Haus gesendet. Natürlich gibt es noch Papiere, aber nur wo sie unvermeidbar sind, wie bei Verträgen oder Urkunden.
Alles unter einem Dach: Von Grundbucheintragungen über Hochzeiten bis zum Geburtsregister. Auch für die Kinder ist gesorgt, sollte es doch einmal länger dauern.
Maximal fünf Minuten Wartezeit verspricht heute die Verwaltung. Vorbei die Zeit des stundenlangen Wartens, wo man Dokumente nur gegen Schmiergeld bekam. Deshalb wird nirgends bar bezahlt, sondern nur am Bankschalter gegen Beleg.
13 weitere solcher Verwaltungszentren wurden im ganzen Land errichtet: Futuristische Glasbauten, die Transparenz demonstrieren sollen.
Der heutige Direktor für den Servicebereich weiß, dass nicht alle Mitarbeiter die radikalen Reformen begrüßten.
"Natürlich ist für diese Menschen der Prozess nicht schmerzfrei abgelaufen, weil sie nach ganz neuen Prinzipien arbeiten mussten. Sie mussten 'Nein' sagen zu zusätzlichem Einkommen, das sie als Schmiergeld bekommen hatten."
Irakli Lomidze, Direktor für Serviceentwicklung, Public Service Hall, Tiflis
"Nein" sagen zu Schmiergeld müssen auch Bauunternehmer, die einen Auftrag wollen. Alle öffentlichen Bauvorhaben sind transparent im Internet ausgeschrieben. Und wer Bauwirtschaft studieren will, muss für den Studienplatz nicht wie früher erst den Universitätsprofessor schmieren.
Ein neues Leben: Ohne zu warten bekommt Giorgi seinen Ausweis. Mit dem kostenlosen Sonderangebot schafft die Verwaltung einen Anreiz, die alten Ausweise in solche moderne Chipkarten umzutauschen.
Giorgi ist begeistert:
"Sehr schnell, sehr unbürokratisch. Man fühlt sich hier als normaler Bürger eines normalen Staates."
Giorgi Janelidze
Erst seit Kurzem in Betrieb: Zwei Drive-In-Schalter. Von seiner jüngsten Tochter braucht er eine Geburtsurkunde. Die hat er von zuhause online bestellt und die Gebühr per Banküberweisung bezahlt. Jetzt braucht er sie nur noch abzuholen. Wo gibt es das in Deutschland?
Gläsern sind in Georgien nicht nur Führungsetagen, sondern praktisch jeder, der staatliche Macht ausüben kann, wie hier im Regierungsgebäude. Was besitzt der Abgeordnete XY? Welches Auto fährt er? Bei welchen Firmen verdient er mit?
Solchen Fragen widmet sich der georgische Ableger von Transparency International. Die nichtstaatliche Organisation beschäftigt in Tiflis 35 Mitarbeiter, bezahlt vorwiegend mit westlichem Geld.
Jedem Verdacht von Korruption gehen sie nach: Höhere Staatsbedienstete und Politiker müssen ihre wirtschaftlichen Verhältnisse in Georgien schonungslos offenlegen, für alle sichtbar im Internet.
Geben wir ein: Premierminister Gharibashvili. Selbst über Familienangehörige muss er Auskunft geben. Wir können auch lesen, dass der Ministerpräsident drei größere Wohnungen besitzt und dass sein derzeitiges Bargeldvermögen mit umgerechnet 3700 Euro angegeben ist. Als Auto fährt er angeblich nur einen einzigen Mercedes, Baujahr 2009. Ob die Angaben stimmen?
Dafür arbeiten Tag und Nacht freiwillige Korruptionsjäger wie Erekle Urushadze und seine Leute. Allzu viele Verstöße finden sie nicht, denn auf Korruption stehen empfindliche Strafen. Ihre Bekämpfung wird sehr ernst genommen.
"Ich glaube fest daran, dass der politische Wille entscheidend war für den Erfolg der Antikorruptionsreform in Georgien. Und er hat Georgien die Führungsrolle gegeben. Wenn sie auf die Nachbarländer schauen, da ist Georgien ganz klar führend, was die Politik gegen Korruption angeht."
Erekle Urushadze, Transparency International, Tiflis
Georgien hat es geschafft. Allerdings ausgerechnet der einstige Reformer, Premier Saakaschwili, musste wegen politischer Fehler und undurchsichtiger Geschäfte gehen. Ein anderer sitzt im Präsidentenpalast. Der Reformprozess verliert an Schwung. Doch viele Errungenschaften sind unumkehrbar.
"Was ist das hier?" Giorgi Janelidze, Journalist und Filmemacher, Tiflis
Beispiel Strafzettel: die gab es früher in Georgien nicht, denn die Polizei schritt nur ein, wo sie bar abkassieren konnte.
"Das muss mit der Bank überwiesen werden."
Giorgi Janelidze
"Also mit Quittung?"
Frage
"Mit Quittung. Cash gibt es bei uns nicht mehr."
Giorgi Janelidze
Georgi ist froh über die besiegte Korruption, denn wenn er trotzdem zahlen muss, dann wenigstens nicht an korrupte Polizisten.
Kommentieren
Henry, Donnerstag, 30.Juli 2015, 01:11 Uhr
1. Stimmt....
2004 war es noch so - im Januar 2004. Seitdem war ich mindestens 1 x im Jahr dort und es hat sich, zumindest auf den Straßen, SEHR gewandelt. - Gaumarschoss Sakartwelos