Krim Die unterdrückte Minderheit
Eftade ist Krimtatarin. Ich treffe sie in Bachtschisaray, dem Dorf ihrer Vorfahren. Und das sind Eftades Eltern. Sie machen sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder.
"Wir leben auf einem Pulverfass. Man setzt unser Volk enorm unter Druck."
Aivaz Osmanow
Diesen Druck spürt die Minderheit der Krimtataren seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland. Die Mehrheit der Krimbewohner dagegen sind Russen. Viele von ihnen freuen sich, dass die Heimat jetzt russisch ist.
"Das ist unser Recht und unser Leben."
Eine Frau
Ich werde Menschen treffen, deren Verwandte nicht in dieses neue Leben passen. Sie verschwinden, weil sie dem Image eines guten sauberen Russland schaden. Aber erst mal füttern wir die Hühner. Das macht Eftade am liebsten. Sie ist die Kleinste bei den Osmanovs und der Liebling von Papa Aivaz. Er ist im Hof auf der Baustelle beschäftigt. Seit Jahren baut Aivaz ein eigenes Haus für die sechsköpfige Familie.
Seit 30 Jahren schon leben die Krimtataren hier. Einst von Stalin vertrieben, durften sie in den 1990er Jahren zurückkehren auf die Krim, zurückkehren und ihre alte Kultur wieder pflegen.
Wie diese alte Kultur schmeckt, erfahre ich am Abend unter der Leitung von Mutter Alime. Sie kommt gerade aus der Hauptstadt Simferopol, wo sie bei einer Behörde arbeitet. Die Krimtataren durften in der Sowjetzeit nicht studieren. Bis heute leben deswegen viele als Bauern und Selbstversorger auf dem Land.
Die Idylle, die ich hier in Bachtschisaray erlebe, täuscht. Viele Krimtataren leben in Angst auf der von Russland kontrollierten Halbinsel.
"Die Lage ist nicht gut. Ich rechne jeden Morgen damit, dass die Polizei kommen kann, um mich zu verhören und mein Haus zu durchsuchen. Ich bin Vorsitzender der lokalen Medschlis-Organisation, einer Art Selbstverwaltung der Krimtataren. Mein Kollege, der Vorsitzende der regionalen Medschlis-Organisation, ist seit zwei Jahren hinter Gittern. Ein anderer Aktivist darf das Land nicht verlassen. Gegen einen dritten wird gerade ermittelt. Um mich selbst mache ich mir keine Sorgen, um meine Kinder schon."
Aivaz Osmanow, Krimtataren-Organisation Medschlis
Im April dieses Jahres wurde der Medschlis in Russland als eine "extremistische Organisation" eingestuft und verboten. Die Behörden hatten offenbar Angst, dass die Krimtataren, die mehrheitlich gegen die Annexion der Krim gestimmt hatten, von ihrer Selbstverwaltung zu Protesten aufgerufen werden. Seitdem stehen die Krimtataren unter Generalverdacht. Manche von ihnen verschwinden, wie ein junger Mann aus der Gegend, dessen Vater ich nachts treffe. Der 31-Jährige wurde im Mai vor der eigenen Haustür entführt. Ein Video der Überwachungskamera zeigt das Verbrechen. Trotzdem fehlt von den Entführern bisher angeblich jede Spur.
"Hier herrscht die Gesetzlosigkeit, pure Willkür. Du kannst dir nicht sicher sein, was mit dir in der nächsten halben Stunde passiert. Ich wünsche mir nur eins: meinen Sohn zurück. Lebendig und gesund. Sonst will ich gar nichts."
Der Vater
Einschüchterungen und Erpressungen, dokumentiert von Menschenrechtlern, belasten das Verhältnis zwischen den neuen Machthabern und den alten Krimvölkern, vor allem den Krimtataren, nicht nur in Bachtschisaray.
Auf diesem Fest in Simferopol feiern die Russen gerade ihren Tag der Nationalen Einheit: drei Stunden Hurra-Patriotismus, obwohl das Fest mit der Geschichte der Krim nichts zu tun hat, nicht einmal mit der Geschichte der russischen Annexion.
Zu Hause bei den Osmanovs sind westliche Sanktionen kein Thema, wohl aber die Zukunft der Krimtataren und – die Duma-Wahl.
"Unabhängig in ihren Entscheidungen ist weder die Staatsduma noch die Kommunalverwaltung."
Aivaz Osmanow
"Sie brauchen also diese Wahl gar nicht?"
Reporter
"Nein. Und ich werde sie lange nicht brauchen..."
Aivaz Osmanow
Eine Meinung, die die meisten Krimtataren teilen, die sich plötzlich fremd fühlen, im eigenen Haus auf der Krim.