Spanien Neue Zeiten im Baskenland
In gewissen Momenten fühlt San Sebastian sich nach Süden an. Wenn es stockdunkel ist, Anfang Januar, und das Leben trotzdem auf der Straße stattfindet.
Der Unterschied zwischen Tag und Nacht verschwimmt – genauso wie der zwischen drinnen und draußen. Ganz wie im übrigen Spanien. Und doch ist die Stadt typisch baskisch. Dafür sorgen Essen und Trinken. Kochen ist hier eine Kunstform, ein Teil der Identität, über den es garantiert keinen Streit gibt zwischen Basken und Spaniern.
"Unsere Kultur ist ganz offensichtlich von der spanischen beeinflusst, aber wir haben unsere eigene Kultur, die sich von der spanischen unterscheidet. In San Sebastian erlebt man beides. Ob es sich nun um die Architektur handelt oder um irgendetwas anderes hier in der Stadt."
Amaiur Martínez, Gastronom
Am liebsten sieht diese Stadt sich so: Strahlend und bunt, besonders 2016, als europäische Kulturhauptstadt. Architektur als große Geste. Internationales Publikum. Einladend-mildes Klima am Golf von Biskaya das ganze Jahr. Eine perfekte Gastgeberin für Europa. Aber das ist nicht das ganze Bild.
San Sebastian – baskisch Donostia – ist seit jeher auch Hochburg des baskischen Nationalismus. Nirgendwo sonst ermordete die Terrororganisation ETA so viele Menschen. Erst fünf Jahre ist es her, dass sie einen dauerhaften Waffenstillstand verkündete. Die Symbole jener Zeit sind noch sichtbar. Die Vergangenheit ist nicht wirklich vergangen.
Nicht für Maixabel Lasa. Sie lebt mit dieser Vergangenheit, seit 16 Jahren schon, seit dem Tag, als die ETA ihren Mann ermordete, einen wichtigen sozialistischen Politiker in San Sebastian. Ausgerechnet ihn, der auf Ausgleich zwischen Basken und Spaniern gesetzt hatte. Wie weiterleben nach diesem Verlust? Maixabel Lasa brauchte Zeit, um zu erkennen: Auf die Rolle des Opfers, das das Mitleid der anderen empfängt, darf man sich nicht beschränken lassen:
"Wenn Du den ganzen Tag darüber nachdenkst, was man Dir angetan hat, was Dir widerfahren ist, dann kannst Du nicht weiterleben. Wenn Du nur den Groll gegen die hegst, die es Dir angetan haben. Da ist mir die Haltung lieber, dass ich versuche das Leben weiterzuleben, so gut wie es geht. Mit meiner Familie, den Enkeln, den Freunden. Das ist besser als mir täglich das Hirn zu zermartern über das was geschehen ist."
Maixabel Lasa
Aber nun, da die Angst vor Anschlägen fort ist, sieht sie mit Sorge, dass die Erinnerung im Baskenland verdrängt wird, gerade von jenen, die seinerzeit öffentlich oder auch klammheimlich mit der ETA sympathisierten.
"Ich verstehe, dass viele jetzt dieses Kapitel abschließen wollen. Aber man kann erst dann umblättern und ein neues Kapitel beginnen, wenn man vorher alle Seiten bis zu Ende gelesen hat."
Maixabel Lasa:
Erinnerung also, aktive Erinnerung. Ein Thema auch für das Programm der Kulturhauptstadt 2016. Für deren Besucher soll es in diesem Jahr Stadtführungen auf einer sogenannten Friedensmeile geben, Begegnungen mit Zeitzeugen und Opfern des Terrorismus. So plant es die baskische Regionalregierung. Gedenken als touristisches Programm?
"Es ist wichtig zu sehen, wie wir die negativen Erfahrungen mit der Gewalt wandeln können, um ein neues Modell des Zusammenlebens zu entwickeln. In einer Welt voller Konflikte zwischen verschiedenen Identitäten kann das sehr wertvoll sein."
Jonan Fernandez, Sekretär für Frieden und Zusammenleben
Klingt sehr anspruchsvoll. Im Werbevideo aber zeigt sich San Sebastianvor dann vor allem multikulturell und fröhlich. Und ob die Auseinandersetzung mit dem baskischen Konflikt für die Touristen tatsächlich eine wichtige Rolle spielen wird? Immerhin gibt es in San Sebastian auch junge Stimmen, die sich ganz bewusst der Erinnerung zuwenden, so wie den Schriftsteller Harkaitz Cano.
"Ich bin etwas in Sorge, dass etwas Ähnliches passiert wie nach dem spanischen Bürgerkrieg: Dass nämlich wir, die junge Generation, die ältere anklagen, ohne dass alles erzählt wurde, was passiert ist, und ohne dass man zugehört hat."
Harkaitz Cano, Schriftsteller
Zuhören und dann erzählen. Harkaitz Cano ist überzeugt, dass die Bedingungen dafür heute besser sind als vor dem Waffenstillstand der ETA, gerade für ihn, der in seiner baskischen Muttersprache schreibt.
"Heute ist die baskische Sprache nicht mehr identisch mit dem Nationalismus. Und das tut einer Sprache gut. Schließlich gibt es keinen Grund, eine Sprache immer mit einer Ideologie verbinden."
Harkaitz Cano, Schriftsteller
Für Maixabel Lasa sind Zuhören und Erzählen eine Lebenshaltung geworden und Versöhnung kein Kulturevent, sondern ein langer, schmerzhafter Prozess. Sie hat ein Zeichen gesetzt und die Mörder ihres Mannes im Gefängnis getroffen.
"Sie hatten mich und andere um das Treffen gebeten. Sie wollten die Hinterbliebenen der Opfer sprechen. Sie wollten erklären, was inzwischen in ihnen vorgegangen war, die Selbstkritik. Dass sie anerkennen, welchen Schaden sie angerichtet haben. Und ich habe das Treffen akzeptiert, denn ich war immer der Überzeugung, dass jeder eine zweite Chance verdient hat."
Maixabel Lasa