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Ungarn Viktor Orbans Kampf gegen liberale Politik

Im Nordosten Ungarns, praktisch im Nirgendwo, ein Denkmal. Es erinnert an den Vertrag von Trianon.

Von: Barbara Mai

Stand: 05.10.2014 | Archiv

Denkmal von Trianon | Bild: BR

Dieser nahm den Magyaren nach dem Ersten Weltkrieg zwei Drittel ihres Territoriums und wird heute, nach fast 100 Jahren, erneut zum Trauma stilisiert.

Im Nordosten Ungarns – praktisch im Nirgendwo – ein Denkmal. Es erinnert an den Vertrag von Trianon, der den Magyaren nach dem Ersten Weltkrieg zwei Drittel ihres Territoriums nahm und der heute – nach fast 100 Jahren – erneut zum Trauma stilisiert wird.

Und das von Leuten wie dem Bürgermeister von Erpatak, der von den ungarischen politisch Rechten gefeiert wird. Das Denkmal wenige Kilometer vom Ort entfernt, hat er in Auftrag gegeben. Seine Gesinnungsgenossen und er stellen den Vertrag in Frage.

Zoltan Mihaly Orosz

Zoltan Mihaly Orosz, zünftig in Tracht, die eher an eine Uniform erinnert, sorgt sofort für Ordnung: der BR-Bus ist nicht vorschriftsmäßig geparkt.

Viele Fahnen wehen am Bürgermeisteramt – nur nicht die der EU.

An Ikonen aus Ungarns Geschichte vorbei eilt Orosz in sein Amt.

Erpatak ist ein "Musterdorf", so die Gesinnungsgenossen der Jobbik-Partei und Orosz ein heiliger Georg, der mit dem Drachen "Liberale Demokratie" kämpft.

Zoltan Mihaly Orosz

Seine Anhänger aus dem rechten und ganz rechten Spektrum, haben die europäische Wertegemeinschaft entweder nie verstanden oder schon lange verlassen. Er wird auf keine unserer Fragen antworten, nur seine krude Ideologie ablassen.

"Für die aus dem Hintergrund operierende Freimaurermacht besteht eine wichtige Strategie darin, dass man Minderheiten, spezifisch in Ungarn die Zigeunerminderheit, in Amerika die Neger, woanders andere Minderheiten, als eine biologisch-strategische Waffe zu benützen, um die Mehrheitsgesellschaft zu lenken und zwischen der Zigeunerminderheit und der ungarischen Mehrheit eine andauernde Spannung zu erzeugen. Dadurch wird offenkundig versucht, die Gesellschaft so zu spalten, dass Prozesse, die zum Untergang des Nationalstaates führen, beschleunigt werden."

Zoltan Mihaly Orosz

Einen politisch verwirrten Provinz-Bürgermeister könnte man noch kopfschüttelnd abtun, aber wenn der Regierungschef eines EU-Staates offensichtlich einen neuen Weg, der alt bekannt ist, im rumänischen Siebenbürgen seinen dortigen Landsleuten offenbart, dann testet er eiskalt die Toleranz der EU.

"Heute ist das wichtigste Thema, Regierungen zu verstehen, die nicht westlich sind, nicht liberal, keine liberalen Demokratien – ja vielleicht nicht einmal Demokratien – und dennoch erfolgreiche Nationen. Heute sind die Stars in den internationalen Rankings Singapur, China, Indien, Russland und die Türkei."

Viktor Orban

Er hat Deutschland vergessen, das übrigens zu den größten Geldgebern Ungarns zählt.

Auch Erpatak mit seinem nationalistischen Bürgermeister wird von der EU gefördert: hier der kleine Platz vor dem Bürgermeisteramt mit 47.000 Euro, dort mit einer halben Million Euro das Gemeindezentrum, das eher verwaist aussieht und auch die Zwergschule wurde nicht vergessen, immerhin werden hier auch Roma-Kinder unterrichtet, die – wie die anderen – hier eine warme Mahlzeit am Tag bekommen.

Für Arbeit im Dorf sorgt auch der Bürgermeister, die Sozialhilfe für Bedürftige liegt bei umgerechnet 80 Euro, Saisonarbeit bringt aber 200 Euro, auch von der EU gefördert.

"Das war ein leeres Feld, das den Roma gehörte mit einem Haus in einem ruinösen Zustand drauf. Wir haben uns drangemacht, haben es von den Eigentümern gekauft und haben das Haus abgerissen. Jetzt versuchen wir, das Gelände wieder zu nutzen für landwirtschaftliche Produkte. Die Gurken hier erfordern viel Handarbeit."

Bürgermeister Zoltan Mihaly Orosz

Diese Erntehelfer sind froh über ihren Job, den ihnen der Bürgermeister zugewiesen hat. Ein Teil der Kartoffeln wird für die Schulessen gebraucht, der Rest verkauft. Nur: Wer einen Job bekommt, entscheidet Zoltan Orosz. Wer im Ruf steht, seine abstruse politische Meinung nicht zu teilen oder - noch schlimmer - ihn nicht wählen will, der hat keine Chance, seine Sozialhilfe aufzustocken. Und dazu gehören die meisten Roma im Dorf.

Von den rund 1400 Einwohnern Erpataks sind rund ein Drittel Roma, die am Rande des "Musterdorfes" leben. Wenn sie Glück haben, ergattern sie einen Saisonjob. Familie Ferkas hatte wohl keines, sie ist gerade von ihrem Mittagsschlaf aufgestanden.

Gabor Söllösi, einer der Gegenkandidaten von Orosz, besucht im Kommunalwahlkampf alle Familien. Er war einmal Mathematiklehrer in Erpatak, bis der Bürgermeister seine Stelle wegrationalisierte. Ildiko Ferkas ist skeptisch, obwohl sie Gabor kennt.

"Ist es eigentlich nötig, dass ich mein Kreuzchen mache? Für wen ist das wichtig – für mich oder für dich? Wenn die Wahl ansteht, kommen sie alle und rennen uns die Tür ein …"

Ildiko Ferkas

Gabor fällt ihr ins Wort:

"Ja, jetzt geh ich bei jedem vorbei, besuch jeden…"

Gabor Söllösi

"Ja, alle kommen sie jetzt, sogar solche, die ich nur vom Sehen kenne, ich schwör’s, ich weiß noch nicht mal, wie die heißen, die ganzen Kandidaten. Und dann sag ich denen: Was ist los, woher kommst du? Ich weiß, wer du bist, und wenn du meine Stimme brauchst, ich dich ankreuzen soll, dann überleg ich es mir."

Ildiko Ferkas

"Ist schon auffällig, dass die Leute nur in der Wahlzeit kommen."

Gabor Söllösi

"Das Problem ist, dass viele Leute in der Politik meinen, ganz genau Bescheid zu wissen über uns und unsere Sorgen und die denken, sie wüssten, was zu tun ist…"

Schwiegersohn

In Erpatak herrsche eine beklemmende Atmosphäre, meinen einige Dorfbewohner, die der amtierende Bürgermeister durch Einschüchterungen und Machtgehabe bewusst erzeuge. Das soll sich am 12. Oktober wieder ändern. Die Chancen für den ehemaligen Mathematiklehrer stehen gut, er gehört zu der jungen Generation der überzeugten Europäer.


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