Salmonellenausbruch in Europa Die Spur führt nach Niederbayern
Ein Eier-Produzent aus Niederbayern hat offenbar einen länderübergreifenden Salmonellen-Ausbruch ausgelöst. Vergangenen Sommer waren Hunderte Menschen in fünf Ländern an Salmonellose erkrankt, mindestens zwei Männer starben. Nach gemeinsamen Recherchen des BR-Politikmagazins Kontrovers und der Süddeutschen Zeitung führt die Spur zur Firma "Bayern Ei" in Aiterhofen bei Straubing.
Der Eigentümer kommt aus einer Unternehmerfamilie, die bereits für zahlreiche Lebensmittel- und Tierschutzskandale verantwortlich war.
"Es waren die schlimmsten Wochen meines Lebens", sagt George Williams. Letzten Juli ist er mit Freunden in einem China-Restaurant in Southampton gewesen, südwestlich von London. Wenige Tage später denkt er: Diesen Monat wird er nicht überstehen. Unzählige Male muss er sich übergeben, der Durchfall will nicht enden, dazu immer wieder Krämpfe.
Wie ihm geht es im vergangenen Sommer Hunderten Menschen. In Birmingham erkranken Dutzende an Salmonellen und ein Krankenhaus muss eine ganze Station abriegeln. In Innsbruck infizieren sich Bewohner eines Altenheimes. In Frankreich wird der Osten des Landes von einer Salmonellenwelle heimgesucht.
Interaktive Karte - es werden keine Daten von Google Maps geladen.
Salmonellen-Epidemie 2014: Verbreitung in Europa
Höheres Infektionsrisiko in Niederbayern?
Zahlen des Robert-Koch-Instituts weisen darauf hin, dass damals auch in Niederbayern die Infektionen mit Salmonella Enteritidis steigen. Das geht zumindest aus einer Grafik des Instituts hervor, die Kontrovers und der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Die Öffentlichkeit erfährt davon nichts. Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit wertet den Anstieg als statistischen Ausreißer. Die Zahl der Fälle für 2014 liegt nach Einschätzung der Behörde "im zu erwartenden Bereich".
In den anderen Ländern dagegen sind die Behörden alarmiert. Sondereinheiten werden gebildet. Die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA schaltet sich ein, die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC, sogar die EU-Kommission. Die Wissenschaftler sollen die Erregerquelle finden, bevor noch mehr Menschen krank werden oder sterben. Sie rekonstruieren Lieferwege, zerlegen mit modernster Technik das Genom des Erregers und vergleichen genetische Fingerabdrücke von Salmonellenerregern. Am Ende steht für die ausländischen Experten fest: die Quelle der Salmonellen heißt "Bayern Ei".
Berüchtigter Unternehmer
Die Firma zählt zu den größten der Branche und gehört einem berüchtigten Unternehmer: Stefan Pohlmann. Dieser Name sei "wie kein anderer in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit schlimmsten Zuständen in der Geflügelhaltung verbunden", sagt Friedrich Mülln vom Verein Soko Tierschutz. 1999 demonstrierten in Bayern Tausende gegen Pohlmanns Farm-Neubaupläne im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet. Den Forderungen nach einem Baustopp schloss sich damals sogar der Landtag an.
Drei Jahre zuvor stand Stefan Pohlmann mit seinem Vater und Ex-Kompagnon vor Gericht. Pohlmann Senior gilt zeitweise als größter Eiproduzent Europas. Sein Aufstieg ist begleitet von Skandalen: Er soll Ei-Haltbarkeitsdaten verändert, Hennen in zu enge Käfige gequetscht und vergast haben. Tierschützer nennen ihn deshalb den "Tierquäler der Nation".
1996 sind die beiden Pohlmanns angeklagt, weil sie Legehennen mit hochgiftigem Nikotin besprühen ließen - zur Schädlingsbekämpfung. Der Vater wird verurteilt und bekommt Berufsverbot. Er sei "charakterlich ungeeignet" für den gewerblichen Umgang mit Tieren, finden die Richter. Das Verfahren gegen den Sohn wird gegen Zahlung einer hohen Geldsumme eingestellt, nachdem der Vater die Schuld auf sich genommen hatte.
Tierquälerei und Etikettenschwindel - die Pohlmann-Skandalchronik
1960
Der 1939 geborene Anton Pohlmann baut 1960 im niedersächsischen Neuenkirchen-Vörden seinen ersten Hühnerstall für 10.000 Tiere. Im Lauf der Zeit steigt der gelernte Bäcker zum sogenannten "Hühnerbaron" auf, wird zeitweise zum größten Eierlieferanten Europas. Sein wirtschaftlicher Erfolg beruht auf Massentierhaltung, allerdings verstößt er dabei immer wieder gegen Tierschutzbestimmungen und Lebensmittelrecht. So pfercht er zum Teil wesentlich mehr Hühner zusammen als erlaubt oder fälscht Frischedaten für Eier. Pohlmann wird zum Dauergast auf Anklagebänken deutscher Gerichte, muss hohe Geldstrafen zahlen, die sich insgesamt auf mehrere Millionen D-Mark summieren. 1984 stehen seine Käfigbatterien im Mittelpunkt in dem mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten ARD-Film "Und ewig stinken die Felder".
1996
Ungeachtet dessen macht Pohlmann mit seiner Geschäftspraxis weiter. So lässt er unter anderem Hennen zur Schädlingsbekämpfung mit nicht zugelassenem Nikotingas besprühen. Millionen Tiere verenden qualvoll, Eier sind verseucht, ein Mitarbeiter wird dabei schwer verletzt. Außerdem verwendet Pohlmann ein illegales Mittel zur Salmonellenbekämpfung. Ihm wird abermals der Prozess gemacht. Wegen Verstößen gegen das Tierschutz-, Arznei- und Lebensmittelgesetz verurteilt ihn 1996 das Landgericht Oldenburg zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung und einer Geldbuße von 3,1 Millionen D-Mark. Zudem wird ihm lebenslang verboten, in Deutschland gewerblich Tiere zu halten. Sein Unternehmen wird im selben Jahr von der Deutschen Frühstücksei GmbH übernommen.
1999
Die Familie will offenbar nach Mittel-Ost-Europa ausweichen - in Länder, in denen die strengeren EU-Richtlinien zu Tierschutz nicht gelten. So wird im tschechischen Vseruby (Foto) nahe der bayerischen Grenze eine Aufzuchtfarm für mehrere 100.000 Küken zum Einsatz in Legebatterien gebaut. Medienberichten zufolge steht Anton Pohlmanns Sohn Stefan hinter dieser riesigen Anlage. Tschechische und bayerische Bürgerinitiativen machen mobil gegen die Massentierhaltung, unter anderem bei einer Großdemonstration im August 1999. Man befürchtet Umweltschäden. Sogar Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) berät wegen Vseruby mit seinem tschechischen Amtskollegen.
2003
Zerstörte Hühnerkäfige der Buckeye Egg Farm in Ohio (USA)
Schon 1980 hatte Anton Pohlmann begonnen, Eierproduktion auch in den USA aufzubauen. Er betreibt dort diverse Legebatterien mit Millionen Hühnern. Auch in Amerika leistet er sich serienweise Skandale: Falschdeklaration von schlechten Eiern, Fischsterben durch Hühnergülle in Flüssen, illegale Entsorgung von Hühnerkadavern, Grundwasser-Gefährdung durch Impfstoffe, lebensgefährliche Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter. Im Jahr 2000 zerstört ein Tornado (Foto) eine von Pohlmanns Farmen. Eine Million Hühner werden in den Käfigen eingeklemmt und bleiben neun Tage lang ohne Versorgung. Viele Tiere ersticken oder verhungern. Schließlich wird Pohlmann auch in den USA das Handwerk gelegt, 2003 muss er seine in der Buckeye Egg Company zusammengeschlossenen Farmen dichtmachen.
Warnungen aus dem Ausland
"In den Behörden müssten bei dem Namen Pohlmann eigentlich alle Alarmglocken läuten", sagt Friedrich Mülln, der mit dem Verein Soko Tierschutz die Aktivitäten der Familie schon seit Jahrzehnten beobachtet. Doch als Kontrolleure des Landratsamts Dingolfing-Landau schon Wochen vor dem Ausbruch Salmonellenerreger auf Eierschalen finden, passiert erst einmal wenig. Nach Warnungen aus dem Ausland nehmen die Kontrolleure neue Proben. Und plötzlich finden sie auch in den Eiern und in den Ställen Salmonellen. Doch ihre Ermittlungen fassen die Bayern nur "rudimentär" für die Kollegen im Ausland zusammen, wie es in einer internen Mail des Bundesamtes für Verbraucherschutz heißt, die Kontrovers und der SZ vorliegt. Dabei hätten sie besser jede noch so kleine Information übermittelt.
Beim Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ist man dennoch der Meinung, man sei "sachgerecht und korrekt" vorgegangen. "Wir haben Ermittlungen im Betrieb gemacht, wir haben sehr umfassend ermittelt", sagt Behördenchef Andreas Zapf. "Wir haben Maßnahmen verhängt, es gab Rücknahmen betroffener Chargen, es gab Vorgaben, wie Eier vermarktet werden dürfen, es gab Maßnahmen im Bereich der Reinigung."
Schauten die bayerischen Behörden weg?
Bayerns oberster Lebensmittelkontrolleur erklärt im Kontrovers-Interview Erstaunliches: 2013 und 2014 habe es keine größeren Salmonellen-Ausbrüche gegeben. Bei den Ereignissen des vergangenen Sommers, die Gesundheitsbehörden in halb Europa auf den Plan riefen, handelt es sich nach den Worten des Behördenchefs "um sporadische Fälle, die wohl EU-weit aufgetreten sind". In Bayern aber sei es nicht gelungen, die Erkrankungen auf die Firma zurückzuführen - im Gegensatz zu den Gesundheitsbehörden in den anderen betroffenen Ländern. Das Landesamt will nicht einmal offiziell bestätigen, dass es bei den Ereignissen des vergangenen Sommers um "Bayern Ei" geht.
Filmaufnahmen aus der Hühnerfarm
Allerdings gibt es Filmaufnahmen, die zeigen: Bei "Bayern Ei" läuft ganz grundsätzlich etwas falsch. Sie stammen aus diesem Jahr. Die Soko Tierschutz ist an das Material gelangt. Laut GPS-Angaben wurden die Bilder im "Bayern Ei"-Stall Ettling gedreht. Auf den Aufnahmen sind verweste Kadaver zu sehen, mit Kot verdreckte Käfige und Hühner ohne Federn. Die Veterinärmedizinerin Cornelie Jäger von der Bundestierärztekammer wertet die "mumifizierten Kadaver" nach Ansicht des Filmmaterials als klaren Rechtsverstoß. "Es gehört zu den täglichen Kontrollen, dass tote Tiere entfernt werden, um gerade Infektionsrisiken, Hygienerisiken etwas zu minimieren."
Zwar kommen die in Ettling gelegten Eier derzeit nicht in die Supermärkte. Wegen der Salmonellen werden sie nur als B-Eier ausgeliefert - für industriell hergestellte, abgekochte Lebensmittel wie Nudeln. Doch verpackt und gelagert werden in Ettling auch Eier, die an anderen Bayern Ei-Standorten gelegt wurden. Für Supermärkte. Sie stehen in unmittelbarer Nähe der B-Eier aus dem Salmonellenstall.
Jäger zufolge müssten sich die Behörden mit "Bayern Ei" noch einmal intensiv auseinandersetzen. "Das Veterinäramt wäre vermutlich gut beraten, eben nochmal zu hinterfragen, ob alle Vorgaben der Tierschutznutztierhaltungsverordnung erfüllt sind", sagt die Tiermedizinerin.
Staatsanwaltschaft Regensburg ermittelt
Nach Informationen des BR-Politikmagazins Kontrovers und der Süddeutschen Zeitung ermittelt die Staatsanwaltschaft Regensburg im Zusammenhang mit dem Salmonellenausbruch gegen Stefan Pohlmann. Der Firmenchef will sich dazu nicht äußern. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, könnte es womöglich sogar um fahrlässige Tötung gehen.