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Vorreiter Japan Indoor Farming

Um 2050 herum werden neun Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Zwei Drittel von ihnen dürften in Städten wohnen. Wie diese ernähren? Ein Ansatz: Indoor Farming in vertikalen Gewächshäusern. Damit ließe sich an jedem Ort der Welt Gemüse produzieren, platzsparend und unabhängig vom Klima.

Von: Georg Beinlich

Stand: 14.06.2016

A worker of the Teplichnoye company is in the company's hothouse, Sverdlovsk Region.  | Bild: picture-alliance/dpa/Pavel Lisitsyn

In den Niederlanden nahe Venlo betreibt die Uni s‘Hertogenbosch gemeinsam mit einigen Unternehmen eine Versuchsanlage namens "Brightbox". Von außen wirkt sie wie eine fensterlose Lagerhalle, innen aber gedeihen Pflanzen - in sieben Etagen übereinander. Die vertikale Bauweise vervielfacht zwar die Anbaufläche, aber Sonnenlicht würde die Pflanzen in den unteren Etagen kaum erreichen. Deswegen wird jede einzelne Etage mit LED-Licht künstlich beleuchtet. In dem von der Umwelt abgeschlossenen Gewächshaus herrscht ein auf pflanzliche Bedürfnisse optimiertes, künstliches Klima: 22 Grad Celsius und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit. Salate, Radieschen und Kräuter wurzeln hier statt in Erde in einer Nährstofflösung.

Lebenslicht in drei Farben

Ausschlaggebend für die Entwicklung solcher "Indoor-Farmen" waren die Fortschritte in der LED-Technik. Denn die energieeffizienten Leuchtdioden haben kaum Wärmeverluste und können das für das Pflanzenwachstum unverzichtbare Sonnenlicht ersetzen. Weil Pflanzen nur bestimmte Anteile des natürlichen Lichtspektrums nutzen, reichen rot, blau und infrarot leuchtende LEDs aus. Entscheidend für optimales Wachstum ist die je nach Pflanzenart unterschiedlich kombinierte Portion Kunstlicht. Jasper den Besten von der Uni s‘Hertogenbosch erforscht das optimale Verhältnis von rotem zu blauem Licht. Es beeinflusst nicht nur das Wachstum sondern auch Inhaltsstoffe und Geschmack der Pflanzen.

Lichtrezepte

Die Melander Fischfarm in der Schweiz ist die grösste Indoor-Fischfarm der Welt.

So steuert die rote Lichtfraktion den Tag-Nacht-Rhythmus der Pflanzen, sorgt für schnelles und höheres Wachstum. Blaues Licht liefert zwar die notwendige Energie, um mittels des Pflanzenfarbstoffs Chlorophyll aus Wasser und Kohlendioxid Traubenzucker zu produzieren. Doch ein hoher Blauanteil lässt die Salate trotzdem etwas kleiner wachsen. Dafür erhöht es den Anteil von Vitaminen und wertvollen Inhaltsstoffen wie etwa Polyphenolen. Bei Tomaten zum Beispiel lässt sich mit bestimmten Wellenlängen der Gehalt von Lycopin steigern. Es sorgt für die charakteristische rote Farbe und soll vor Krebs schützen können.

Je nach Intensität und Zusammensetzung des Lichts verändert sich auch der Geschmack. "Generell kann man den Geschmack verändern, indem man mehr Licht zuführt oder ein wenig mit den Farben spielt. Mehr Infrarot-Licht gibt Basilikum eine deutlich scharfe Note. Genauso gut können sie Rettich süßer machen." Den Bestens Forschungsziel ist die Entwicklung von "Lichtrezepten", die den Gemüseanbau effektiver und kreativer machen.

Pflanzenfabriken

Langfristig soll das vertikale Gewächshaus eine vollautomatische Pflanzenfabrik werden, in der sogar auf den Einsatz von Pestiziden verzichtet werden kann.

"Weil Indoor-Farmen geschlossene Systeme sind, kommen Schädlinge gar nicht erst hinein. Deswegen müssen wir nicht spritzen. Und weil wir nur die Wurzeln befeuchten, sinkt auch die Gefahr von Pilzbefall. Überhaupt sind Indoor-Farmen sehr sparsam im Wasserverbrauch. Wasser, das die Pflanzen nicht aufnehmen, wird gesammelt und erneut genutzt. Das macht sie für Wüstenstaaten sehr interessant."

Den Besten

Noch ist Gemüse aus Indoor-Farmen mindestens doppelt so teuer wie das aus herkömmlichem Anbau, denn Beleuchtung, Belüftung und Bewässerung verursachen hohe Stromkosten. Allerdings erwartet Jasper den Besten mittelfristig effizientere und billigere LEDs. Dadurch könnte die Produktion günstiger werden. In Großstädten, wo die Menschen auf engstem Raum leben, könnten Landwirte dann in innerstädtischen Farmen Gemüse ziehen - nah am Verbraucher.

Da hast Du den Salat

Der Salatbauer Mark Delissen produziert im niederländischen Beesel Millionen Salatköpfe jährlich für den englischen und deutschen Markt. Für die Aufzucht seiner Setzlinge nutzt er bereits die teure Indoor-Technik: In einer Klimakammer wird der Salat vom Samen bis zum Setzling auf 800 Quadratmetern Grundfläche nur mit LED-Licht aufgezogen – auf sieben Etagen übereinander!

"Bei den kleinen Setzlingen lohnt sich der Einsatz des LED-Lichts. Sie brauchen nicht so viel Platz und nach 30 Tagen sind sie so weit, dass wir sie in das normale Gewächshaus mit Tageslicht umsetzen können. Im Winter war es immer ein Problem, genügend Setzlinge zu bekommen. Durch die kurzen Tage brauchten die dreimal länger, also fast 100 Tage bis wir sie umsetzen konnten. Jetzt haben wir eine größere Liefersicherheit."

Delissen

Konstante Qualität, keine Ernteausfälle und pünktliche Lieferung sind trotz der hohen Investitionen Vorteile, die sich für Delissen rechnen. Noch ist ihm die LED Technik zu teuer, um sie auch im fünf Hektar großen konventionellen Gewächshaus einzusetzen. Sollte die Technik aber günstiger und effektiver werden, könnte er seine Anbaufläche vertikal vervielfachen. Indoor-Farmen lassen sich theoretisch zu Hochhäusern stapeln.

Vorreiter Japan

Europa hinkt beim vertical farming hinterher. Weltweit sind bereits 225 Indoor-Gewächshäuser in Betrieb, 200 allein in Japan. Seit dem Atomunfall von Fukushima schätzen solvente Japaner den zwar teuren, dafür aber garantiert unverstrahlten Salat aus Pflanzenfabriken. Der japanische Konzern Sharp baute kürzlich eine Indoor-Farm für Erdbeeren im Wüsten-Emirat Dubai. Auch Konzerne wie Philips, Panasonic, Toshiba oder Fujitsu sind ins Hightech-Agrargeschäft eingestiegen. Sie haben zum Teil ausgediente Reinräume von der Chipproduktion auf edle Salate und Kräuter umgestellt. Geplant sind Indoor-Farmen direkt auf den Dächern von Supermärkten.


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