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Spuren der Balten Deutsche Einwanderer in Lettland

Vor 14 Jahren hat Daniel Jahn ein heruntergekommenes Herrenhaus im Herzen von Kurland gekauft. Millionen von Euro hat der gelernte Koch in dessen Renovierung investiert und es, soweit möglich, wieder originalgetreu eingerichtet.

Von: Manuela Roppert

Stand: 28.11.2014 | Archiv

Ein Herrenhaus an einem See im Sonnenlicht | Bild: BR

Hier, wo sich Fuchs und Hase "Gute Nacht!" sagen und den Schwänen niemand ihr Revier streitig macht, ist die Natur nahezu unberührt. Während der Sowjetzeit war Kurland – Lettisch Kurzeme – überwiegend militärisches Sperrgebiet.

Ausgerechnet in dieser Region ist die enge Verbindung von Deutschen und Letten, die sieben Jahrhunderte lange währte, wieder belebt worden.
Die Wiedergeburt des Gutshauses Kukschen ist ein modernes Märchen. Bis 1920 gehörte es deutschen Adeligen. In der Sowjetzeit war hier die Verwaltung der örtlichen Kolchose untergebracht. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus verfiel es immer mehr. Jetzt erstrahlt es in altem Glanz.

Daniel Jahn

Seit der Jahrtausendwende ist es im Besitz des Pfälzers Daniel Jahn, den es vor über 20 Jahren nach Lettland verschlagen hat. Dass er hier einmal Gutsbesitzer werden wird, hatte er damals nicht für möglich gehalten:

"Dann bin ich hierher gefahren, ein wunderschöner Tag. Und das Haus hat mich einfach verzaubert. Ich hatte keine Absicht, ein Gutshaus zu kaufen. Die Situation war folgende. Ich bin von der anderen Seite an dieses Haus ran gefahren und es sah aus wie ein Märchenschloss. Also man hat Teile des Daches gesehen, die Bäume vorne dran. Es war eigentlich wunderschön. Erst beim Näherkommen hat man gesehen, wie schlecht es aussieht. Ich habe mich verliebt, es ist eine Liebe auf den ersten Blick gewesen. So ist das passiert."

Daniel Jahn, Besitzer Gut Kukschen

Kleine Kratzer hat seine Liebe zu Kuksu Muiza, wie das Gutshaus auf Lettisch heißt, inzwischen zwar abgekommen, doch bereut hat er seine Entscheidung bis heute nicht.

Für 30.000 Euro hat der gelernte Koch mit BWL-Studium das Herrenhaus gekauft und daraus ein schmuckes Schlosshotel gemacht. Jetzt verwöhnt der Chef persönlich seine Gäste mit regionalen Produkten. Zuvor hatte er ein deutsch-lettisches Joint Venture in Riga aufgebaut. Durch den Verkauf seiner Anteile konnte er die Renovierung von Kukschen finanzieren. Rund eineinhalb Millionen Euro hat er in die Verwandlung des heruntergewirtschafteten Gebäudes in ein Gutshaus des 19. Jahrhunderts investiert.

"Viele unserer Gäste kommen in dieses Haus und dann schauen sie sich erst einmal um und sind, sagen wir mal, etwas verwundert was sie hier allessehen. Das Haus ist so hergerichtet quasi, ich muss manchmal sagen, es erschlägt viele Besucher von Anfang an. Aber diese Atmosphäre ist sehr eigen, denn das war ja ein Familienhaus. Hier haben Menschen gelebt, hier haben Menschen gearbeitet und ich wollte das Haus auch wieder lebendig machen und den Besuchern zeigen: So hat ein Gutshaus funktioniert, so sah es von innen aus und so war das Niveau."

Daniel Jahn

Über 700 Jahre lang lebten deutsche Einwanderer und ihre Nachkommen in Lettland, oft in Schlössern oder Herrenhäusern wie Kukschen. Zeitweise besaßen die Deutschbalten 80 Prozent des Landes, obwohl sie nur einen Anteil von etwa fünf Prozent an der Gesamtbevölkerung hatten. Die Letten dagegen waren in der Regel Leibeigene oder einfache Bauern.

Lettland ist auch heute noch außerhalb von Riga dünn besiedelt. Die sozialen Einschnitte, die erst der Zusammenbruch des Sozialismus und später dann die Weltwirtschafts- und Finanzkrise mit sich brachten, haben die Bevölkerung auf dem Land besonders hart getroffen. Die Gemeindekassen sind leer, denn der erneute wirtschaftliche Aufschwung Lettlands ist hier noch nicht angekommen.

Hier fuhr früher die Kutsche vor zum Herrenhaus von Poperwahlen. Dass es sich einst um ein architektonisches Juwel gehandelt hat, kann man heute nur noch erahnen.

Während der Sowjetzeit war in dem Gutshaus eine Schule untergebracht. Doch dann stand es viele Jahre leer. Schließlich kauften Russen das inzwischen verfallene Anwesen. Die Absicht, es zu restaurieren, hatten sie offenbar nie gehabt. Lettland bietet jedem, der im Land investiert, ein Schengen-Visum. Diese Regelung hat sich der baltische Staat von Zypern abgeschaut. Irgendwann sind die russischen Besitzer dann einfach verschwunden. Ein Kulturgut – für immer verloren.

Über die Ostsee gelangten Mitte des 12. Jahrhunderts deutsche Kaufleute und christliche Missionare ins Baltikum. Die ansässige Bevölkerung verweigerte sich zunächst dem neuen Glauben. Kreuzritter des Schwertbrüderordens, der später in den Deutschen Orden integriert wurde, unterwarfen schließlich weite Teile des Landes.

Rund 60 stark befestigte Burgen sicherten die Ordensherrschaft. Einige Ruinen sind noch erhalten. Die Burg von Turaida, Ende des 18. Jahrhunderts niedergebrannt, hat man inzwischen wieder rekonstruiert. Sie wurde 1214 auf Anordnung des Rigaer Bischofs errichtet, nachdem es zwischen ihm und dem Schwertbrüderorden zu Auseinandersetzungen über die Verteilung des eroberten Landes gekommen war.

Das Schwarzhäupterhaus in Riga

Lettlands Hauptstadt Riga wurde 1201 von Bischof Albert von Buxthoeven gegründet, der zuvor Domherr in Bremen war. Heute ist sie eine quirlige Metropole und die größte Stadt des Baltikums. Die Hälfte der etwa 700.000 Einwohner ist russischsprachig. Sie sind während der Sowjetzeit eingewandert. Deutsche wohnen kaum noch hier. Doch die Spuren ihrer jahrhundertlangen Präsenz sind immer noch allgegenwärtig: Originalgetreu rekonstruiert wurde inzwischen das Schwarzhäupterhaus, in dem sich die unverheirateten Kaufleute – auch schwarze Häupter genannt – trafen. Im Zweiten Weltkrieg, bei der Einnahme durch die deutschen Truppen schwer beschädigt, hatten es die Sowjets schließlich gesprengt.

Das unabhängige Lettland hält die Erinnerung an die gemeinsame deutsch-lettische Geschichte wach, auch wenn diese nicht immer rühmlich war.

Daniel Jahn ist sich nicht sicher, wie lange er noch auf Kuksu Muiza bleiben wird. Er wäre auch bereit für neue Aufgaben und Herausforderungen. Ein Projekt will er aber auf jeden Fall noch zu Ende bringen: Den Ausbau der ehemaligen Meierei. Hier wurde seinerzeit die Milch der gutseigenen Kühe weiterverarbeitet. Neun zusätzliche Zimmer sind geplant. Gerade wird der Kachelofen eingebaut, ländlich-elegant mit historischem Flair so wie im Haupthaus.

Lettland war nach 1710 Teil des Russischen Reiches. 1920 wurde es zum ersten Mal unabhängig. Das Freiheitsdenkmal im Herzen von Riga erinnert daran. Viele Deutsch-Balten haben damals das Land verlassen, weil sie enteignet wurden.

Schloss Rundale

Die Deutschbalten stellen keine Besitzansprüche an ihre frühere Heimat. Ihnen geht es vor allem darum, dass die von ihren Vorfahren geschaffenen Kulturgüter erhalten bleiben. So unterstützt zum Beispiel der Nachkomme des Schlossgründers von Rundale, der jetzt in Bayern lebt, die Renovierungsarbeiten finanziell. Versailles des Ostens wird Rundale genannt – das liegt nicht zuletzt am weitläufigen französischen Garten. Jetzt ist Ruhenthal, so der deutsche Name, eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Lettlands - doch bis dahin war es ein weiter Weg: 1736 lies Graf Biron von Kurland den Grundstein für seine Sommerresidenz legen. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Schloss nicht beschädigt. Doch ab 1946 waren die Prunkräume Getreidespeicher und der Speisesaal eine Turnhalle. Durch das undichte Dach drang Regen ein und beschädigte Wand- und Deckengemälde sowie die Stuckarbeiten. Ursprünglich in wenigen Monaten erschaffen, dauerte es Jahrzehnte bis die kunstvollen Verzierungen Johann Michael Graffs wieder hergestellt waren.

Nur ein Drittel der Kosten für die Renovierung wird vom lettischen Staat getragen. Sie wird hauptsächlich durch den Eintrittskartenverkauf und aus privaten Spenden finanziert. Eine Erfolgsgeschichte: das Werk des Architekten Rastrelli, der auch den Winterpalast in St. Petersburg erschaffen hat, bleibt für die Nachwelt erhalten!

Über 1.000 Herrenhäuser hat der deutsche Adel in Lettland hinterlassen. Rund 500 davon stehen noch, aber etwa 200 sind nicht mehr zu retten. Die anderen könnten noch erhalten werden. Die Zeit drängt. Sonst sind die Spuren der Balten, wie der deutsche Adel in Lettland bis 1920, der Zeit der ersten Unabhängigkeit, des Landes genannt wurde, endgültig verwischt.

Auch Daniel Jahn, der Gutshofbesitzer aus Kurland, macht sich Sorgen um das deutsch-lettische Kulturgut: Auch die Investition von Daniel Jahn wird sich, so schätzt er, erst in 20 bis 25 Jahren rechnen.

Um möglichst viele der Herrenhäuser in Lettland zu erhalten, schlägt er vor, nach deutschem Vorbild eine "Stiftung Denkmalschutz" zu gründen, in die private Spender sowie der Staat, aber auch Lotteriegesellschaften einbezahlen.

Bleibt zu hoffen, dass er für seine Idee bald Mitstreiter findet, damit die Rettung von Kukschen kein Wunder bleibt, sondern als Beispiel Schule macht.

Dieser Text ist eine stark gekürzte und redaktionell bearbeitete Fassung des Sendungsmanuskripts.

(Wiederholung vom 6.10.2013)


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