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Serbien und Bosnien Nach der großen Flut

Vergangenen Mai wurden Bosnien-Herzegowina und Serbien vom schlimmsten Hochwasser seit über 100 Jahren heimgesucht. Die Wassermassen der Flüsse Sava und Bosna verwüsteten unzählige Orte.

Von: Barbara Mai

Stand: 27.07.2014 | Archiv

Häuser und Fahrzeuge stehen in einer Ortschaft unter Wasser. | Bild: BR

Es regnet schon wieder in Topcic Polje, einem kleinen Dorf in Bosnien – nicht mehr so schlimm, wie in den furchtbaren Tagen im vergangenen Mai, als eine Jahrhundertflut weite Regionen an Save, Bosna und den Seitenflüssen unter Wasser setzte und zahlreiche Erdrutsche auslöste.

Fast das halbe Dorf an der Bosna war unter den Schlammmassen begraben. Bis heute sind noch nicht alle Häuser freigelegt, geschweige denn, leergeräumt. Wenn nicht bald genau das geschieht, können die Wände dem Druck nicht mehr stand halten. Die Häuser brechen unter der Last zusammen.

Es sind tausende Kubikmeter, die bewegt werden müssen. Schweres Gerät hat die Gemeinde organisiert, aber die Arbeiter müssen von den Betroffenen bezahlt werden. Doch wer hat hier schon so viel Geld auf der hohen Kante und wer war versichert? So gut wie keiner.

Ähnlich trostlos ist die Lage in den Flutgebieten Serbiens. Obrenovac, 30 Kilometer südlich von Belgrad, war am stärksten betroffen. Wochenlang räumten Militär und Flutopfer Häuser und Wohnungen. Der Hausrat – Sperrmüll! In den heißen Frühsommertagen nach dem Hochwasser liegt ein beißender Geruch über der Stadt. Auch hier wird schweres Gerät eingesetzt, die neue Müllhalde türmt sich schon meterhoch. Viele Menschen in Bosnien, Serbien und auch Kroatien haben nahezu alles verloren.

Starkregen und gebrochene Dämme haben Obrenovac Mitte Mai 2014 in eine Seenlandschaft verwandelt. Damit hatte niemand gerechnet, die Menschen nicht und die Behörden wollten es nicht wahrhaben.

Wichtiger als Hab und Gut war die Rettung der Menschen, viele wurden im Schlaf von der Flut überrascht. Keine amtliche Warnung hatte die Opfer vorbereitet, in dieser Region hat es seit über einem Jahrhundert keine solche Überschwemmung gegeben.

Auch in Doboj, einem nordbosnischen Städtchen, stand das Wasser meterhoch. Die nahe Bosna konnte die Regenmassen nicht in die Save abgeben, deren Strömung war zu stark. Die Folge: die Bosna überflutete Städte und Ortschaften an ihrem Flusslauf.

Hier wie dort bleib den Menschen kaum Zeit, etwas zu retten. Das Ferkel hatte Glück – in letzter Sekunde griffen die Männer zu.

Ausgeschwemmtes Heizöl – wohl nicht das größte Problem in diesen Tagen, im ländlichen Raum waren es die zurückgelassenen Tiere

Noch ein Schweinchen im Glück – Maiskolben gegen den ersten großen Hunger. Diese Einzelaktionen konnten nur wenige Tiere retten.

Bosnien, Serbien aber auch Kroatien waren auf diese Naturkatastrophe nicht vorbereitet. Es dauerte, bis die Betroffenen evakuiert, mit Wasser, Brot oder auch Medikamenten versorgt wurden. Die ersten Stunden, manchmal auch Tage, waren sie auf sich gestellt. Erst nachdem die zweite Flutwelle, die diesmal angekündigt war, nicht eintraf, reagierten Behörden und Militär.

In Belgrad kümmert sich ein unabhängiger Regierungsbeauftragter um die Flutopfer, Marko Blagojevic ist allerdings kein Fachmann und mit wieviel Geld er von der EU rechnen kann, weiß er auch noch nicht ganz genau.

Die EU Geberkonferenz hatte Mitte Juli für Serbien 995 Mio. Euro zugesagt, um den Wiederaufbau zu unterstützen. In Obrenovac haben die Aufräumarbeiten Wochen gedauert, obwohl viele Freiwillige geholfen haben – aber wenn die Haushalte einer ganzen Kleinstadt fast das gesamte Mobiliar entsorgen müssen, dann geht das nicht von heute auf morgen.

Das Versagen der Verantwortlichen stinkt zum Himmel: der Notstand für Obrenovac wurde schon am 13. Mai beschlossen, aber erst am 16. Mai haben Sirenen die Bevölkerung gewarnt. Wie viele Menschenleben hätten bei einem rechtzeitigen Alarm gerettet werden können?

Die Flutschäden werden sich in ganz Serbien auswirken, von dem einen Prozent, um das das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr steigen sollte, wird kaum etwas übrig bleiben. Möglicherweise müssen sich die Menschen hier auf eine Rezession einstellen, das prognostizieren zumindest Experten. Die Werte, die sich die Serben seit dem Ende des Balkankrieges wieder geschaffen haben, liegen auf dieser Müllhalde.

Im nordwestlichen Bergland Serbiens hatte das Tiefdruckgebiet "Yvette" nicht nur Überschwemmungen zur Folge, auch Bergrutsche wurden durch – eigentlich kleine Bäche – verursacht. Krupanj hat es besonders schlimm erwischt. Der Ort liegt in einem Tal, das durch zwei normalerweise Rinnsale sein typisches Gesicht erhalten hat. Fast alle Häuser liegen an den Bachläufen. Die Flutopfer hier können immer noch nicht verstehen, wie das passieren konnte. Seit Menschengedenken sind hier noch nie 120 Liter auf einem Quadratmeter heruntergekommen.

Ein Dorf wühlt sich aus dem Schlamm.

Starkregen, Überschwemmung und Erdrutsche – in Krupanj war das alles nicht schlimm genug, die reißende Strömung der Bäche haben Häuser unterspült und wie Legosteine auf Kante gelegt. Hier sind unterkellerte Häuser nicht üblich und so hatte die Wasserkraft leichtes Spiel.

Die Betroffenen sind hilflos, was soll man mit einem umgestürzten Haus machen?

Der Bachlauf wird ausgebaggert und künstlich mit Schleifen versehen, damit das Wasser nicht zu Tal schießen kann, wenn es wieder in Strömen regnet. Die Klimaveränderung macht auch vor dem Balkan nicht halt.

Die ersten Schadenermittler sind in Krupanj eingetroffen. Die Hoffnung auf eine Entschädigung macht den Flutopfern ein wenig Mut.

Swetlana, eine gebürtige Russin, kommt jeden Tag zu ihrem unterspülten Haus. Sie hat sich schon kundig gemacht, mit einer Hydraulik könnte man es wieder aufrichten. Wenn sie als Ausländerin auch entschädigt würde, könnte sie sich die Rettung ihres Hauses leisten.

Die Finanzmittel aus dem Infrastrukturfonds der EU wären hier sinnvoll eingesetzt, wenn Belgrad sie denn für den Straßenbau abgerufen hätte. So ist die Fahrbahn zur Hälfte abgerutscht – lebensgefährlich, aber dennoch nicht gesperrt. Serbien hat den Gesamtschaden der Flut auf 1,5 Milliarden Euro geschätzt, mit stolzen 995 Millionen Euro beteiligt sich die Europäische Union am Wiederaufbau.

Auf dem Weg nach Nordbosnien: An den Bachläufen immer wieder zerstörte Häuser. Hier hatte das Tief "Yvette" Mitte Mai 180 Liter pro Quadratmeter vom Himmel geschickt und dies tagelang.

An dieser Stelle nahm das Verhängnis für den kleinen Ort Topcic Polje seinen Lauf. Der Starinski-Bach aus den Bergen hatte auf seinem rasanten Weg ins Tal Baumstämme, Geröll, sogar riesige Felsen mit sich gerissen und begrub mit dem nassen Erdreich das halbe Dorf. Auch nach zwei Monaten türmen sich noch meterhohe Schlammberge. Manche Häuser sind vollkommen unter den Massen verschwunden.

Den Starinski-Bach haben die Einheimischen inzwischen umgeleitet und sein Bett verbreitert, damit beim nächsten Starkregen die Fließgeschwindigkeit verringert wird.

Tausende Tonnen Erdreich und Geröll müssen abgefahren werden – der Dorfplatz mit dem Basketball Spielfeld ist noch nicht geräumt, die Häuser sind wichtiger.

An das Haus von Familie Kovacevic erinnert nur die gelbe Tafel mit Namen und Telefonnummer. Es ist mittlerweile unter der Schlammlast zusammengebrochen. Nebenan wohnte Neffe Asmir, sein Haus wird gerade freigeräumt.

Mit welcher Wucht das Wasser den Schlamm in die Autos gepresst hat – kaum vorstellbar. Das weist auch daraufhin, wie wenig Zeit die Menschen hatten, sich zu retten. Zum Glück ist in Topcic Polje niemand ums Leben gekommen, aber viele haben alles verloren.

Ist der Ort auch künftig durch den Starinski-Bach gefährdet, gibt es am Berg noch Geröll und loses Erdreich? Macht es überhaupt Sinn, hier wieder aufzubauen? Oder muss der Bach verbaut werden? Fragen, die die Leute hier umtreiben. Die Behörden haben noch keinen Geologen geschickt, der das untersucht. Der deutsche Minister für wirtschaftlich Zusammenarbeit wollte eigentlich Fachleute in das Katastrophengebiet schicken.

Mit 809 Millionen Euro wird sich die Europäische Union am Wiederaufbau beteiligen. Das bedeutet, auch hier werden die Betroffenen entschädigt. Fragt sich nur wann?

Die Menschen freuen sich über die Hilfe, sorgen sich aber, ob das Geld bei ihnen ankommt. Nicht zu unrecht, sowohl Serbien als auch Bosnien-Herzegowina sind korruptionsgebeutelte Balkanstaaten. Und bei derart hohen Summen treibt es gewisse Herrschaften an die Fleischtöpfe.

Das Haus von Asmir Kovacevic – das was bisher freigelegt wurde, sieht vielversprechend aus, es kann vielleicht wieder hergerichtet werden. Doch dann das Aus, die Statik stimmt nicht mehr.

So mancher hier fragt erst keinen Statiker oder gar Architekten, er will keine schlimmen Nachrichten mehr hören, nach der furchtbaren Unglücksnacht.

Topcic Polje hat als einer der wenigen Orte in Bosnien den Balkankrieg einigermaßen unbeschadet überstanden und nun diese Heimsuchung. Es wird noch lange dauern, bis die Menschen im Bosnatal wieder an eine Zukunft glauben können.

Sowohl in Serbien als auch in Bosnien-Herzegowina haben sich Behörden und Verantwortliche nicht mit Ruhm bekleckert, die Katastrophenbewältigung hat schonungslos die Defizite aufgezeigt.

Die Menschen in den Katastrophengebieten des Balkans durchlebten schlimme Tage und Nächte, sie haben Tote zu beklagen, den Verlust von Hab und Gut, von geliebten Haustieren, persönlichen Erinnerungsstücken. Doch so wie die Natur mit Blüten die Narben der Flut überdeckt, so könnte die Solidarität der europäischen Nachbarn, egal ob zur EU gehörend oder nicht, den Menschen hier wieder Mut machen, den Glauben an eine Zukunft wecken.

(Dieser Text ist eine stark verkürzte und redaktionell bearbeitete Fassung des Sendungsmanuskripts.)

Das Sendungsmanuskript als Download Format: PDF Größe: 57,96 KB


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Ulrich Hofmann, Dienstag, 29.Juli 2014, 22:13 Uhr

1. Hochwasser auf dem Balkan

Sehr geehrtes Team von "Nach der großen Flut",
dass Sie sich des Themas annehmen ist sehr zu begrüßen Durch eigene Erfahrungen beim Hochwasser 2002 und dann wieder 2013 geprägt, stießen meine Schüler und ich zuerst in der Presse und im Internet auf die Hochwasserkatastrophe. Wir waren gerade dabei, verschiedene Medien mit ihren speziellen Möglichkeiten zu erschließen. Schnell wurde die Erinnerung an selbst Erlebtes wach und wir entschieden uns zu helfen. Kontakte nach Serbien hatte keiner von uns und auch im Umfeld konnte man uns nicht helfen.
Da wir in einer Berufsschule arbeiten und lernen, meinten wir, dass uns die serbische
Schulbehörde einen Draht zu einer Schule herstellen könnte. Doch auf eine Antwort von
diesem Amt warten wir immer noch. Davon ließen wir uns nicht entmutigen.
Mittlerweile haben wir eine direkte Verbindung mit einer Familie in Obrenovac, die besonders schwer betroffen ist. Sowohl per Mail als auch mittels Telefon und den
sprachlichen Problemen zum Trotz zeigt unser Hilfsprojekt erste Erfolge. Wir haben auf
unserer Schulhomepage unser Anliegen zugunsten der serbischen Familie dargestellt
und zu Spenden aufgerufen. Unverständlich wird uns bleiben, warum verschiedene
Banken beim Transfer der ersten Spendeneuros nach Obrenovac kräftige Gebühren
verlangten - es ist doch mühsam gesammeltes Spendengeld. Mittlerweile haben wir mit
der Chemnitzer Volksbank einen Partner an der Seite, der sich zugunsten unseres Pro-
jektes mit engagiert. Nach den Sommerferien nehmen wir unsere selbst gewählte Aufgabe wieder in Angriff.
Wir hoffen, dass durch Ihren Film zahlreiche Mitmenschen auf die nach wie vor äußerst
angespannte Lage in den Hochwassergebieten aufmerksam geworden sind.
Schüler der 11. Klasse des TGy der Handwerkerschule Chemnitz und der Fachlehrer
für Geschichte/Gemeinschaftskunde Herr Hofmann