BR Fernsehen - Polizeiruf 110


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Warum ein einarmiger Kommissar? Interview zum letzten Selge/May-Polizeiruf

Die zuständige BR-Redakteurin Dr. Cornelia Ackers berichtet von der Zusammenarbeit mit Edgar Selge und Michaela May und lüftet das Geheimnis, wie es zu der Idee eines einarmigen Kommissars kam.

Stand: 26.10.2009 | Archiv

Filmszene aus "Polizeiruf 110 - Endspiel" | Bild: BR/Kerstin Stelter

Lassen Sie uns vom Ende an den Anfang gehen. Wie begann die Geschichte des "Polizeiruf 110" mit Michaela May und Edgar Selge?

Ich weiß es noch wie heute: Ich hatte Edgar Selge als einmalige Besetzung in einer "Polizeiruf"-Geschichte, er ist damals eingesprungen. Und dann stand mir der Mund offen: Da saß der Edgar auf der Stufe, Gaby Dohm kam, er schaute sie an und sagte: "Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie schon hier sind. Ich hab' zwar nur einen Arm, aber zwei Ohren hab' ich ja immerhin noch." Er grinste sie so spitzbübisch und mit so viel Klugheit und calvinistischer Überlebenskraft an, dass ich dachte: "Das ist ja ein starker Typ!" Und dann haben wir beschlossen, ihn als durchgehende Rolle zu besetzen.

Kannten Sie Edgar Selge vorher?

Kommissar Jürgen Tauber (Edgar Selge, re.) und der neue Kollege Matthias Kurz (Wanja Mues) nach einem Discobesuch.

Ich hatte ihn in vielen Inszenierungen an den Kammerspielen gesehen und fand ihn interessant, weil er komplett gegen den Zeitgeist ging. Damals wurde das sehr psychologische und authentische Spiel bevorzugt. Und Edgar war immer wie ein künstlerisches Zeichen. Wie ein Schauspieler, der sich selber noch mal als Handpuppe mitführte. Ich war mir damals aber nicht so sicher, ob er fürs Fernsehen in seiner sehr speziellen Art tauglich ist.

Dann entpuppte er sich als mehr als tauglich. Gab es die Überlegung, Tauber allein ermitteln zu lassen?

Nein, so ein kantiger Mensch wie der Tauber könnte als alleinige Figur gar nicht bestehen. Er braucht jemand, der den Part des Zuschauers übernimmt, wie Michaela May das getan hat. Wo man sich manchmal wundert, ärgert oder manchmal sogar etwas wie ein verletztes Liebesgefühlt empfindet. Und diesen Part haben wir durch Michaela wunderbar besetzt gefunden. Ihre Figur ist im Bayerischen verwurzelt, handfest, mit gesundem Menschenverstand gesegnet - eben der Kontrapunkt zu Tauber. Und die beiden mochten sich auf Anhieb.

Ein einarmiger Kommissar - wie sind Sie denn auf diese Idee gekommen?

Kommissarin Jo Obermeier (Michaela May) wartet auf Kollege Tauber.

Mein Vater war einarmig. Und ich habe beobachtet wie eigensinnig er war. Er wollte sich sein Kotelett selbst schneiden und er hat sich stundenlang ins Herrenzimmer zurückgezogen, um ein System zu finden mit dem er sich ohne Hilfe die Schnürschuhe zubinden kann. Als Kind dachte ich allerdings, es gehört zum Erwachsenwerden, dass man stückchenweise abfällt. Wenn man 40 ist, dann fällt einem der linke Unterarm ab, wenn man 50 ist der rechte Arm und mein Großvater, er war Kunstmaler, der hatte Alben mit Totenmasken aus Gips, und das war für mich als Kind der Beweis, dass zum Schluss nur der Kopf übrig bleibt. Bei der Entwicklung des Kommissars war zuerst ein Bild da: Mein Vater hat immer versucht, mit einer Hand jonglieren zu lernen. Ich sah das, wenn ich in sein Büro kam, er saß mit dem Rücken zu mir und die Bälle fielen runter. "Damit fange ich an", dachte ich mir. Das war die Öse, durch die ich an die Figur komme. Taubers Eigenart, Zurückgezogenheit, der Zynismus, all das lag hinter der Türe der Einarmigkeit.

Siebzehn Filme haben Sie für dieses Ermittlerteam entwickelt und dabei oft heiße Themen angefasst. - Schlepperbanden, Schönheits-OPs, eine Schwangere mit Down-Syndrom - gehörte die gesellschaftspolitische Relevanz zum Konzept?

Geht da alles mit rechten Dingen zu? Tauber beobachtet seinen Kollen und Ms Chao (Young-Shin Kim).

Nein, ich wollte es nicht bewusst besonders originell machen. Das ist immer aus meinem dramatischen Eigenleben entstanden (lacht). Zum Bespiel "Silikon Walli", die Geschichte einer Frau, die sich die Brüste extrem vergrößern lässt. Da war der Ausgangspunkt ein Mädchen, das ich kannte, und das überlegte, sich operieren zu lassen und dann gab es natürlich den realen Fall der Lolo Ferrari, den habe ich gelesen und mir gedacht: In einem Zeitalter, in dem alles machbar ist, muss man umso mehr Haltung entwickeln um zu entscheiden, was muss ich machen, was will ich machen?

Also eigene Erfahrungen als Inspiration?

Ja, zum Beispiel auch bei "Taubers Angst". Da habe ich mit Edgar einen ganzen Abend verbracht, in dem wir uns unsere Kinderängste erzählt haben. Ich hatte als Kind wahnsinnige Angst vorm Teufel, habe den immer als Schatten unter dem Teppich gesehen. Und als Edgar mich noch mit solchen Geschichten überbot, dachte ich: "Wie geht das eigentlich den Kommissaren, die den ganzen Tag mit Mördern, Mord und Totschlag und kaputten Biografien zu tun haben, wieso kriegen die diese Ängste nicht?" Und dann sagte Edgar: "Das ist doch eine wunderbare Geschichte, wir erzählen von einem Kommissar, der die Angst mal kriegt."

Das klingt nach leidenschaftlicher Stoff-Arbeit.

Im Kommissariat: Jo Obermaier, Irmi Wiedemann (Adele Neuhauser) und Jürgen Tauber

Ich kann den Stoffen nur die Kraft verleihen und die Verve geben, wenn ich erzähle, was erzählt werden muss und nicht wenn ich überlege "was sind so politische Dinge, die man mal abarbeiten müsste", oder die Marktforschung frage. Wenn eine Vision da ist, ist das wie eine Lavamasse, die sich als heißer Fluss ein Bett schneidet und dann auch wirklich beim anderen ankommt. Wir wollen wichtige Dinge auf eine besondere Art und Weise mit guten Schauspielern erzählen.

Warum jetzt das Ende?

Ich hätte nicht aufgehört. Ich bin anhänglich. Beide sind mir so lieb und ich hatte das Gefühl, dass ich mit den beiden noch viele Geschichten hätte erzählen können. So brauchte es den kühneren Blick von Edgar, der sagte wir hätten so viele entscheidende Facetten dieser Figur erzählt. Dass er für sich jetzt doch das Gefühl hat, er will aussteigen, wenn es am besten ist. Und nachdem ich gezwungen war nüchtern auf die Palette von Erzählungen zu schauen, hatte ich das Gefühl: Stimmt. Wir hatten so viele Facetten des Lebens beleuchtet, dass es gut ist, neu anzufangen.


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