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Homosexuelle Flüchtlinge "Die Flucht nach der Flucht"

Homosexuelle und Transsexuelle fliehen vor Diskriminierung und Gewalt aus ihrer Heimat. Doch angekommen in Deutschland werden sie nicht selten in den Flüchtlingsunterkünften weiter terrorisiert. In Nürnberg bietet ein Verein diesen Menschen Schutz.

Stand: 14.07.2016

Die Angst ist auch in Deutschland steter Begleiter. Nur wenige homosexuelle Flüchtlinge erhalten in Deutschland Asyl. | Bild: BR

Sofia ist 21 Jahre alt und eine lebenslustige junge Frau, die in einem falschen, einem männlichen Körper steckt. Schon als kleines Kind trug Sofia lieber Röcke und Kleider und träumte davon, eine Frau zu sein. Doch in ihrer Heimat, in Armenien, war ihr Leben als Transsexuelle nicht nur unerträglich, sondern auch gefährlich. Homophobie und Transphobie seien weit verbreitet und tief in der armenischen Gesellschaft verwurzelt, sagt Sofia. Wer sich oute und sich frei zu seiner sexuellen Orientierung bekenne, der riskiere soziale Ausgrenzung, Prügel oder Schlimmeres.

"Ich wurde angefeindet, geschlagen und einige Leute wollten mich umbringen. Mein Leben in Armenien war in Gefahr, deswegen bin ich geflohen. Seit 21 Jahren sehne ich mich einfach nur nach einem Leben in Freiheit."

Sofia

Keine Anerkennung als Transsexuelle

12.00 Kilometer floh Sofia quer durch Europa in der Hoffnung auf ein freies, selbstbestimmtes Leben, bis sie über Umwege nach Deutschland kam. Heute lebt sie in einer Unterkunft für homosexuelle und transsexuelle Flüchtlinge in Nürnberg, der von dem schwul-lesbischen Verein Fliederlich gegründet wurde. Zwar ist Sofia in Deutschland in Sicherheit, doch als Transsexuelle wird sie offiziell bislang nicht anerkannt. Um ihre bereits begonnene Hormontherapie fortsetzen zu können, verlangt der Staat ein psychologisches Gutachten, das ihre Transsexualität bestätigt.

"Der Arzt sagte zu mir, dass ich ohne offizielle Dokumente keine Hormone bekomme. Wenn man als Transsexuelle aber einmal begonnen hat Hormone zu nehmen, muss man sie das ganze Leben lang nehmen. Ich kann aber keinen Psychiater finden und brauche Hilfe!"

Sofia

Verfolgt, verprügelt, vergewaltigt

Auch Sofias Mitbewohner Sasha floh aus seiner Heimat Ukraine. Er ist homosexuell. Schwule würden in der Ukraine systematisch verfolgt und terrorisiert, sagt der 23-Jährige. Denn Homosexualität sei in seinem Land auch heutzutage noch ein Tabu und werde von dem Großteil der Bevölkerung als Krankheit angesehen. Sashas wurde mehrfach verfolgt, verprügelt und vergewaltigt. Nach seinem Outing ließen ihn seine eigenen Eltern in eine Psychiatrie zwangseinweisen, wo er erneut misshandelt wurde.

"Als ich von der Psychiatrie rausgekommen bin, habe ich den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen. Bis heute habe ich keinen Kontakt mehr zu meiner Mama, das tut weh."

Sasha

Trügerische Sicherheit

Die Bewohner der Fliederlich-Unterkunft haben alle Ähnliches erlebt. Sie alle sind vor Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung geflohen. Doch die Angst ist immer noch da. Denn angekommen im vermeintlich sicheren Deutschland erlebten sie in Flüchtlingseinrichtungen erneut Gewalt. Eine Problematik, die Ralph Hoffmann, Gründer und Leiter der Fliderlich-Unterkunft, nur zu gut kennt. Regelmäßig erreichen ihn Hilferufe homosexueller und transsexueller Flüchtlinge, die in Sammeleinrichtungen angegriffen und schikaniert werden.

"Die Geschichten, die zu Hause passiert sind, auf der Flucht, die sind massiv. Ich habe hier Leute, die körperlich verstümmelt sind durch Folter. Die kommen nach Deutschland oder Europa und denken, jetzt kann mir nichts mehr passieren. Und dann erleben sie, dass in den Unterkünften die gleichen Leute sind wie zu Hause."

Ralph Hoffmann, Gründer und Leiter der Fliderlich-Unterkunft

"Homosexualität gilt als Schande für Familie und Gesellschaft"

"Flucht nach der Flucht" nennt Hoffmann das. Oft seien es die eigenen Landsleute, Flüchtlinge aus arabischen Kulturkreisen, die Homosexuelle verfolgten. Schwul oder transsexuell zu sein, sei besonders für Flüchtlinge aus dem arabischen Raum etwas Unreines, Verbotenes. Homosexuelle sind eine Schande für die Familie und für die Gesellschaft. Reza, der eigentlich anders heißt und der große Angst hat, erkannt zu werden, kann das bestätigen. In seinem Land, dem Iran, wird nach geltendem islamischen Strafrecht Homosexualität mit dem Tod bestraft. Schwule werden inhaftiert, gesteinigt, oder an Baukränen aufgeknüpft. Nachdem Reza sexuell missbraucht wurde und er seine Homosexualität nicht länger verbergen konnte, wollte ihn sein Vater der Polizei ausliefern und drohte damit ihn umzubringen. Dem 25-Jährigen blieb nur noch die Flucht, um sein Leben zu retten.

Doch genau wie Sofia und Sasha wurde auch Reza in zwei deutschen Sammelunterkünften von muslimischen Flüchtlingen verfolgt und misshandelt. Seit wenigen Monaten erst lebt er in der Wohngemeinschaft von Fliederlich.

"Ich habe Albträume, meine Seele ist gebrochen. Ich bin hier zwar im Moment in Sicherheit, aber für wie lange? Ich kenne Eure Regierung nicht und weiß nicht, ob ich bleiben kann. Ich habe große Angst, dass sie mich in den Iran zurückschicken, das wäre das Ende für mich."

Reza

Selbst die drohende Todesstrafe ist kein Asylgrund

Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in ihrer Heimat verfolgt werden, haben in der EU seit 2013 zwar ein Recht auf Asyl. Trotzdem erhalten Schwule in Deutschland nur selten Asyl - selbst wenn ihnen in Ländern wie Iran, Saudi Arabien oder im Sudan die Todesstrafe droht.  Denn allein die Androhung von Strafen sind für den Asylanspruch noch nicht ausreichend. Um Schutz vor Verfolgung zu erhalten, müssen die Strafen nachweisbar verhängt worden sein.

Für Sofia, Sasha und Reza bedeutet das weiterhin ein Leben in ständiger Unsicherheit und Angst.

"Ich weiß nicht, ich muss das schaffen, ich muss, weil davon hängt mein Leben einfach ab!"

Sasha

"I have great dreams for my future and I will do sth for the people, sth great,
And also for gays. I am pride, because I am gay."

Reza

Reza, Sasha und Sofia - das sind drei starke, bewundernswerte Menschen, die trotz aller Schwierigkeiten nicht aufgehört haben, für ein freies, selbstbestimmtes Leben zu kämpfen.  

Autorin des Filmbeitrags: Michaela Paul


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