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Springer/Offman Was muss nach dem "Willkommen!" kommen?

Fast ein Jahr ist es her, da sprachen alle von Willkommenskultur. Es war das etwas andere Sommermärchen. Die Euphorie der Anfangszeit ist vorbei. Jetzt geht es ums Eingemachte. Es geht darum, Flüchtlinge Menschen sein zu lassen.

Stand: 22.07.2016

Impressionen von den Münchner Stadtteilwochen | Bild: BR

Im Stadtbild vielerorts gehören sie fast selbstverständlich dazu. Sie packen bei der Unwetterkatastrophe an. Sind bei Straßen- und Stadtfesten dabei. Aber es gibt auch eine andere Seite: brennende Flüchtlingsheime, offen ausgetragener Rassismus auf der Straße und in der Politik. Was muss nach dem "Willkommen" kommen?  Wo stehen wir jetzt? Wir haben uns am Tag der interkulturellen Vielfalt beim Münchner Stadtteilfest Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt auf der Theresienwiese auf die Suche nach Antworten gemacht.

Fragen in einer turbulente Zeit

Verschiedene Initiativen zeigen, wie normal das Zusammenleben mittlerweile ist. Und doch: Einige Künstler beschäftigen sich kritisch mit unserer turbulenten Zeit. In der Installation "Reise nach Europalem" wird gefragt: "Wer ist Freund, wer ist Feind?"
In einem anderen Projekt wollen die Künstler wissen, was die Menschen für unbezahlbar halten. Die Besucher schreiben ihre kostbarsten Werte auf.

CSU-Stadtrat Marian Offman zeigt Gesicht

Der CSU-Stadtrat Marian Offman eröffnete das Stadtteilfest. Wie kaum ein anderer setzt der Münchner sich über alle Parteigrenzen hinweg gegen gesellschaftliche Ausgrenzung ein. Auch den konkreten Herausforderungen blickt er ins Auge:

"Es geht darum, ihnen ein Leben zu ermöglichen, das sie mit uns auf Augenhöhe führen können. Also die Ausbildung und auch die Schule. Die Ausbildung gestaltet sich schwieriger als wir dachten. Wir haben etwa 20 % aus Syrien, die eine gute Vorbildung haben. Aber wir haben auch viele, bei denen es schwieriger ist. Analphabeten beispielsweise, die im Arabischen schon Analphabeten waren. Aber wir müssen das schaffen. Das kostet viel Geld, aber der gesamte Münchner Stadtrat und die Landeshauptstadt München ist gewillt, das zu tun."

Marian Offman, Stadtrat der CSU-Fraktion

Müssen. Wollen. Können.

Eines wird klar: Ein "Wir schaffen das" heißt zugleich auch "Wir müssen das schaffen". Schule, Ausbildung, Arbeit. Diese Integrationsmaßnahmen liegen auf der Hand. Aber was ist mit der gesellschaftlichen Spaltung, die im Moment stattfindet? "Wollen es denn auch alle schaffen?"
Marian Offmans Meinung ist eindeutig. Er zeigt Gesicht und kämpfte von der ersten Sekunde an für eine pluralistische Gesellschaft. Für diese offensive Haltung wurde er auf schlimmste Weise mit rassistischen und als jüdischer Münchner auch mit antisemitisch motivierten Anfeindungen überschüttet, bis hin zu Morddrohungen.

"Wenn man solche Briefe bekommt, das rumort in einem, das arbeitet in einem. Man fragt sich oft: 'Warum tue ich mir das an? Warum muss ich mich mit so etwas konfrontieren?' Aber ich weiß mich in meiner Auseinandersetzung gegen diese Leute nicht alleine. Es ist nicht mehr so, dass in diesem Land ein Nazi einen Juden oder heute einen Moslem treten kann und ihn behandeln kann wie er will. Das würde er gerne machen, aber kann es nicht. Und das erfüllt mich auch mit Stolz."

Marian Offman

Christian Springer sagt: TROTZDEM!

Wir treffen noch jemanden hier, der bekannt ist für seine klare Haltung. Christian Springer. Menschenrechtskämpfer, "Orienthelfer" und scharfzüngiger Kabarettist. Er stellt hier sein neues Programm vor mit dem Titel "Trotzdem!"

"Wir leben ja in einer Zeit, und das merkt ja jeder, wo es fast nur Probleme gibt. Es werden kaum mehr Lösungen angeboten oder es wird kaum mehr gesagt, das kriegen wir schon hin. Sondern wir haben Probleme, weil so viele fremde Leute hier sind, wir haben Probleme mit den Rechten. Wir haben Probleme, weil das Geld weniger wird und wir haben Probleme wegen diesem und jenem, wegen allem eigentlich. Ich glaube, da ist es schon auch mal Zeit als Künstler zu sagen: Hoppla. Trotzdem. Wir müssen trotzdem gute Laune bewahren. Wir müssen trotzdem weitermachen. Trotzdem, trotzdem, trotzdem."

Christian Springer

Hinschauen, wo es weh tut

Christian Springer schaut hin, wo es am meisten weh tut. Er ist im Moment dreimal pro Monat vor Ort im Libanon. Er baut hier Schulen, unterstützt Operationen von kriegsversehrten Menschen, bemüht sich um ein Mindestmaß an Menschenwürde. Mittlerweile bekommt er auch Unterstützung von politischer Seite. Aber angefangen hat er als einer, der selbst anpackt.

Die Macht des Einzelnen

"Ich glaube, wir legen auch zu viel große Erwartungen an unsere Politiker. Politiker zu sein heißt einen Job zu haben. Politiker ist ein Beruf, von denen darf man nicht die Weltrettung erwarten. ich glaube, das was ich mache in meinem Kabarett, das ist schon ein Aufruf an jeden Einzelnen, der da im Publikum sitzt oder auch da draußen und ihnen zu sagen: du kannst auch was tun. Jeder kann im Kleinen anfangen. Die Erwartungen sind immer: man macht jetzt eine Woche was und dann ist nie wieder Regen und dann gibt es nie wieder Hochwasser und dann gibt es keine hungernden Kinder mehr auf dieser Welt und keine Kriege. Und das ist natürlich Blödsinn. Wenn man das also als Erwartung hat, dann haut es nie hin. Aber wenn man sagt, kann ich jetzt mal bei mir zu Hause mit der Oma Frieden schließen oder kann ich mal in meiner Nachbarschaft auf dieser blöden Wiese, die vor unserem Haus ist, die Kinder mal spielen lassen. Ich glaube solche Dinge sind erreichbar."

Christian Springer

Hin zu einer Anerkennungskultur

Mehr Mut, weniger Angst. Weniger Jammern. Mehr Haltung zeigen. Und die Bereitschaft, einen gemeinsamen Takt zu finden. Ein Jahr nach dem Kapitel Willkommenskultur kann der nächste Schritt kommen: Das Schaffen einer Anerkennungskultur.

Auftritte von Christian Springer mit seinem neuen Programm "Trotzdem"

30.07.2016 in Schonstett (FFW Schonstett)

09.09.2016 in Altdorf bei Nürnberg (Aula Mittelschule)

15.09.2016 in München (schlachthof)

16.09.2016 in Bad Reichenhall (Magazin 4)

Autorin des Filmbeitrags: Michaela Wilhelm-Fischer


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