Clin d'Oeil 2022 Das größte Kulturfestival in Gebärdensprache
In diesem Jahr feierte das Clin d'Oeil sein 10. Jubiläum. 2003 als kleines Festival gestartet, bespielt das Clin d'Oeil heute mit insgesamt über 20.000 Besucherinnen und Besuchern aus aller Welt ganz Reims. Das künstlerische Programm ist vielfältig und überwältigend. Seit 2007 immer dabei: Ace Mahbaz.
Sehen statt Hören-Moderator Ace Mahbaz hat es wieder einmal nach Frankreich gezogen, in die kleine Stadt Reims, nordöstlich von Paris. Wieder einmal? - Ja! Immer zur Sommerzeit trifft sich hier eine stetig wachsende Community gehörloser Kulturschaffender und deren Publikum.
Im Jubiläumsjahr sind nun an die 8.000 Gäste aus 50 Ländern angereist - verteilt auf die vier Festivaltage hat der Veranstalter rund 20.000 Besuche registriert.
Das, was so viele zum Clin d'Oeil lockt, ist freilich das unvergleichliche Kunst- und Kulturangebot - und das wollte natürlich auch Ace Mahbaz nicht verpassen!
Zu Besuch bei Theateraufführungen
In dem bekannten Theaterstück "Noises Off" - "Der nackte Wahnsinn", geht es um die Generalprobe einer Theatergruppe, die am berühmten Broadway in New York auftreten möchte. Während der Proben kommen aber Streitigkeiten und Eifersüchteleien auf. Es wird chaotisch.
Die Besonderheit: Es war eine skandinavische Co-Produktion von drei Gruppen aus Schweden, Finnland und Norwegen, mit vielen Schauspielenden.
Die Leiterin der schwedischen Theatergruppe "Riksteatern Crea" hat Ace beschrieben, wie sie die Aufführung überhaupt vorbereitet haben:
"Mira Zuckermann aus Norwegen hatte die Vision, dass sie als Regisseurin ihr letztes Stück mit einem großen Ensemble aufführt. Sie arbeitet ja schon seit 20 Jahren. Sie fragte uns und wir haben sofort zugesagt; auch die Finnen. Wir hatten eine sehr gute gemeinsame Arbeit, trotz Covid. Es ging nur über Zoom, wir konnten uns also nicht gegenseitig besuchen. Das war hart. Als dann wieder alles offen war, haben wir sofort in Norwegen intensiv geprobt bis zu dieser Aufführung."
Mindy Drapsa, Leiterin der schwedischen Theatergruppe 'Riksteatern Crea'
Im europäischen Vergleich wird in skandinavischen Ländern das Theater deutlich mehr unterstützt, finanziell, aber damit natürlich auch ideell.
"Es geht ja nicht nur um das Recht auf den Zugang zur Gebärdensprache, sondern auch um Kultur und Demokratie. Menschen können sich künstlerisch nur dann frei entfalten, wenn es dazu Angebote gibt. Diese fördern die Demokratie. Keine Kultur, keine Demokratie. Das müssen wir also fördern. Der sprachliche Zugang mit Übersetzungen und Verdolmetschungen ist das eine, aber auch die freie künstlerische Entfaltung stärkt das Bewusstsein tauber Menschen für ihre eigene Community. Es macht sie stolz im Sinne von Deaf Power."
Mindy Drapsa, Leiterin der schwedischen Theatergruppe 'Riksteatern Crea'
Auch das IVT aus Frankreich (International Visual Théâtre) präsentierte sich wieder mit einem gefeierten Stück auf der Bühne: "Miss or Mister President", nicht in Französischer Gebärdensprache, sondern in International Sign.
Eine der beiden Leiterinnen des IVT ist Emmanuelle Laborit, auch bekannt aus dem Film "Jenseits der Stille". Sie nennt den Grund dafür: Es gibt ein EU-Projekt, bei dem fünf Länder kooperieren und im Austausch über ihre Herausforderungen und Probleme stehen, um so das Theater weiter voranzubringen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie die Theaterstücke gebärdensprachlich in anderen Ländern aufgeführt werden können: mit International Sign!
"Unser Stück 'Miss or Mister President' haben wir erst in LSF aufgeführt, was im politischen Kontext und bei der Tiefe mit unseren Gebärden genau auf den Punkt gebracht wurde. Wir mussten dann schauen, ob das auch mit International Sign möglich ist, ohne dass dabei die Brisanz oder Inhalte verloren gehen. Wenn ich beide Aufführungen miteinander vergleiche, dann sind sie unterschiedlich. Mit LSF wirkt das Stück schärfer in den Aussagen. Es ist ein anderer Rhythmus. Mit International Sign war ich ganz erstaunt, weil es neue Elemente hatte, die es vorher nicht gab. Es waren viele schöne Dinge, die ich gerne auch beim anderen sehen würde."
Emmanuelle Laborit, Leiterinnen des IVT
Über den Einsatz von International Sign wurde übrigens noch in einem Vortrag dazu diskutiert. Denn die Frage ist, wie groß die Einflüsse von ASL sein dürfen oder auch ob die Signs eher visualisiert oder mehr sprachlich geprägt sein müssen. Dieses EU-Projekt leiten Emmanuelle Laborit und Mindy Drapsa.
Das Village
Im Village stehen inzwischen Zirkuszelte, in denen es ebenfalls Theateraufführungen gibt - und es gibt im Village, also in dem kleinen Dorf, unzählige Stände: Kunst und Schmuck werden angeboten, bedruckte T-Shirts, neue Technologien, Firmen mit Telefondolmetschvermittlungen oder Blitzlichtgeräten präsentieren sich. Auch für andere Veranstaltungen wird geworben. Es gibt Essens- und Getränke-Stände. Und alles wird von tauben Menschen angeboten. In den vergangenen Jahren war dieses "Dorf" klein und übersichtlich - inzwischen nimmt es eine riesige Fläche ein.
Was früher noch sehr klein war und nun sehr groß geworden ist, zeigt, dass es auch immer mehr taube Menschen zur Selbständigkeit gebracht haben.
Das Internationale
Ace hat sich unter den Besucher*innen umgehört: Sie kamen natürlich aus Frankreich, aber auch aus England, Schweden, Tschechien, Niederlande, Schweiz, Schottland, Luxemburg, Polen und sogar aus den USA, Kanada, Indien und Australien. Da Südkorea das diesjährige Gastland war, zeigte die südkoreanische Gruppe "Handspeak" ein Theaterstück und eine Tanzperformance.
"Hier begegnen sich alle auf Augenhöhe. Es ist anders als beim WFD. Da ist die Politik für sich und abgekapselt von den Leuten. Bei den Deaflympics sind die Sportler und Sportlerinnen auch von den Gästen getrennt. Hier in Reims ist es anders. Alle sind zusammen. Ich könnte hier zum Beispiel den WFD-Präsidenten treffen, der hier irgendwo ist, genauso Botschafter oder Leute aus der Wissenschaft. Sie sind alle hier, genauso Kinder. Das ist gut und macht unsere Kultur aus."
Antwort eines Festivalbesuchers bei der Umfrage
Ace persönliche Verbindung zum Clin d'Oeil
Schon zum achten Mal war Ace in Reims, diesmal vor allem als Moderator für Sehen statt Hören. Bei Festivals in der Vergangenheit stand er selbst auf einer der Bühnen - wie das aussah, an was sich er und Freunde, die er dieses Jahr natürlich auch wieder getroffen hat, erinnern - das dürft ihr zusammen mit den vielen Festival-Eindrücken selbst sehen.