Positive Entwicklung Recht auf barrierefreie Information mit DGS!?
Gut informiert zu sein, kann in außergewöhnlichen Situationen wie der Corona-Pandemie überlebenswichtig sein. Daher ist der Aufschrei der Gebärdensprachgemeinschaft wegen fehlender barrierefreier Information nachvollziehbar. Denn: Was nutzen die wichtigen Rechtsgrundlagen, wenn sie nicht umgesetzt werden?!
Die Corona-Pandemie beherrscht seit Wochen das gesamte Leben. Von allen Menschen. Weltweit. Das Informationsbedürfnis ist extrem hoch. Täglich gibt es Pressekonferenzen von Bundes- und Landesregierung, das Robert-Koch-Institut berichtet seit Wochen über die neuesten offiziellen Zahlen und die Lage, Virologen veröffentlichen nahezu täglich neueste Erkenntnisse, Sonder- und Live-Sendungen zu Corona beherrschen die Medien. Doch nicht alle Menschen haben Zugang zu diesen Informationen. Zwar hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention bereits vor gut 15 Jahren unterschrieben – doch die Barrieren sind für Menschen mit Handicap längst nicht abgebaut. Auch im Informationsbereich.
Eigeninitiativen von Einzelpersonen
Da bei der Corona-Krise der schnelle Informationsfluss überlebenswichtig sein kann, wurden die Gehörlosen selbst aktiv: Bereits Anfang März hat Lela Finkbeiner ein Video produziert „Coronavirus: Risiken durch Ignoranz in Punkto Aufklärung in Gebärdensprache“ und veröffentlicht. Die Resonanz war großartig – 40.000 Aufrufe zählte der Film. Zeitgleich starteten drei Frauen, Julia Probst, Katja Fischer und Sabine Heinicke, eine Petition. Auch hier lautete die Forderung: „Corona-Infos auch in DGS“. Empfänger: der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Und auch diese Aktion wurde sehr erfolgreich: über 29.000 Unterschriften konnten schon gesammelt werden. Das Ziel der Truppe ist es, 50.000 Unterstützer zu finden.
Anfrage im Bundestag
Nur wenige Tage nachdem die engagierten Frauen begonnen hatten Unterschriften zu sammeln, wurde der Bundesgesundheitsminister am 11.März öffentlich in einer Anfrage der Behindertenpolitischen Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen, Claudia Rüffer im Bundestag auf das Kommunikationsdefizit in Sachen Corona aufmerksam gemacht. Damals räumte er Versäumnisse ein:
"Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, […] wir arbeiten daran, das auch entsprechend in Gebärdensprache zu übersetzen bzw. den Zugang möglich zu machen. Ich hätte mir auch eine schnellere Umsetzung gewünscht. Aber, Sie können mir glauben, ich werde nicht nur wegen ihrer Frage jetzt, sondern ganz generell dem auch nochmal persönlich, mit etwas mehr Nachdruck nachgehen."
Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister
Für ein persönliches Interview stand der Bundesgesundheitsminister nicht zur Verfügung. In der schriftlichen Antwort auf die Sehen statt Hören-Anfrage erklärte das Ministerium, man arbeite noch immer mit Hochdruck daran.
Aktiver DGB
Auch der Deutsche Gehörlosenbund (DGB) wurde sofort aktiv: Bereits am 1.März wurde der dringende Aufklärungsbedarf in Sachen Corona-Virus erkannt und umgehend schriftliches Aufklärungsmaterial für Gehörlose erstellt. Bereits am 6. März schickte der DGB eine Stellungnahme raus - unter anderem an das Bundesministerium für Gesundheit und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Die Hauptforderung: Ein Gebärdensprachdolmetscher, der bei allen Pressekonferenzen und Informationssendungen im Bild eingeblendet ist.
Was hat sich seither getan?
Inzwischen findet man auf der Webseite des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) viele Links auf YouTube-Videos, in denen Informationen durch Gebärdensprachdolmetscher-Einblendungen verfügbar sind. Dass die Umsetzung der Forderungen des DGB möglich ist, hat das Robert-Koch-Institut bereits am 17. März bewiesen: Das RKI hatte eine Gebärdendolmetscherin bestellt, die live die Pressekonferenz barrierefrei für Gehörlose ins Fernsehbild eingeblendet übersetzte. Das RKI wird innerhalb der Gebärdensprachgemeinschaft als gutes Vorbild gelobt. Auch das Bundesministerium für Gesundheit übersetzt mittlerweile regelmäßig die Pressekonferenzen in DGS. Ein großer Schritt – und trotzdem nur ein Teilerfolg: Längst nicht alle Bundesbehörden senden die Notfallinformationen barrierefrei und in Echtzeit. Dabei ist die Sachlage rechtlich ziemlich klar.
"Wir haben das Bundesbehinderten-Gleichstellungsgesetz das sagt, man darf Menschen mit Behinderungen nicht benachteiligen. Und ganz klar werden sie benachteiligt, wenn Presseerklärungen, sonstige Erklärungen und Pressekonferenzen, die alle - die Lautsprache hören können - hören können, nicht in Gebärdensprache übersetzt werden und sie dadurch ausgeschlossen werden."
Dr. Oliver Tolmein, Rechtsanwalt
Viele Jahre gefordert – jetzt auf dem Weg
Die Forderung nach Barrierefreiheit mit lückenloser Untertitelung und Gebärdensprache in den Medien ist keinesfalls neu - sie besteht schon seit Jahren. Oft wurde der DGB in dieser Zeit mit Aussagen konfrontiert, es gäbe schon genug barrierefreie Angebote. Offenbar brauchte es erst eine Krise diesen Ausmaßes, dass nun die Bedürfnisse gehörloser Menschen verstanden und beachtet werden: Die barrierefreien Angebote in den öffentlich-rechtlichen Medien werden derzeit deutlich ausgeweitet – ein großer Aufwand, wie man bei den Rundfunkanstalten betont. Trotzdem sehen die Medienvertreter die Verantwortung bezüglich Barrierefreiheit nicht nur bei sich selbst: Auch Institutionen wie etwa das Robert-Koch-Institut oder die Bunderegierung sollen sich um die Barrierefreiheit bemühen.
"Ich denke, dass die Bundesregierung hier ein Bewusstsein dafür bekommen muss, dass, aus einem gesamtstaatlichen Verantwortungsbewusstsein heraus und einer Solidarität, gemeinsam mit Medienvertretern, auch für Gebärdensprachdolmetscher in Live-Situationen gesorgt werden muss. Dabei muss auch in Betracht gezogen werden, dass es immer noch Gehörlose gibt, die auf dem Land wohnen oder kein Internet haben – das betrifft sowohl die Internetverbindung als auch ältere Menschen, die sich vielleicht nur über Fernseh-Sendungen informieren können. Für diese Menschen würde erst durch Dolmetscher im Live-Sendebild eine gleichberechtigte Informationssituation entstehen. Untertitel sind schön und gut, aber wir brauchen auch Gebärdensprache im Fernsehen."
Helmut Vogel, Präsident Deutscher Gehörlosen-Bund e.V.
Bleibt nur zu hoffen, dass barrierefreie Informationen mit DGS auch nach Beendigung der Krise weiter verfügbar sind - und die Einrichtungen nicht hinter die jetzigen Umsetzungen zurückfallen.