BR Fernsehen - Sehen statt Hören







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Wenn der Partner schlägt Wo taube Frauen Hilfe finden

Es ist ein Thema, das gerne totgeschwiegen wird, weil viel Scham dahintersteckt: Häusliche Gewalt oder Gewalt in der Partnerschaft. Doch die Zahlen der bekannten Fälle nehmen immer mehr zu – und hörbehinderte Frauen sind sogar dreimal häufiger betroffen als Hörende. Warum haben gehörlose Frauen es besonders schwer, sich zu wehren und auf sich aufmerksam zu machen?

Stand: 05.12.2024 21:56 Uhr |Bildnachweis

Sehen statt Hören trifft Betroffene und gibt konkrete Hinweise, was man tun kann, wenn man selbst oder jemand aus dem persönlichen Umfeld betroffen ist.

Doch das Thema „Gewalt gegen Frauen“ ist so wichtig, relevant und immer aktuell, dass wir uns zu einem inhaltlichen Schwerpunkt zusammengetan haben: „Gewalt gegen Frauen“ ist eine Recherche-Kooperation von Sehen statt Hören, Deutscher Gehörlosen Zeitung, Hand Drauf und Taubenschlag. Das Thema wird aus ganz verschiedenen Perspektiven beleuchtet: Häusliche, partnerschaftliche Gewalt (Sehen statt Hören), Digitalisierte Gewalt (Hand Drauf), Sexuelle Gewalt und Übergriffe im Sport (Deutsche Gehörlosen-Zeitung) und Gewalt und Machtmissbrauch (Taubenschlag). Das gemeinsame Ziel ist, möglichst breit und tief zu sensibilisieren und über Hilfsangebote zu informieren.

Fall 1: Eine Rückkehr mit schlimmen Folgen

Es war ausgerechnet am Weihnachtsfest, als die Situation für die erste Betroffene, die anonym bleiben möchte, eskalierte: Sie wurde nach heftigen Auseinandersetzungen mit ihrem damaligen Partner von ihm gebissen – in ihrem Elternhaus. Die Eltern warfen den gewalttätigen Mann sofort vor die Tür. Die junge Frau ging zum Arzt und zur Polizei – kehrte aber schließlich wieder zu ihm zurück. Da unsere Protagonistin noch in der Ausbildung war und wenig eigenes Geld verdiente, fühlte sie sich finanziell abhängig von ihrem damaligen Partner und kehrte deswegen zu ihm zurück.

Die Gewalt hörte jedoch nicht auf. Im Gegenteil: Sie eskalierte – nicht ausschließlich körperlich, sondern auch psychisch. Sie wurde gewürgt, zum Sex gedrängt, er demolierte die Wohnung, verletzte sogar den Hund, um seinen Willen durchzusetzen. Er kontrollierte sie, setzte die Regeln fest, bestrafte, wenn sie nicht eingehalten wurden. Anvertraut hat sich die junge Frau lange Zeit niemandem mehr. Durch einen Zufall traf sie auf einem Fest einen alten Bekannten, dem sie sich spontan öffnete und alles erzählte. Er war es schließlich, der mitten in der Nacht mit ihr in deren gemeinsame Wohnung fuhr, in der der Täter schlief – und den Hund rausholte.

Sie kam bei ihren Eltern unter. Und zeigte ihn schließlich an. Doch das Ergebnis war ernüchternd: "Ich hatte gehofft, dass meine Anzeige eine Bestrafung zur Folge hätte. Also habe ich den Brief geöffnet und dann stand da: nicht genügend Beweise. Man konnte nicht mehr tun. Und nun - ich war so enttäuscht. Das heißt, er läuft weiterhin frei herum", erinnert sie sich. Zurück blieb eine traumatisierte, eine verunsicherte Frau, die immer in Gefahr  bleibt, ihren Peiniger wiederzutreffen.

Fall 2: Verurteilung nach Messer-Angriff

Der Täter, der unserer zweiten Protagonistin Gewalt angetan hat, wurde verurteilt. In einer Gerichtsverhandlung war er zu monatlichen Zahlungen an das Opfer und Sozialstunden verurteilt worden. Für das, was die Frau erlitten hat, wirkt das Urteil auf sie milde.

Gewalt hatte sie von ihrem Partner schon oft erlebt – doch eines nachts ist die Situation eskaliert: Im betrunkenen Zustand schlug er mit einem Handy auf sie ein, verletzte sie stark im Gesicht, sie war benommen von den Schlägen. Als sie die Wohnung verlassen wollte, kam er schließlich in rasender Wut mit einem Messer auf sie zu, versuchte auf sie einzustechen. Sie schrie, wurde aber nicht gehört – und entkam schließlich. Sie fuhr mitten in der Nacht zu ihren Eltern, die sie davon überzeugten, Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Die Gewaltspuren waren frisch, unübersehbar und wurden dokumentiert. So war die Beweislage eindeutig und das Gericht fällte ein Jahr später das Urteil.   

Jede zweite gehörlose Frau ist Opfer

So wie den beiden geht es vielen Frauen. In Deutschland wird ungefähr jede vierte Frau Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Bei tauben Frauen ist es etwas anders: Prof. Sabine Fries hat von 2011 bis 2015 an verschiedenen Studien dazu mitgearbeitet. „Wir haben einen Aufruf über die Homepage des Deutschen Gehörlosenbundes und Taubenschlag gestartet. Sobald wir ihn veröffentlicht hatten, kamen so unglaublich viele Rückmeldungen, dass wir den Aufruf nach zwei Wochen stoppen und wieder rausnehmen mussten“, erinnert sie sich an die erschütternde Resonanz. „Wir waren echt überrascht und hatten überhaupt nicht erwartet, dass so unglaublich viele gehörlose Frauen von Gewalt betroffen sind.“

Das Ergebnis dieser Studien zu Partnerschaftlicher Gewalt hat gezeigt: 52 % der gehörlosen Frauen sind von Gewalt durch den Partner betroffen. Das bedeutet: jede zweite taube Frau hat bereits partnerschaftliche Gewalt erlebt. Diese Zahl ist schon enorm hoch, doch vermutlich kommt noch eine gewaltige Dunkelziffer hinzu - ein Dunkelfeld des Schweigens.

Quelle: u.a. „Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen im Leben gehörloser Frauen. Ursachen, Risikofaktoren und Prävention“, Endbericht, Hrsg. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2014

Was genau ist partnerschaftliche Gewalt?

Darunter fallen viele Formen von Gewalt, die zwischen Menschen aufkommt, die in einer Beziehung zueinanderstehen, etwa in einer Ehe oder Partnerschaft. Dazu gehören körperliche Übergriffe wie Schläge, aber auch sexuelle Nötigung, Macht und Kontrolle, Drohungen und Erniedrigungen. Auch finanzielle Abhängigkeit kann eine Rolle spielen, zum Beispiel, wenn einer Person Zugang zu Geld verwehrt oder der Umgang damit streng kontrolliert wird.

Sich jemandem anvertrauen

  • Wer Gewalt erlebt, braucht sich dafür nicht zu schämen!
  • Wichtig ist, sich sorgfältig zu überlegen, wem man vertrauen kann.
  • Das können Freunde sein, die Freundin, Familie, Nachbarn – und manchmal sind es auch Menschen, die gar nicht so nah sind, denen man alles einfacher erzählen kann.
  • Diese Person kann beispielsweise dabei helfen, eine Dolmetscherin zu organisieren, kann mitgehen zum Arzt oder zur Polizei.

Arztbesuch

  • Wenn man Gewalt erlebt hat, sollte man so zeitnah wie möglich zum Arzt gehen; nicht nur um die Verletzungen behandeln zu lassen, sondern um alle Verletzungen zu dokumentieren und die Beweise zu sichern.
  • Es werden Fotos gemacht, Abstriche vorgenommen, Blut abgenommen, DNA-Spuren gewonnen. Natürlich nur mit Einverständnis des Opfers.
  • Damit aussagekräftige Beweise gesammelt werden können, sollte das Opfer vor dem Arztbesuch am besten nicht duschen. Auch die Kleidung, die bei der Gewalttat getragen wurde, ist ein wichtiges Beweismittel – also unbedingt mitbringen und nicht vorher reinigen.   
  • Die Ärztinnen und Ärzte unterliegen einer Schweigepflicht – von dieser können sie nur durch die Einwilligung des Opfers entbunden werden.
  • Ohne ausreichende Beweise kann es passieren, dass der Täter zwar angezeigt, aber aufgrund mangelnder Beweislage nicht verurteilt wird. Deswegen ist der Gang zum Arzt und die Dokumentation der Verletzungen so wichtig.

Anzeige erstatten

  • Nach einer Gewalttat sollte sich das Opfer überlegen, ob es Anzeige erstatten will. Der dringende Rat ist, es zu tun.
  • Polizeibeamte  können zum Ort des Geschehens gerufen werden und dort eine Anzeige aufnehmen.
  • Bei einer Anzeige wird alles, was man erlebt hat, genau dokumentiert. Deswegen rät die Polizei allen, die betroffen sind, Details zu den Vorfällen zu notieren: Datum, Uhrzeit, und was genau passiert ist.
  • Wenn die Polizeibeamten vor Ort sind, ist es wichtig sie darauf hinzuweisen, dass man Gebärdensprachdolmetschende benötigt. In manchen Bundesländern müssen die Beamten Dolmetschende organisieren. Man kann bei einem Notruf über TESS das Gespräch auch ferndolmetschen lassen.

Schutz per Gesetz

  • In Deutschland gibt es ein Gesetz, das vor Häuslicher Gewalt schützt – das sogenannte „Gewaltschutzgesetz“ (GewSchG). Wer Gewalt erfährt, kann sich auf Grundlage dieses Gesetzes an das Familiengericht wenden und dort Hilfe und Unterstützung beantragen.
  • Konkret heißt das beispielsweise: „Wer schlägt, muss gehen – das Opfer bleibt“. Der Täter muss aus der gemeinsamen Wohnung raus und die betroffene Person kann weiterhin in der Wohnung bleiben, allerdings nur für eine bestimmte Zeit.
  • Das Gericht kann auch anordnen, dass der Täter nicht in die Nähe der Betroffenen kommen darf und mindestens 50 bis 100 Meter Abstand halten muss.
  • Oder es gibt ein „Kontaktverbot“, das bedeutet: Der Täter darf keinen Kontakt zur betroffenen Person aufnehmen, keine Nachrichten per SMS, Mail oder über soziale Medien schreiben und sie nicht persönlich belästigen.
  • Widersetzt sich der Täter den gerichtlichen Anordnungen, drohen Strafen; im schlimmsten Fall sogar Gefängnis.

Psychische Hilfe

  • Menschen, die Gewalt am eigenen Körper erlebt haben, sind traumatisiert, oft für den Rest ihres Lebens.
  • Für taube Frauen ist es oftmals schwieriger als für hörende, denn sie und der Täter sind häufig in der gleichen Community unterwegs – und die Gefahr ihn wiederzusehen ist hoch.
  • Um mit diesen psychischen Folgen umgehen zu können hilft eine Therapie.
  • Jedoch gibt es für taube Frauen kaum Angebote - nicht in einer adäquaten Form von Kommunikation. Allgemein gibt es nur sehr wenige Angebote in Gebärdensprache.

Hilfsangebote für taube Frauen

Es gibt durchaus Hilfsangebote und Möglichkeiten für taube Frauen, um aus der Spirale der Gewalt herauszukommen. Natürlich geht jede Person ihren  eigenen, individuellen Weg. Sie entscheidet, wo sie sich hinwenden möchte, wem sie sich anvertrauen möchte und ob sie Anzeige erstattet oder nicht.

Anlaufstellen für Opfer

Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“
Beratung in DGS (über Tess) oder Online-Beratung möglich

Hilfetelefon "Sexueller Missbrauch"
Beratung in DGS (über Tess) möglich

Öffnungszeiten: 
montags, mittwochs und freitags, 09:00–14:00 Uhr
dienstags und donnerstags, 15:00–20:00 Uhr

www.hilfetelefon.de/das-hilfetelefon/beratung/beratung-in-gebaerdensprache.html

WEISSER RING 
Wenn nötig, kann auch der WEISSE RING eine/n Dolmetscher/in beauftragen. Der WEISSE RING kann die Dolmetscherkosten für die Erstberatung übernehmen.

https://weisser-ring.de/gehoerlosenhilfe

Aktionsbündnis gegen Gewalt an gehörlosen Menschen  
https://taub-gewalt-stop.net

Bundesweite Frauenhaus-Suche
www.frauenhaus-suche.de

Anlaufstellen für für Täter und Täterinnen 

Berliner Zentrum für Gewaltprävention e.V. (BZfG)
Beratung und Anti-Gewalt-Training, sowohl für Frauen als auch für Männer
www.bzfg.de







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