Okan Kubus Mit Gebärdensprache ans Ziel
Seit 2019 lehrt Okan Kubus Gebärdensprachdolmetschen an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Eine ungeahnte Erfolgsgeschichte. Sehen statt Hören hat Okan Kubus in Magdeburg besucht und viel über Linguistik, Bildungshunger und Selbstzweifel erfahren.
Okan Kubus wurde taub in Ankara geboren, die Eltern waren ebenfalls gehörlos.
"Ich hatte also das Glück, von Anfang an Gebärdensprache zu verwenden, wofür ich sehr dankbar bin." Mangelware waren in dieser Region damals allerdings gute Bildungsangebote für taube Menschen. So kam Okan zu den Großeltern, denn in deren Heimatstadt gab es speziellen Sprech- und Artikulationsunterricht.
Ein echter Glückstreffer
Das war nur der Startschuss für eine echte Erfolgsgeschichte – und einen Zufall: 2006 ist Prof. Dr. Annette Hohenberger, damals frischgebackene Assistenz-Professorin für "Cognitive Sciences", nach Ankara an die Middle East Technical University gegangen. Und dort saß Okan in ihren Kursen. Für sie, die bereits in einem Forschungsprojekt über Gebärdensprachproduktion mitgearbeitet hatte, war Okan eine absolute Glücksbegegnung. "Ich dachte, das ist wie ein Volltreffer. Da ist ein gehörloser türkischer Studierender mit türkischer Gebärdensprache. Das war für mich eine wunderbare Fügung. Und seitdem kennen wir uns und haben zusammengearbeitet", sagt die Professorin, die heute an der Universität Osnabrück lehrt.
Masterarbeit entfacht Leidenschaft
Und für Okan? War die Deutsche ebenfalls eine fast schicksalhafte Begegnung. Mit der Masterarbeit, die mit Annette Hohenberger entstand, wurde Okan immer neugieriger auf die Gebärdensprachlinguistik. "… mich hat das Thema unheimlich gefesselt und ich wollte mehr wissen. Es war ja meine Sprache, die ich auf einmal so wertvoll fand. Das war vorher nicht so. Hier begann also meine Leidenschaft für die Gebärdensprache." Für Okan Kubus war nun klar, dass es unbedingt Personen braucht, die sich der Gebärdensprachforschung widmen, das Gebärdensprachdolmetschen erforschen und der Frage nachgehen, was das Leben von tauben Menschen ausmacht, auch im Alltag.
Doktorprojekt als Meilenstein
Schließlich hat Okan Kubus promoviert. Das Thema klingt für Laien erst mal holzig: Beschreibungen und Erklärungen von Personen in Nebensätzen. Von dem, was Okan Kubus ausarbeitete, profitiert nun die gesamte Forschung. Prof. Dr. Christian Rathmann von der Humboldt-Universität gerät ins Schwärmen: "Das Doktorprojekt ist ein wichtiger Meilenstein im Bereich der Gebärdensprachforschung - bezüglich der Satzkonstruktionen in Gebärdensprache und den Relationen untereinander, wobei auch der Einsatz der Mimik eine Berücksichtigung findet. Und es geht hierbei nicht nur um die Untersuchung einzelner Sätze. Okan hat das viel umfassender untersucht, womit das ein wirklich großer Schritt ist.“"
Nachfolge gesucht
Kein Wunder, dass man spätestens jetzt auf Okan Kubus aufmerksam wurde. Auch Jens Heßmann, Professor für den Studiengang Gebärdendolmetschen an der Universität Magdeburg: Er stand kurz vor der Rente – und war auf der Suche nach einer Nachfolge. Seine Wunschnachfolge: Okan Kubus. Das ist mittlerweile drei Jahre her – und Okan ist Teil des Kollegiums. Ein wenig Zeit brauche es aber schon noch, bis hier ein selbstverständliches und barrierefreies Miteinander geben wird.
"Ich versuche immer mit Dolmetscherinnen zu agieren, damit ein gutes Verhältnis und ein Zusammenwachsen entstehen. Dafür braucht es Zeit. Ich erlebe aber mein Kollegium als sehr offen, das auch gerne mit mir zusammenarbeitet. Dennoch gibt es auch Barrieren, wie bei allen anderen tauben Menschen. Einfach mal so auf dem Flur ein Gespräch führen, geht nicht; oder gemeinsam ins Restaurant gehen und sich entspannt unterhalten."
Okan Kubus
Ein ungewöhnlicher Mensch
Zusammenwachsen, zum Ganzen gehören – für Okan Kubus ist das vielleicht noch etwas komplizierter. Okan ist ein ungewöhnlicher Mensch. Laut Okan hängt das mit verschiedenen Sachen zusammen: mit Taubsein, mit Nichtdeutschsein, mit der Gender-Identität. Okan möchte ohne Pronomen angesprochen werden – also ohne "er" oder "sie".
"… ich wünsche mir Respekt vor meiner Gender-Identität. Natürlich ist das noch nicht überall so verbreitet, aber egal, ich zeige mich, wie ich bin. So sollen andere ein Bewusstsein dafür bekommen, wie sie mich richtig anreden und welche Pronomen sie benutzen können. Innerhalb des Kollegiums habe ich davon noch nichts mitbekommen. Aber egal. Viele der Studierenden kennen das Thema aber schon. Die junge Generation ist dafür schon offener."
Okan Kubus
Okan ist die erste nichtdeutsche Person mit einer Professur, zudem die die erste taube Person an der Universität und vielleicht auch die erste nicht-binäre Person. Kein Grund für Okan sich nicht offen zu zeigen, auch wenn es manchmal nicht ganz so einfach ist. „Wenn ich in einer Situation mit anderen bin, habe ich das Gefühl, alle sind gleich, nur ich bin anders. Ich frage mich: Passe ich hierher?“ Doch Okan ist sich sicher: Wer Teile von sich versteckt, kann nie authentisch sein.
Für all das kämpft Okan – wobei der Fokus im Moment auf der Kommunikation liegt, auf dem Abbau von Barrieren gibt und der Aufklärung, was Taubsein und was Gebärdensprache bedeutet. Okan sitzt dabei genau an der richtigen Stelle: Bei der Ausbildung von Studierenden, die in Zukunft als Dolmetschende tätig sein werden. Wieder ein Volltreffer.
Selbstzweifel bleiben
Für Okan Kubus ging ein Kindheitstraum in Erfüllung. Und trotzdem kommen manchmal auch Selbstzweifel: "…wenn ich zum Beispiel eine Stelle bekomme und ich mich dann frage, werde ich jetzt als Okan Kubus gesehen oder als eine Person, die wegen der Taubheit die Stelle bekommen hat oder wegen dem türkischen Hintergrund? Warum wurde ausgerechnet ich ausgewählt? Das lässt mich zweifeln.“