Porträt Thomas Eller Mein Weg zum 6. Stern
Es ist der Traum von vielen Marathonläufer*innen: alle sechs Sterne der World Marathon Majors Serie zu bekommen. Wer die Marathons in Berlin, London, New York, Boston, Chicago und Tokio läuft, erhält die wichtigste Medaille, die man als Hobbyathlet*in überhaupt in der Karriere erreichen kann - die Six Star Medaille. Thomas Eller ist 2020 kurz davor, als erste taube Person weltweit, dieses Ziel zu erreichen. Doch die Pandemie lässt seinen Traum zerplatzen. Wie Thomas doch noch an sein Ziel kommt und was ihn zu dieser Leistung angetrieben hat, zeigt Sehen statt Hören in einem Porträt.
Mit Thomas Eller lernen wir auch seine Wegbegleiter kennen: Über seinen Freund Rafael Lochowski kommt Thomas Eller zum Laufen. Rafael weiß, dass der allererste Marathon immer besonders bleiben wird – und wählt mit Jordanien einen Lauf durch die Wüste:
"Ich konnte das damals nicht glauben, weil schon beim ersten Marathon ist Thomas sehr schnell geworden. Er ist durch die größte Hitze bei 40 Grad. Er hat den 4. Platz bekommen."
Rafael Lochowski
Diese Erfahrung ist für Thomas einschneidend:
"Das war ein schönes Gefühl; endlich werde ich gesehen - als Mensch. Denn es ist oft so, dass behinderten Menschen keine Beachtung geschenkt wird. Sie werden einfach vergessen. Nun bekam ich Respekt und Lob dafür, etwas Großes geschafft zu haben und das mit meiner Gehörlosigkeit. Es war einfach der Respekt, und das hat mich dann noch mehr motiviert."
Thomas Eller
Thomas Eller weckt der Ehrgeiz: Im Jahr 2019 läuft er insgesamt elf Marathons, darunter auch den Polar-Marathon. Als er von der Medaille mit den sechs Sternen erfährt, organisiert er alles dafür, um an den Wettbewerben teilnehmen zu können: London, Berlin, Chicago, New York. 2020 fehlen ihm nur noch die Teilnahmen in Boston und Tokio.
"Es war in der Schule, als ich an der Tafel stand. Es hat sich wie ein Film eingeprägt. Ich schrieb gerade etwas an der Tafel, als meine Smartwatch vibrierte. Ich kann immer recht unauffällig draufschauen. Die Headline war, dass der Tokio Marathon ausfällt. Plötzlich wurde ich ganz blass: mein ganzer Plan zerplatzte in diesem Moment wie eine große Seifenblase."
Thomas Eller
Thomas ist Lehrer für Mathematik und Englisch an der David-Ludwig-Bloch Schule für Gehörlose in Essen.
"Ich bin gerne Lehrer, weil ich so meine Erfahrungen an die Kinder weitergeben kann. Sie brauchen gehörlose Vorbilder. Ich finde, es gibt in der Welt zu wenig gehörlose Vorbilder. Ich kann mich in sie hineinversetzen und ihnen nachfühlen. Ihre Schwächen, Sorgen und Ängste kann ich verstehen. Ich versuche, ihnen das zu vermitteln, was ich selber im Leben geschafft habe. Es geht also um Deaf-Empowerment. Ja, es ist meine Lebensaufgabe."
Thomas Eller
Eine weitere wichtige Wegbegleiterin ist Petra Klein. Sie ist Nationaltrainerin für Leichtathletik.
"Ich habe Tom vor einigen Jahren kennengelernt und er erzählte mir, dass er gerade einen Marathon gelaufen ist, über 4 Stunden. Ich dachte noch 'naja'. Ein Jahr später trafen wir uns wieder und da waren es schon drei Stunden. Und dann erfuhr ich von einem Freund, dass er unter drei Stunden gelaufen ist. Hoppla! Also nahm ich sofort Kontakt zu ihm auf und holte ihn in die Nationalmannschaft. Er war damals knapp unter 40 Jahre alt. Aber beim Marathon wird die Ausdauer mit den Jahren oft besser. Das war also kein Problem."
Petra Klein, Nationaltrainerin für Leichtathletik
Mit Petra Klein trainiert Thomas nun für seinen 6. Stern. Nach drei Jahren Warten rückt sein Traum immer näher. Am Vorabend des großen Marathons liegt sein Laufshirt schon bereit: darauf ist die Gebärde für Tokio und eine türkise Schleife - als Solidaritätszeichen für die Gehörlosengemeinschaft. Thomas ist eben nicht nur Sportler - er ist Botschafter, Vorbild, Repräsentant:
"Ich bin von so vielen Menschen aus Japan und aus der ganzen Welt angesprochen worden, dass sie mich auf Instagram oder Facebook sehen und mir folgen. Sie freuen sich, mich endlich zu treffen und ich sei eine große Inspiration für sie. Und ich habe von vielen Eltern gehörloser Kinder und von Gehörlosen Nachrichten bekommen, dass ich es morgen machen soll und dass es mein Tag ist, und ich die Welt der Gehörlosen repräsentieren soll und es schaffen werde, die Medaille zu holen."
Thomas Eller
Es ist der 5. März 2023. Die Bilder aus Tokio sind beeindruckend - und auch Thomas Eller beschreibt diese für ihn so wichtige Strecke eindrucksvoll aus seiner Perspektive. Und dann schafft er es: Hinter der Ziellinie wartet eine freudige Umarmung - und seine Six Star Medal! Damit hat er Geschichte geschrieben: als erster Gehörloser mit Six Star Medal.
Die nächsten Ziele
Das nächste Ziel hat sich Thomas schon gesetzt: Die sechs World Marathon Majors möchte er nun innerhalb eines Jahres laufen. Und noch einen großen Wunsch hat er:
"Ich möchte zu den Renndirektoren Kontakt aufnehmen und ihnen meine Philosophie vermitteln, um es für die Gehörlosen einfacher zu gestalten. Es geht um eine eigene Rennkategorie für Gehörlose, damit sich mehr an den Läufen beteiligen, wetteifern können und motivierter sind. Es geht um Untertiteleinblendungen, Dolmetscher vor Ort und darum, dass wir im Startbereich vorne stehen können, um alles mitzubekommen."
Thomas Eller