Ukraine Der Krieg und die Gehörlosen
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs sind nach offiziellen Angaben inzwischen mehr als 600.000 Menschen aus der Ukraine in Deutschland als Flüchtlinge registriert. Darunter sind auch zahlreiche Gehörlose. Sehen statt Hören hat ankommende Geflüchtete begleitet.
Viele Stunden dauern die Fahrten – besser gesagt die Flucht vom Krieg aus der Heimat. Die Menschen, die aus der Ukraine oft mitten in der Nacht mit Bussen oder der Bahn in Deutschland ankommen sind erschöpft, sowohl körperlich als auch psychisch. Wie wichtig es in solchen Momenten ist, am Ziel bereits erwartet zu werden, von Menschen mit denen man kommunizieren kann. Gerade für gehörlose Geflüchtete aus der Ukraine ist das oft herausfordernd. Glücklicherweise finden sich auch gebärdensprachliche ehrenamtliche Dolmetscher, die helfen. Doch die Zahl der muttersprachlichen Übersetzer ist begrenzt und sie sind vor allem in den Großstädten zu finden.
Gruppen nicht trennen
Doch nicht alle kommen in die Städte. Die Verteilung der Geflüchteten läuft nach dem Königsteiner Schlüssel. Das heißt: Sobald Geflüchtete sich in einem Bundesland registrieren, wird dort im Computer die Quote automatisch berechnet, den Geflüchteten wird ein Bundesland zugewiesen – und dort werden sie dann untergebracht. Das soll zur Gerechtigkeit für alle Bundesländer führen. Doch für manche Gruppen ist es ein Problem, wenn sie verteilt werden. Wie bei Gehörlosen. Deshalb setzen sich eine Reihe Helferinnen und Helfer dafür ein, dass taube Ukrainerinnen und Ukrainer zusammenbleiben können.
Düsseldorf
Die 22-jährige Nataliia ist ganz alleine aus der Ukraine geflohen. Ihre komplette Familie, alle Freunde hat die gehörlose Frau zurücklassen müssen. Sie kam über Polen und schließlich mit dem Bus in Düsseldorf an. Dort wird sie bereits vom gehörlosen Dolmetscher Roman Poryadin und einer hörenden Kollegin erwartet. Er macht sich durchaus Sorgen um die junge Frau. Denn erst bei der anschließenden Registrierung wird sich entscheiden, ob Nataliia auch in Düsseldorf bleiben kann.
"Ich bin aufgeregt, ob sie in Düsseldorf bleiben kann oder nicht? Oder ob sie raus aufs Land muss? Wäre sie früher nach Düsseldorf gekommen, wäre es besser. Jetzt verteilen sie eher auf die Kleinstädte. Düsseldorf ist nämlich schon voll. Wir kämpfen für sie, dass sie hierbleiben kann. Sie ist gehörlos, alleine und eine Frau. Sie wär´ ja hilflos. Hier in Düsseldorf ist das Gute, dass es Leute gibt, die Russisch gebärden können und ihr helfen. Ein Helfer-Team gäbe es auch."
Roman Poryadin
Nataliia hat Glück: Sie darf bleiben – und ihr wird als Unterkunft ein Hotel zugewiesen, in dem bereits zwei gehörlose ukrainische Familien sind.
Vier Wochen später hat sich Nataliia eingelebt. Sie unternimmt etwas in ihrer Freizeit und will anfangen zu arbeiten. In Kiew hat sie Modedesign studiert und würde im nächsten Jahr ihren Abschluss machen. Jetzt will sie erstmal mit Putzen Geld verdienen. Mit ihrer Familie steht sie per Handy und Facetime in Kontakt. Doch Nataliia ist sich sicher, dass ihr nicht alles erzählt wird.
"Sie verraten mir nicht alles und sagen nicht, wie ernst es wirklich ist. Sie wollen nicht, dass ich mir Sorgen mache. Ich weiß also nicht, ob das stimmt. Eine Freundin hat mir erzählt, dass es zu Hause viele Bombenangriffe gab. Ich habe meine Eltern aber auch nicht noch mal gefragt. Ich mache mir ständig Sorgen um sie."
Nataliia
Auch wenn Nataliia mittlerweile die Aufenthaltsgenehmigung hat und langsam Anschluss findet, hat sie einen einzigen großen Wunsch: Bald in die Ukraine und zu ihrer Familie zurückkehren zu können.
Köln
In Köln warten die Dolmetscher Anton, Paul und Rafael auf 180 gehörlose Geflüchtete, die mit dem Bus aus Berlin ankommen sollen.
Doch die Geflüchteten wollen nicht weg aus Berlin, sie protestieren und sagen, in Köln gäbe es keine Dolmetscher und Helfer – was laut der ehrenamtlichen Dolmetscher nicht der Realität entspricht. Trotzdem kommt tatsächlich nur ein Bruchteil der erwarteten Menschen an: Gerade einmal 19 steigen aus dem Bus - Frauen und Männer. Gehörlose Männer sind von der allgemeinen Mobilmachung in der Ukraine befreit. Die drei Dolmetscher nehmen die Geflüchteten in Empfang und begleiten sie zur Registrierung. Auch in Köln bangen die Begleiter, dass die Gruppe getrennt werden könnte – doch alle kommen glücklicherweise gemeinsam in einem Hotel unter. Und sie sind froh, aus der Hauptstadt weg zu sein, erzählen von Chaos, nicht erteilten Genehmigungen, fehlender finanzieller Unterstützung. In Köln erhoffen sie sich Klarheit.
Einen Monat später sind alle immer noch in dem Hotel untergebracht, bislang gab es keinerlei Zwischenfälle – nur das Warten machte die Geflüchteten unruhig. Doch jetzt haben alle eine Aufenthaltsgenehmigung – und die Erleichterung ist groß.
Kiew
Doch es gibt auch die Gehörlosen, die in der Ukraine geblieben sind. Wie etwa der Lehrer Vasil. Er lebt in Kiew – und unterrichtet dort nach wie vor. Trotz Krieg, der wie bei allen tiefe Schneisen in seinem Leben hinterlässt. Gleich am ersten Tag fielen die Bomben nur wenige Meter von seiner Wohnung entfernt, zerstörten Häuser und Menschenleben. Er steckte also von Tag eins an mittendrin in der Gefahr und dem Leid. Trotzdem blieb er.
Bis zu 15 Raketenalarme pro Tag hat der Lehrer bereits erlebt – gewarnt wird er als Gehörloser über eine App. Manchmal auch mitten im Unterricht. Auch hier ist natürlich der Krieg ein großes Thema, aber es gibt auch „normalen“ Unterricht - Online. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler nimmt aber ab, denn immer wieder befinden sich manche auf der Flucht mit ihren Familien. Und kommen hoffentlich gut unter…