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Journalistin Franziska Augstein

„Ich kenne diesen Mann.“ Das dachte sich Franziska Augstein, als sie sich vor drei Jahren an eine Biografie über Winston Churchill wagte. Eine Mammutaufgabe, war er doch einer der streitbarsten Politiker des 20. Jahrhunderts.

Stand: 13.06.2024

portrait | Bild: Marlena Waldthausen

Die Mühe hat sich gelohnt: Franziska Augsteins im März erschienene Churchill-Biografie wird von der Presse als besonders ausgewogen gelobt. Zu den herausragenden Verdiensten des ehemaligen britischen Premierministers zählt sie, dass er die Gefahr, die von Adolf Hitler ausging, frühzeitig erkannte.

"Er glaubte fest an die sich selbst korrigierende repräsentative Demokratie, in der das Parlament Fehler der Exekutive bereinigt und deren Urheber, wo nötig, in die Wüste schickt. Außerdem ging Hitlers Machtgier ihm gegen den Strich: Deutschland durfte eine Großmacht sein, aber nicht ein großes Reich wie das Empire. Hinzu kommt: Hitlers Antisemitismus war ihm zuwider."

(Zeit, 19.03.24)

Leidenschaft für Großbritannien

Ihre Zeit in England hat der gebürtigen Hamburgerin bei ihrer Arbeit sicher geholfen. Sie studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Philosophie nicht nur in Berlin und Bielefeld, sondern auch an der University of Sussex. 1996 promovierte sie am University College London mit einer Arbeit über frühe Rassentheorien.

Familienbande

Dabei wäre ihr eine Karriere als Journalistin eigentlich vorbestimmt gewesen. Sie ist die Tochter der Übersetzerin Maria Carlsson und des „Spiegel“-Gründers Rudolf Augstein. Wie sehr ihr Vater sie ein Leben lang geprägt hat, zeigte sie 2002 bei seiner Beerdigung. Ihre Rede widmete sie dem „toten Löwen“.

"Er nahm sich selbst nicht so wichtig, und er hatte Achtung vor allen Leuten, die sich selbst auch nicht so wichtig nehmen. Mein Vater war nicht eitel genug für ein Leben, in dem man kleine Ehren sammelt; und seine Maßstäbe, über die er keine Worte verlor, waren allemal größer als selbst die großen Ehren, die ihm zuteilwurden."

(Die Welt, 26.11.02)

Machtspiele im „Spiegel“-Imperium

Manche interpretierten ihre Rede damals als Wunsch nach mehr Einfluss im Spiegel-Verlag. Ihr Halbbruder Jakob Augstein ist Sprecher der Erbengemeinschaft, der 24 Prozent des Verlags gehören.  Auch in den folgenden Jahren kritisierte sie immer wieder Entscheidungen des Magazins. So warf sie 2005 dem damaligen Chefredakteur Stefan Aust vor, der Spiegel habe seine Rolle als Leitmedium verloren und sei zu einem „Plaudermagazin“ verkommen. 2013 kritisierte sie die Berufung des BILD-Journalisten Nikolaus Blome zum Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros.

Meinungsstarke Journalistin

Aber auch als Journalistin hat die 59-Jährige sich einen Namen gemacht - als Autorin für das „Zeit“-Magazin, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die „Süddeutsche Zeitung“. Für ein Essay über Martin Walser erhielt sie im Jahr 2000 den renommierten Theodor-Wolff-Preis. Im Jahr 2021 kommentierte sie im Spiegel alle zwei Wochen in ihrer Kolumne „Post von Augstein“ gesellschaftliche und politische Entwicklungen. Drei Ratschläge ihres Vaters hätten sie bei ihrer Arbeit stets begleitet, sagt sie.

"Erstens: ‚Schreibe niemals einen Brief, der nicht auch in der Bild-Zeitung abgedruckt werden könnte.‘ Zweitens: ‚Mache dir nur dann jemanden zum Feind, wenn es absolut nötig ist.‘ Ein dritter Rat missfiel mir: Da man die Nichtexistenz Gottes nicht beweisen könne, solle ich mich nicht als Atheistin, sondern als Agnostikerin bezeichnen."

(Der Spiegel, 03.11.23)


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