Bundestagswahlkampf Wie halten es die Parteien mit Russland?
Die Erfahrung sagt: Mit Außenpolitik lassen sich keine Wahlen gewinnen. Und so blieben die Parteien im Wahlkampf meist vage. Über Russland und die Sanktionen wegen der Krim-Annexion wurde wenig diskutiert. Ihre Haltung haben die Parteien aber in ihren Wahlprogrammen festgeschrieben.
In der Russland-Politik gibt es nur wenige Parteien, deren Haltung eindeutig ist: Auf der einen Seite die Grünen, die eine sehr kritische Haltung vertreten. Auf der anderen Seite die Linken, die die Sanktionspolitik ablehnen sowie die AfD, die auch gegen die Sanktionen und für eine Annäherung an Russland sind.
Die anderen Parteien, die wohl in den Bundestag einziehen werden, sind in der Frage gespalten. Deshalb kam dieses sensible Thema im Wahlkampf kaum vor. Auch wenn es direkte Auswirkungen hat auf die Frage, welche Werte wir in Deutschland vertreten und wie wir Sicherheit in Europa erreichen wollen.
Die Hardliner - Die Grünen
Im Wahlprogramm der Grünen ist von der "aggressiven Großmachtpolitik Russlands" unter Präsident Wladimir Putin die Rede.
"Unter Putin hat Russland mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, dem militärischen Vorgehen in der Ostukraine und mit dem brutalen militärischen Eingreifen auf der Seite Assads zu einer erheblichen Verschärfung der internationalen Spannungen beigetragen."
Wahlprogramm der Grünen
Für die Grünen bedeutet das: Reden ja, etwa im NATO-Russland-Rat, aber konsequent bleiben bei den Sanktionen. Die Grünen-Sprecherin für Osteuropapolitik, Marieluise Beck, warnt davor, voreilig zu handeln und ohne Gegenleistung aus Moskau Sanktionen abzubauen.
Viel Verständnis für Russland - Die AfD
Die AfD hat sich klar gegen die Sanktionen positioniert. In ihrem Wahlprogramm heißt es:
"Die AfD tritt für die Beendigung der Sanktionspolitik ein. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland sollte vielmehr vertieft werden."
Wahlprogramm AfD
Der Grund für die Sanktionen – die Krim-Annexion und die militärische Aggression im Donbas – wird dabei nicht erwähnt. Interessant in diesem Zusammenhang: Der AfD-Europapolitiker Markus Pretzell reiste 2016 auf Einladung Russlands via Moskau auf die Krim. Aus völkerrechtlicher Sicht ein Verstoß gegen ukrainische Gesetze, auch in den Reisehinweisen des Auswärtigen Amtes heißt es: Eine solche illegale Einreise ziehe ein Einreiseverbot in die Ukraine nach sich. Und aus Sicht der ukrainischen Regierung sogar Strafverfahren.
Laut AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland schaden die Sanktionen der deutschen und der russischen Wirtschaft und bringen nichts. Gauland sieht die Annexion der Krim als Rückkehr Putins zu einer alten zaristischen Politik, dem so genannten "Einsammeln russischer Erde". Ein Gedankenkonstrukt, das auf völkischen Nationalismus hinausläuft.
"Das müssen wir nicht mögen, das ist auch zum Teil nicht immer völkerrechtsgemäß. Aber wir brauchen eine gemeinsame Ordnung mit Russland und wir brauchen keine Konflikte, die wir mit Russland austragen."
Alexander Gauland, AfD-Spitzenkandidat
Ein dauerhafter Frieden in Europa sei nur möglich, wenn sich das Verhältnis zu Russland entspanne. Die AfD fordert, Russland in eine "sicherheitspolitische Gesamtstruktur" einzubinden – eine Forderung, die sich auch in anderen Parteien wiederfindet, etwa bei der Linken.
Gauland war es auch, der Russland bei einem Wahlkampfauftritt in Pforzheim als "christliches Bollwerk gegen eine islamische Landnahme" pries und damit als Verbündeten gegen Flüchtlinge ins Spiel brachte. Dabei lässt er allerdings außer Acht, dass mehr als zehn Prozent der russischen Bevölkerung Muslime sind.
Der Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Stefan Meister, bewertet die Russland-Politik der AfD so:
"Da ist auch ein gewisser Anti-Amerikanismus zu sehen und ein, ich würde sagen, instrumenteller populistischer, Russland-freundlicher Kurs, der nicht besonders reflektiert ist."
Stefan Meister, Leiter des Robert-Bosch-Zentrums, DGAP
Konsequente Merkel, gespaltene Union
Bundeskanzlerin Angela Merkel gilt als zentrale Figur in der deutschen wie in der europäischen Russland-Politik. Ihre Partei, die CDU, hat sie auf eine härtere Linie eingeschworen, weiß dabei aber nicht alle hinter sich. Wirtschaftsnahe Gruppen in der CDU etwa drängen auf Kompromisslösungen. Ähnlich sieht es in der Schwesterpartei CSU aus. In ihrem Bayernplan heißt es: "Die Russland-Sanktionen dürfen nicht zum Dauerzustand werden." Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer war im Frühjahr mit großer Wirtschaftsdelegation nach Moskau gereist und hatte dort Putin getroffen, eingefädelt hatte das Treffen Seehofers Vorgänger Edmund Stoiber. Mit Blick auf diese Ausgangslage plädiert Merkel für eine Mischung aus Konsequenz und Dialog.
"Ich habe mich immer dafür eingesetzt, bei aller Härte auch bezüglich der Sanktionen, dass gleichzeitig der NATO-Russland-Rat nicht aufgehoben wird, dass wir die NATO-Russland-Akte einhalten, weil das die Voraussetzung ist, um im Gespräch zu bleiben."
Angela Merkel, Bundeskanzlerin
Sonderfall Nordstream 2
Weniger konsequent agierte Merkel beim Thema "Nordstream 2", also der Pipeline, durch die in zwei Jahren russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland fließen soll. In der EU wird das als Angriff auf das erklärte Ziel der Energie-Diversifizierung gesehen, Länder wie die Slowakei und Polen wollen verhindern, dass ihnen Transitgebühren für den Gastransport entgehen. Das Projekt liegt gerade der SPD am Herzen, nicht zuletzt wegen des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der inzwischen als Gaslobbyist für Russland arbeitet. Auch die deutsche Wirtschaft ist eng eingebunden. DGAP-Russlandexperte Stefan Meister geht davon aus, dass Merkel anders als bei den Sanktionen gegen Russland nicht bereit war, einen großen Konflikt mit dem Koalitionspartner und der Wirtschaft auszutragen.
"Sie hat das Thema Nordstream unterschätzt, auch die Sprengkraft in der EU und auch wie es das Image Deutschlands gegenüber Partnern in der EU letztlich beschädigt."
Stefan Meister, DGAP
Meister zufolge hat Merkel die Sache laufen lassen und möglicherweise gehofft, dass sich das Problem in Brüssel über die EU-Kommission klären lässt. Das sei aber bei einem inzwischen so politisierten Thema nicht möglich, das gehe nur im Konsens mit den anderen EU-Staaten.
SPD in der Tradition der Ost-Politik
Bei den Sozialdemokraten ist das Thema Russland alles andere als einfach. Als Koalitionspartner hat die SPD die Sanktionen zwar mitgetragen. Allerdings sieht sich die Partei in der Tradition der Ost-Politik von Willy Brandt und Egon Bahr. Viele Genossen glauben nach wie vor an "Wandel durch Annäherung". Sie haben es verinnerlicht, dass damals im Kalten Krieg der Schlüssel zur deutschen Frage in Moskau lag.
Und auch wenn heute andere Vorzeichen gelten und eine moderne Ostpolitik neben Russland auch die anderen Ex-Sowjetstaaten wie Ukraine im Blick haben muss – an der Parteibasis der SPD, sagt Stefan Meister, ist der harte Sanktionskurs gegen Russland umstritten.
Auffallend hier: Außenminister Sigmar Gabriel gab zuletzt dem deutschen Ableger des staatlichen russischen Auslandssenders RT zwei Interviews. Dabei ging es auch um den Krieg im Osten der Ukraine und den Stillstand bei der Umsetzung des Minsk-Abkommens. Gabriel sprach dabei von zwei beteiligten Seiten: der Ukraine und den Separatisten. Den russischen Anteil erwähnte er nicht. Auch traf Gabriel auffällig oft Putin und hat sich dafür stark gemacht, auch schon bei kleinen Fortschritten im Minsk-Prozess Sanktionen zu lockern.
Hoffnung auf bessere Beziehungen zu Moskau - Die FDP
Die FDP scheint in ihrer Haltung zu Russland gespalten zu sein, hat es auch bisher eher vermieden, allzu deutlich Stellung zu beziehen. Auf der einen Seite stehen Politiker, die immer wieder auf die Menschenrechtsverletzungen in Russland verweisen und eine klare Haltung zu dem Land einfordern. Es gibt aber auch Politiker, die eine pragmatische Realpolitik fordern. Im Wahlprogramm liest sich das wie eine Mischung aus Druck und Dialog.
"Solange Präsident Putin seine Interventionspolitik fortsetzt, müssen […] die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten und eine Wiederaufnahme Russlands in die G8 ausgeschlossen werden. Im Falle einer erneuten militärischen Eskalation müssen die Sanktionen gegen Russland weiter verschärft werden. Im Gegenzug können Sanktionen bei einem substanziellen Einlenken der russischen Regierung gelockert oder aufgehoben werden."
Wahlprogramm der FDP
Für Furore sorgte dazu ein Zeitungsinterview mit Parteichef Christian Lindner. Darin äußerte Lindner die Befürchtung, dass man die Annexion der Krim „zunächst als dauerhaftes Provisorium ansehen“ müsse, um an anderen Stellen Fortschritte erzielen zu können. In Russland wurden solche Aussagen wohlwollend aufgenommen. Lindner erntete aber auch Kritik, der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin etwa ist der Ansicht, dass der FDP-Chef dadurch die Verletzung des Völkerrechts ignoriere oder sogar rechtfertige. Lindner selbst reagierte mit einem Online-Video auf die Kritik:
Oberthema der Linken: wir sind gegen Krieg
Nach Einschätzung des DGAP-Russlandexperten Stefan Meister ist die Linkspartei Russland sehr gewogen, dem liege aber eine andere Haltung zu Grunde:
"Ich glaube, das Oberthema der Partei ist letztlich: Pazifismus - gegen Krieg sein. Es ist ein gewisser Anti-Amerikanismus und ein sehr kooperativer, sehr freundlicher Kurs gegenüber Russland zu sehen."
Stefan Meister, DGAP
Die Linken sehen Russland mehrheitlich mit großem Wohlwollen, sprechen dabei aber nicht nur mit einer Stimme. Es gibt ausgesprochen russlandfreundliche Politiker - Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht etwa, die den Vorstoß von Lindner ausdrücklich begrüßt hat. Oder die Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrke und Andrej Hunko, die durch Reisen auf die annektierte ukrainische Halbinsel Krim und in den ukrainischen Donbass aufgefallen sind. Sie sind auch scharfe Kritiker der Sanktionen gegen Russland. Es gibt aber auch einen gemäßigten Reformerflügel, die für ein differenziertes Russland-Bild werben.
Ihre Anträge beim Parteitag im Juni, die Krim-Annexion zu verurteilen und Menschenrechtsverletzungen in Russland zu benennen, bekamen allerdings keine Mehrheit. Im Wahlprogramm der Linken heißt es, Sicherheit könne es nur mit und nicht gegen Russland geben.
"Zwischen der EU und Russland bestimmen Sanktionen und Gegensanktionen das Bild. Wo Abrüstung geboten wäre, dominiert auf beiden Seiten verbale und militärische Aufrüstung."
Wahlprogramm der Linken
Erklärtes Ziel der Linken ist es, die NATO aufzulösen und ein "kollektives Sicherheitssystem" zu entwerfen, das Russland mit einbezieht.
Und was will der Kreml?
In Moskau hatte man gehofft, dass die SPD stärker ist und die Wahl vielleicht sogar gewinnen kann. Eine Jamaika-Koalition, rein rechnerisch derzeit denkbar, hätte aus russischer Sicht den Nachteil, dass dann die Grünen mit ihrer bekannt russlandkritischen Haltung mitregieren würden.
DGAP-Experte Stefan Meister geht davon aus, dass Putin im Prinzip akzeptiert hat, dass er weiter mit einer Bundeskanzlerin Angela Merkel leben muss, am besten dann in einer Neuauflage der Großen Koalition. Zentral für Russland sei aber letztlich die Frage: wie stark wird die AfD?
Kommentieren
nikolaus S., Sonntag, 24.September 2017, 12:47 Uhr
14. Russlandpolitik
Den zweiten Weltkrieg haben wir für Lebensraum im Osten geführt. Lebensraum im Osten brauchen wir nicht mehr, wir brauchen Absatzmärkte und Ressourcen. Dafür brauchen wir keine riesigen Armeen, wir machen das viel subtiler, mit der EU, mit Assoziierungsverträgen, mit der EU Erweiterung. Eine kleine bunte Revolution, ist immer hilfreich, selbst wenn die Regierung durch demokratische Wahlen gebildet wurde. Natürlich helfen Sanktionen. Es ist schon erstaunlich dass fast alle Parteien und die Medien den gleichen Leitlinien folgen. Eine Opposition gibt es nicht, jeder abweichende Gedanke wird sofort sanktioniert.
In der Ukraine schießt man mit Kanonen aufs eigene Volk. Es schert sich niemand. Es sind ja bloß Russen. Das in der Ukraine ein echter Bürgerkrieg tobt, wird nicht wahrgenommen. Man verhandelt nicht mal mit den Rebellen, nur über Moskau.
Sophia, Samstag, 23.September 2017, 01:40 Uhr
13. Außenpolitik und Beziehung zu Russland bei mir sehr wohl wahl(mit)entscheidend
Da die Grünen für meine Begriffe nichts Fundiertes (keine Beweise) vorlegen, sondern gegen Putin dauernd nur wettern, sind sie bei mir sofort ausgeschieden.
Kritik üben ja, aber doch nicht in diesem reißerischen Stil, und gleichzeitig bei ukrainischem Fehlverhalten auch noch wegschauen?
Zwar weiß ich noch nicht, welche Partei ich wähle, aber die Grünen mit ihrem Poltern sicher nicht. Und es war die Außenpolitik!
Ich suche eine Partei mit kühlem Kopf und Pragmatismus.
Max, Freitag, 22.September 2017, 20:03 Uhr
12. Respekt
Allen Kommentatoren.
Vernüftig und sachlich dargestellt, was längst überfällig ist. Somit auch Dank dem BR für das Thema der öffentlichen Diskussion zugänglich zu machen.
Mit Bezug auf die Krim kann man noch beitragen, dass sie von 1941 bis 1944 unter deutscher Herrschaft war. Nach der fruchtbaren Schlacht um Sevastopol. Unter wiederum grössten Opfern wurde sie nach zwei Jahren von der Roten Armee zurückerobert.
Geschichtsvergessen sind diejenigen, die jetzt mit Sanktionen kommen und dabei nur das Geschäft der USA betreiben...
Besonders hervorzuheben dabei die Grünen, die die eigenen Friedensideale mit Füssen treten und zu keiner differenzierten Betrachtung zu Russland fähig sind.
Ein kritischer Leser, Freitag, 22.September 2017, 18:33 Uhr
11. Nach den Naziverbrechen in der Sowjetunion sind die Sanktionen eine Schandtat.
Nach den Naziverbrechen in der Sowjetunion sind die Sanktionen gegen Russland eine Schandtat. Haben unsere Politiker bei den Sanktionen kein schlechtes Gewissen? Will man damit das russische Volk spalten? Das Land destabilisieren? Haben wir nicht schon genug destabilisierte Länder mit vielen Flüchtlingen?
Henriette , Freitag, 22.September 2017, 18:19 Uhr
10. Die Russen wollen unsere Freunde und Handelspartner sein.
Wir dürfen keine Freunde und keine Handelspartner sein. Wir müssen die Sanktionen immer wieder verlängern, auch wenn wir uns damit selbst schaden. Weil es die USA und GB so wollen. Die Welt ist ungerecht. Nur Die Linken haben den Mut es zu kritisieren.