Die K(ontroll)-Frage Kampf ums Kanzleramt
Zwei Außenseiter, zwei Machtpolitiker: Angela Merkel und Martin Schulz kämpfen um das Vertrauen der Wähler. Eine Erfahrung, die beide eint: Wo andere scheiterten, behielten sie die Kontrolle. Jetzt wird das auf die Probe gestellt.
Im Wahlkampf geht es um Kontrolle. Skandale, Probleme, Peinlichkeiten - alles gilt es zu vermeiden im Kampf ums Kanzleramt. Alles muss glatt laufen und gut aussehen in den kurz getakteten Terminen, im Nahkampf mit den Wählern. Die Kontrovers-Reporter sind dabei, wenn die Bundeskanzlerin die Firma Brainlab in München besucht, jeder Schritt sorgsam ausgeleuchtet ist und man die Person Angela Merkel, ihren Humor und Spontanität lange im Scheinwerferlicht suchen muss. Und sie sind dabei, wenn Martin Schulz auf seiner Bayerntour den staunenden Kommandanten der Freiwilligen Feuerwehr Kösching trifft und wie aus dem Lexikon die Daten seiner Mannschaft runterrattert: "Der Kreisbrandmeister war hier. Modulare Trupp-Ausbildung. Neun Frauen, die den Abschlusskurs belegt haben." Selbst mit der Freiwilligen Feuerwehr in Kösching kennt er sich aus, der Kanzlerkandidat aus Nordrhein-Westfalen. Alles unter Kontrolle? Sicher.
Aber Kontrolle ist viel mehr als Wahlkampf. Das Ringen um sie durchzieht das Leben von Angela Merkel und Martin Schulz.
Angela Merkel, Kanzlerkandidatin von CDU und CSU
Angela Merkel wird 1991 Frauen- und Jugendministerin. Sie hat eine atemlose Blitzkarriere hinter sich: Pressesprecherin des Demokratischen Aufbruchs, Sprecherin der ersten freigewählten DDR-Regierung – sie ist gerade mal 37 und innerhalb von zwei Jahren Spitzenpolitikerin geworden.
Martin Schulz, Kanzlerkandidat der SPD
1987 wird Martin Schulz Bürgermeister in Würselen. Der jüngste in Nordrhein-Westfalen. Er ist 31 und hat schwere Zeiten hinter sich. Er wollte Profifußballer werden. Sein Knie wollte das nicht. Eine riesige Enttäuschung. Martin Schulz fängt an zu trinken.
"Da hatte ich schon auch so Momente wo ich neben mir stand. Und dachte: Das bist du nicht selbst. Um dann darauf festzustellen: Doch, das bist du sehr wohl. Und Gottseidank hatte ich dann irgendwann auch genau diese Feststellung dass ich irgendwann auch kapiert hab: Du kannst nicht vor dir fliehen, du musst zu dir selbst stehen. Wahrscheinlich hat mir das am Ende auch geholfen und das Leben gerettet."
Martin Schulz
Und es prägt den Politiker, dem Würselen bald zu klein wird. Der nach Europa aufbricht, dort Karriere macht, aber dessen Aufstieg 2002 jäh zu stocken droht. Die Presse befindet ihn für ein politisches Leichtgewicht – ein "neues Gesicht" für Brüssel wird gesucht. Seine letzte Chance: der Auftritt des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi im Europäischen Parlament. Es soll ein Showdown werden - Schulz provoziert und Berlusconi verliert die Haltung: "Herr Schulz, ich weiß, dass ein Produzent in Italien gerade einen Film über die Konzentrationslager der Nazis dreht. Ich werde Sie für die Rolle des Kommandanten vorschlagen. Sie wären perfekt." Martin Schulz wird schlagartig bekannt.
"Das war eine Chance. Er hat sie genutzt."
Jean Asselborn
Fragile Kontrolle
Was Martin Schulz und Angela Merkel verbindet: beide waren Außenseiter. Keine Ministerpräsidenten mit einer starken Hausmacht innerhalb der Partei im Rücken. Beide wurden unterschätzt und während andere strauchelten, setzten sie sich durch. Martin Schulz gibt als Präsident dem Europäischen Parlament Gewicht und Selbstvertrauen. Angela Merkel macht die Finanzkrise 2008 zur Krisenkanzlerin. Auch dank einer risikoreichen Strategie, mit der sie und Peer Steinbrück vor die Presse treten.
Dennoch müssen beide erleben, wie fragil Sicherheiten sind. Als sich Angela Merkel im September 2015 dafür entscheidet, Flüchtlinge aus Ungarn unkontrolliert einreisen zu lassen, wird das Deutschland und ihre politische Familie in ernste Turbulenzen bringen. Die CSU fordert Grenzkontrollen, auch unter der Bedingung Flüchtlinge abzuweisen. Sie schimpft und fleht öffentlich und hinter verschlossenen Türen. Die Kanzlerin geht lange nicht darauf ein; die Union stürzt in eine Krise.
"Solche Dinge belasten natürlich die Hauptbeteiligten. Da können Sie nicht nur, damit wieder Einigkeit in der Öffentlichkeit präsentiert wird, inszenieren. Dass sie vor die Öffentlichkeit treten und zeigen: ach, es ist wieder alles erledigt! Es war zwar schwierig, aber jetzt ist alles wieder wunderbar. Das glaubt doch kein Mensch."
Horst Seehofer
Martin Schulz wird im Frühjahr der Kandidat der SPD. Ein beispielloser Hype beginnt. Von 605 Parteitags-Delegierten wählen ihn 605 in Berlin zum Parteichef. 100 Prozent - das gab es noch nie. Und es wird eine Bürde. Martin Schulz ist plötzlich nicht mehr Außenseiter sondern "Sankt Martin". Eine ungewohnte Rolle. Drei Landtagswahlen gehen verloren und machen den Hype zur Geschichte.
Im Kampf ums Kanzleramt müssen Martin Schulz und Angela Merkel alles einsetzen, die Kontrolle zurück zu gewinnen oder zu behalten. Noch wenige Wochen, dann wird sich entscheiden, wem von ihnen das gelingt.