"Ich war damals verantwortlich für eine Glaubensschule von Erwachsenen. Wir dachten, wir könnten auch mal etwas Konkretes tun und alle haben übereingestimmt, dass wir einmal im Monat in das Stadtgefängnis gehen und einen Besuch bei den Gefangenen machen. Wir kamen dort hin und sahen zu unserem Erschrecken auch eine Zelle für Kinder und Jugendliche: Das wirkte auf uns wie etwas aus dem Mittelalter. Einer der Jugendlichen aus dieser Zelle, der 17-jährige Cicero Deodato da Silva Neto, ließ mir nach unserem Besuch ein Brieflein zukommen. Zunächst einmal habe ich dieses Brieflein ein bisschen vergessen, bis ich daran wieder erinnert wurde. In diesem Moment wusste ich auch, was ich tun muss: Ich muss zum Jugendrichter gehen und diesem zeigen, was dieser Junge wünscht. In dem Brieflein stand die Bitte drin, dass er freigelassen wird. Schließlich tat der Jugendrichter etwas, was ungewöhnlich war: Er hat nämlich einem Justizangestellten befohlen, diesen Jugendlichen aus dem Gefängnis zu holen. Zehn Minuten später saß dieser im Amtszimmer des Jugendrichters und der Jugendrichter schaute zuerst einmal lange ihn an und dann mich. Er hat dann den Jugendlichen gefragt: 'Willst du das halten, was du in deinem Brief versprichst?' Mich hat er gefragt, ob ich bereit sei, die Verantwortung für diesen Jugendlichen zu übernehmen. Ich dachte mir: 'Das ist doch genau das, was dieser Jugendliche erwartet und was auch ich will.' Also habe ich zugestimmt. Dann gab es noch die Unterschriften unter ein Dokument für die Verantwortung dieses Aktes. Und schließlich sagte der Richter: 'Esta entrege!' Diesen Ausspruch habe ich bis heute nicht vergessen, denn er lautete: 'Er ist übergeben!' Damit meinte er, der Jugendliche ist nun mir anvertraut."

Gerhard Brandstetter