Report München







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Voll auf Risiko? Ein CSU-Politiker und die Immobilienwirtschaft

Der Kronacher Landtagsabgeordnete Jürgen Baumgärtner ist im Gespräch für den Posten des Aufsichtsratschefs der neuen staatlichen Wohnungsbaugesellschaft in Bayern. Doch sein Engagement in einem Kommunalunternehmen in Kronach wirft Fragen auf.

Von: Fabian Mader

Stand: 30.04.2024 |Bildnachweis

ARD Player Poster
Wahlplakat mit Jürgen Baumgärtner  | Bild: BR
Voll auf Risiko?: Ein CSU-Politiker und die Immobilienwirtschaft

Neulich im Bayerischen Landtag.  Mit ihm wollen wir sprechen:

Gespräch

Reporter : "Herr Baumgärtner, ich grüße Sie. Wir hatten uns angemeldet."

(Eine Tür knallt.)

Reporter : "Gut"

Versteckt sich der CSU-Landtagsabgeordnete hinter diesem Vorhang? Seit Monaten bitten wir ihn um ein Interview. Warum so abweisend?

Jürgen Baumgärtner, CSU, Landtagsabgeordneter: "Wenn Sie was gewollt hätten, hätten Sie mich angerufen. Dann hätten wir das geklärt. Aber so, ihre Kommunikation ist…"

Jürgen Baumgärtner, CSU, Landtagsabgeordneter: "Hören Sie auf zu filmen, hören Sie auf mich zu filmen."

Reporter: "Ich habe Ihnen eine Anfrage geschickt ans Büro. Und die wurde… und ich habe angerufen."

Jürgen Baumgärtner, CSU, Landtagsabgeordneter: "Nein. Nein. Nein. Hören Sie auf mich zu filmen."

Kameramann: "Ich bin hier im Landtag, hier darf ich filmen."

Jürgen Baumgärtner, CSU, Landtagsabgeordneter: "Nein, mich filmen Sie nicht."

Reporter: "Wir haben aber eine Dreherlaubnis für den Landtag."

Kameramann: "Ich filme meinen Kollegen."

Warum weicht Jürgen Baumgärtner seit Monaten unseren Interviewanfragen aus?

Der Vorsitzende des Bauausschusses im Landtag ist im Gespräch, Aufsichtsratschef der neuen staatlichen Wohnungsbaugesellschaft in Bayern werden. Mit vielen tausend Wohnungen. Der geeignete Mann?

Millionenschwere Immobiliengeschäfte

Oktober 2023 - unterwegs nach Kronach im Norden Bayerns, in Baumgärtners Wahlkreis. Damals ist er Strategievorstand des Lucas-Cranach-Campus, kurz LCC. Ein Kommunalunternehmen, das zunächst Studierende nach Kronach holen will, ein durchaus erfolgreiches Vorzeigeprojekt.

Aber unter Baumgärtners Führung macht der LCC mit Unterstützung des Landkreises millionenschwere Immobiliengeschäfte. Kauft etwa dieses Anwesen - und 644 Wohnungen. Macht viele Millionen Euro Schulden. Ein Erfolgsprojekt?

Unsere Recherche schlägt hohe Wellen. Jürgen Baumgärtner ruft an. Er will wissen, was wir recherchieren. Und mit wem wir sprechen. Wir schauen uns den aktuellen Jahresabschluss des LCC von 2022 an. Und werten ihn gemeinsam mit unserem Recherchepartner der Augsburger Allgemeinen aus.

Das Unternehmen hat 2022: Verbindlichkeiten von mehr als 78 Mio. Euro.
Schreibt rote Zahlen. Der Landkreis schießt 2,2 Millionen Euro Steuergeld zu.
Die Eigenkapitalquote: 0,75% Prozent.

Weder der LCC noch Jürgen Baumgärtner antwortet in einem Interview oder schriftlich auf unsere Fragen. Das Landratsamt Kronach teilt uns immerhin mit, Ziel sei, die Eigenkapitalquote in den nächsten Jahren sukzessive zu erhöhen. In München treffen wir den FDP-Politiker Daniel Föst - einen der erfahrensten Baupolitiker in Deutschland:

"Aber müsste da nicht irgendwann mal die Aufsicht einschreiten? Irgendwas zu finanzieren mit einer Eigenkapitalquote von 0,75% - jedes Unternehmen am Markt wäre damit nahezu pleite. Die würden von der Bank kein Geld mehr kriegen. Ein derart hochrisikoreiches Geschäft einzugehen ist Glücksrittertum. So ein Geschäft macht man eigentlich nicht."

Daniel Föst, FDP, Wohnungsbaupolitischer Sprecher Bundestagsfraktion

"Wir reden von 78 Millionen Verbindlichkeiten und der Landkreis hat einen Gesamthaushalt von etwa 100 Millionen Euro."

Reporter

"Hoffentlich wissen die Damen und Herren in Kronach, was sie tun."

Daniel Föst, FDP, Wohnungsbaupolitischer Sprecher Bundestagsfraktion

In Düsseldorf treffen wir Professor Sven-Joachim Otto. Seit Jahren berät er Kommunalunternehmen. 0,75% Eigenkapital. Reicht das?

"Ich habe schon viele Wohnungsbauunternehmen kommunaler Art beraten. Da sind Eigenkapitalquoten von 20 Prozent und mehr üblich. Bei gut und robust dastehenden kommunalen Wohnungsbaugesellschaften sehe ich auch 50 Prozent und mehr Eigenkapitalquote. Aber eine sozusagen mikroskopisch kleine Eigenkapitalquote, verbunden mit rund 80 Millionen Euro Schulden, das ist sicher nicht akzeptabel."

 Prof. Sven-Joachim Otto, Berater für Kommunalunternehmen

Weitere Zahlen fallen ins Auge. Trotz der roten Zahlen gab der LCC laut Jahresabschluss 2022 hunderttausende Euro für Berater aus. Spendete 410.000 Euro an eine gleichnamige Stiftung und leaste Fahrzeuge.

Acht KFZ-Kennzeichen können wir zuordnen. Mindestens acht Fahrzeuge bei 10 Vollzeit- und 11 Teilzeitkräften! Nicht nur Nutzfahrzeuge, sondern auch diese Autos: Den BMW nutzt ein naher Verwandter von Baumgärtner, auch er arbeitet beim LCC.

Auffallend: Mehrere aktuelle oder ehemalige Mitarbeiter des LCC sind CSU-Parteifreunde. Auch dazu von Jürgen Baumgärtner: kein Interview! Keine offizielle Stellungnahme.

Dichtes Netz von Unterstützern

Der CSU-Mann hat ein dichtes Netz von Unterstützern vor Ort aufgebaut. Auch in anderen Parteien. Wir sprechen mit zahlreichen Kommunalpolitikern demokratischer Parteien, die den LCC kritisch sehen. Ein Interview vor der Kamera lehnen sie alle ab. Warum? Wir bekommen Antworten wie diese:
"Er ist der König im Landkreis. Viele haben einfach Angst, ihn zu kritisieren."
"Wenn ihm etwas nicht passt, ist er rücksichtslos (…) Ich trau mich einfach nicht, mich da offen zu äußern."

Kann das sein? Der Landtagsabgeordnete Tim Pargent schickte nichts weiter als einige Fragen zum LCC an die bayerische Staatsregierung.

"Kurz nachdem ich meine Anfrage an die Staatsregierung gestellt habe, hat mich Herr Jürgen Baumgärtner hier in München zwischen Tür und Angel überrumpelt. Und versucht zur Rede zu stellen. Von wem ich die Informationen hätte, warum ich hier überhaupt Fragen stelle und was mich das eigentlich anginge. Ich persönlich fand es bemerkenswert und ungewöhnlich, denn einerseits ist mir sowas in meiner fünfjährigen Zeit hier im Bayerischen Landtag noch nicht passiert, so ein forsches Auftreten und andererseits ist es ein normaler Vorgang, dass die Opposition und die Abgeordneten Fragen an die Regierung stellen."

Tim Pargent, Bündnis90/Die Grünen, Finanzpolitischer Sprecher Landtagsfraktion

Als wir Fragen versenden, schickt uns die Junge Union aus Baumgärtners Wahlkreis eine E-Mail. Darin heißt es, dass "nun manche Journalisten des BRs selbst mit Hetzern, Internettrollen und AfD-Sympathisanten paktieren."

Wir zeigen das Schreiben dem Vorsitzenden des Bayerischen Journalistenverbands.

"Hier haben wir's nicht mit einer Berichterstattung zu tun, der man irgendwie Fehler unterstellen kann. Sondern das ist eine Recherche, also es versucht jemand eine Berichterstattung zu verhindern oder zumindest zu behindern. Und das ist ein Punkt, wo man schon dann sagen muss, die Freiheit der Berichterstattung hat hier Vorrang."

Harald Stocker, Vorsitzender Bayerischer Journalistenverband

Wir recherchieren natürlich weiter und stoßen auf diese Immobilie: Als offenbar die Renovierung zu teuer wird, verkauft sie der LCC weiter. Im Jahresabschluss 2022 taucht das Anwesen mit 435.000 Euro auf. Ein Bekannter Baumgärtners kauft es für 280.000 Euro. Ein SPD-Kommunalpolitiker.

Unser Fazit: Hunderttausende Euro an Spenden, Beratungskosten, gewagte Immobiliengeschäfte und rote Zahlen. In einer Email weist Jürgen Baumgärtner, alle Vorwürfe pauschal mit Nachdruck zurück. Aber unsere konkreten Fragen beantwortet er weder schriftlich noch vor der Kamera, trotz mehrerer Angebote. Seinen Vorstandsposten beim LCC gibt er Ende 2023 auf.

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Oliver Plewa, Dienstag, 07.Mai 2024, 18:18 Uhr

13. Entscheidung auf breiter Basis

In insgesamt 38 Sitzungen ist dieses Vorhaben in allen Gemeinde - und Stadträten sowie im Kreistag mit seinen Vor- und Nachteilen intensiv diskutiert worden. Wahrscheinlich hat man in der Geschichte des Landkreises kein Projekt so intensiv in den kommunalen Gremien behandelt wie die Rekommunalisierung dieser Wohnungen. Am Ende haben sich rund 98 % der kommunalen Mandatsträger in verschiedenen Abstimmungen für den Ankauf entschieden. Letztlich ist man zu der Entscheidung gekommen, dass die Investition, trotz der Größenordnung, im Sinne der Landkreisentwicklung und damit die richtige ist.
An der eigenen Nase muss man sich sicherlich bei der Kommunikation rund um dieses Projekt fassen. Offensichtlich ist es nicht gelungen die nötige Transparenz und damit das Vertrauen zu schaffen, das dieses Vorhaben verdient hätte. Leider hat der BR mit seiner Berichterstattung auch nicht dazu beigetragen, obwohl man alle dafür nötigen Informationen gehabt hätte.

Freundliche Grüße

Oliver Plew

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Oliver Plewa, Dienstag, 07.Mai 2024, 18:13 Uhr

12. Entscheidung auf breiter Basis

Sehr geehrte Damen und Herren,
in Ihrem TV-Beitrag „Ein CSU-Politiker und die Immobilienwirtschaft“, suggerieren Sie, dass der Lucas Cranach Campus eine One-Man-Show sei. Wie ist man zu dieser Einschätzung gekommen?
Mit dem Verkauf von 644 Wohnungen inmitten der Stadt Kronach standen fraktionsübergreifend für alle politisch Verantwortlichen des Landkreises viele Fragen im Raum. Bei allen war die Sorge groß, dass die Wohnungen in die Hände von ausschließlich profitorientierten Investoren geraten. Ein solches Szenario hätte entweder zur Folge haben können, dass noch weniger Wohnraum für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen zur Verfügung gestanden hätte oder, dass in die Gebäude schlichtweg nicht mehr investiert worden wäre und herunterkommen.
Beides wäre weder im Sinne der Mieterinnen und Mieter, noch im Sinne der Entwicklung von Stadt und Landkreis Kronach gewesen. Auch aus diesen Gründen hat man den Ankauf seitens der öffentlichen Hand forciert.

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Bettina Seliger, Dienstag, 07.Mai 2024, 14:53 Uhr

11. ist das alles?

Offensichtlich kommentiert ein Bundestagsabgeordneter, Herr Geissler. Das verwundert mich, denn dessen Ebene ist doch eigentlich der Presserat, der Rundfunkrat oder die Intendantin selbst.

Zugegeben, das Verhalten von Herrn Baumgärtner zu Beginn des Beitrags war nicht in Ordnung.

Insbesondere aber die öffentlich-rechtlichen Sender sollten doch in allen Bereichen glaubwürdig und objektiv berichten. Wenn das alles wahr ist, was auf dieser Seite kommentiert wird, dann gibt es zu viele Widerspruche, die einem investigativen Journalismus nicht dienlich sind.

Können Sie den Vorwurf, dass eine Berichterstattung durch Herrn Baumgärtner verhindert werden sollte, weiter untermauern?
Wenn es nicht mehr gibt als hier dargestellt, dann ist der Vorwurf des BR fast einer üblen Nachrede gleichzusetzen.

Ich hoffe sehr, dass Sie mit der einseitigen Berichterstattung nicht durchkommen.

  • Antwort von Die Redaktion, Dienstag, 07.Mai, 16:38 Uhr anzeigen

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Stefan Heinlein, Dienstag, 07.Mai 2024, 11:13 Uhr

10. Keine ausgewogene Recherche, manipulativ und definitiv falsch dargestellt

Durch den Erwerb des Areals konnte der notwendige zweite Kindergarten mit der Kinderkrippe erweitert werden und es wird auch die Verkehrssicherheit für die kleinsten Gemeindebürger verbessert, weil es jetzt einen direkten Zugang zum Kindergartengrundstück geben kann. Unser Marktgemeinderat hat dieses äußerst schwierige Projekt in einer Sitzung positiv verabschiedet damit es gemeinsam mit dem LCC auf den Weg gebracht werden kann. Die Zielrichtung hierbei war von Anfang an, dass der LCC sich in allen Landkreisgemeinden für bezahlbaren Wohnraum engagiert. Bevorzugt wird hier nicht die grüne Wiese, sondern jahrzehntelange Leerstände und Brachen. Absolut Fassungslos macht mich diese Sequenz vor allem, weil Sie doch eigentlich genau über das Verfahren und über die Ziele bei dieser Brache bestens Bescheid wussten. Trotz ihres Wissens sahen Sie keine Veranlassung dieses für unser Pressig wirklich sehr gute Projekt in einem falschen Licht darzustellen.
Mit freundlichen Grüßen Stefan Heinlein

  • Antwort von Die Redaktion, Dienstag, 07.Mai, 11:29 Uhr anzeigen

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Stefan Heinlein, Dienstag, 07.Mai 2024, 11:09 Uhr

9. Keine ausgewogene Recherche, manipulativ und definitiv falsch dargestellt

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich beziehe mich heute auf ihren Beitrag in der Sendung „Report München“ vom 30.04 In diesem Bericht haben Sie auch eine kurze Sequenz der Brache in Pressig im Ortsteil in Rothenkirchen eingeblendet. Dem Betrachter ihrer Reportage wird unser Abgeordneter und Mitbegründer des LCC, Jürgen Baumgärtner so dargestellt, dass Objekte einfach wahllos, planlos und ohne jegliche Legitimation Grundstücke und Häuser im Landkreis aufkauft.Die sachliche Wahrheit über dieses Anwesen möchte ich ihnen klar darlegen. Seit Jahrzehnten steht das ehemalige Hotel in der Mitte der Ortschaft leer und ist nicht nur eine Behausung für Geziefer. Jahrelange Bemühungen dieses Objekt städtebaulich zu revitalisieren, schlugen fehl. Das Gebäude wurde durch den LCC zunächst aufgeräumt und entrümpelt und soll jetzt in eine Wohnanlage für junge Familien umgewandelt werden.

  • Antwort von Die Redaktion, Dienstag, 07.Mai, 11:29 Uhr anzeigen

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