Hörpfade binational - Leben mit NS-Geschichte War mein Großvater ein Verbrecher?
Dachau in Oberbayern und Mauthausen, Gusen und St. Georgen in Oberösterreich: vier Orte mit Gemeinsamkeiten. Manche sind offenkundig, werden doch vor allem Dachau und Mauthausen häufig als Synonyme für NS-Terror und Vernichtung gebraucht. Andere Parallelen spüren und erleben nur diejenigen, die selbst in diesen Orten leben, die alle einmal Standorte von Konzentrationslagern waren.
BürgerInnen beider Regionen haben sich im Audioguide-Projekt "Hörpfade binational" mit ihrer Heimat und den Nachwirkungen der NS-Geschichte auseinandergesetzt: Wieso nähen Frauen in Mauthausen ein Dirndl für eine Nachfahrin der Dachauer Familie Wallach? Was tun, wenn bei Bauarbeiten am Bahnhof plötzlich Krematoriumsasche aus dem KZ zum Vorschein kommt? Wie ist das, einen SS-Mann und Lagerbewacher als Großvater zu haben?
Zwischen Vergessen und Erinnern
Sechs Tage lang haben 23 Männer und Frauen Anfang März 2020 in Österreich Schauplätze besichtigt, Gespräche über Familiengeschichten geführt, in historischen Quellen recherchiert, getextet und aufgenommen. Sie waren in einem Wohnviertel unterwegs, das quasi auf den Ruinen des Konzentrationslagers Gusen steht, und haben einen Journalisten besucht, dessen Thesen über das Stollensystem "Bergkristall" heftig umstritten sind. Sie erfuhren, dass das Schicksal der Frauen in den Lagerbordellen der Konzentrationslager lange Zeit ein Tabuthema war und fragten Anwohner in St. Georgen, was sie vom neuen Besucherzentrum halten, das derzeit dort entsteht.
Nachbarinnen geben Interviews
Einige Interviews arrangierten Bernhard MühIeder von der Gedenkstätte Mauthausen und Andrea Wahl von der Bewusstseinsregion Mauthausen-Gusen-St. Georgen für die Teilnehmenden. Andere Gespräche waren nur möglich, weil ein Teil der Laien-Reporter selbst in der Region lebt, dort viele private Kontakte hat und Vertrauen aufbauen konnte. Ein Vorteil, den auch die Teilnehmerinnen der ersten Projektphase in Dachau im Sommer 2019 bereits erlebten.
"Am meisten begeistert hat mich dieses Binationale in dieser Woche. Wir waren ein echt gutes Team, zwei aus Deutschland, zwei aus Österreich. Und die Maria hat uns ihren Ort gezeigt und uns bei sich zum Kaffee eingeladen."
Sascha, Student an der Bundeswehr-Universität in München
"Das war mir auch wichtig, dass sie sehen, wie man da wohnt. Und sie waren auch alle erstaunt, dass es so schöne Häuser mit tollen Gärten sind."
Maria, Rentnerin aus Gusen
Besonders war auch die Zusammensetzung der Gruppe: Von 16 bis 73 Jahren reichte die Altersspanne, es waren SchülerInnen, Studenten, Berufstätige und RentnerInnen dabei, die auf Augenhöhe zusammenarbeiteten.
"Wir haben uns voll gut mit der Martina verstanden, wir werden’s wahrscheinlich auch im April besuchen in München, und der Altersunterschied war wirklich egal."
Anna, Schülerin aus Perg
"Was mir besonders Spaß gemacht hat, war die Zusammenarbeit von Jung bis Alt."
Robert, Rentner aus Lungitz
Alle Audios auf der Klingenden Landkarte
Neun Audios entstanden in der intensiven Woche, Mediencoaches des Bayerischen Rundfunks und des freien Bürgerradios Radio FRO in Linz betreuten die Teilnehmenden bei allen Schritten: Sie erklärten die Funktionsweise der Aufnahmegeräte, erarbeiteten mit ihnen gemeinsam die Struktur der Beiträge, unterstützten beim Texten und beim Sprechen.
Produziert wurden die Beiträge dann in Linz bei Radio FRO und beim ORF und bei beiden Sendern werden die "Hörpfade binational" auch zu hören sein: Radio FRO sendet alle neun Audios, der ORF integriert fünf Stücke in seine Sendereihe "Betrifft: Geschichte" auf Ö1. Außerdem sind alle im Juli 2019 in Dachau und im März 2020 in Mauthausen-Gusen-St.Georgen entstandenen Audios über die Klingende Landkarte abrufbar.
Kooperationspartner
Initiatoren der "Hörpfade binational" sind der Bayerische Volkshochschulverband, der Bayerische Rundfunk, die Stiftung Zuhören sowie die Bewusstseinsregion Mauthausen–Gusen–St. Georgen (Österreich). Kooperationspartner in Österreich war Radio FRO (Freier Rundfunk Oberösterreich), außerdem unterstützten die KZ-Gedenkstätte Mauthausen und der ORF das Projekt. Gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER).