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40 Jahre Seveso Umweltkatastrophe mit Nachwirkungen

Es war eine der Umweltkatastrophen, die die Welt aufhorchen ließen. Dabei wusste kaum jemand um die Folgen, als am 10. Juli 1976 in Seveso, um 12.37 nördlich von Mailand ein Chemiereaktor explodierte.

Von: Jan-Christoph Kitzler

Stand: 10.07.2016

Spezialisten in Schutzanzügen entnehmen Gewächs- und Bodenproben in der Umgebung von Seveso, um sie auf giftige Rückstände zu untersuchen. Am 10.7.1976 war aus einem undichten Kessel des Chemiewerkes Icmesa am Stadtrand der Gemeinde Meda nahe Mailand eine Giftgaswolke explosionsartig ausgetreten. Durch den Wind verteilte sie sich auf ein weites Gebiet südlich von Meda und sank schließlich in der Nachbargemeinde Seveso nieder. Erst nachdem am 14.7. Blätter von den Bäumen fielen und Kleintiere eingingen, wurden Proben des Giftes analysiert. Es handelte sich um die hochgiftige, organische Substanz Tetrachlordibenzodioxin, kurz TCDD.  | Bild: picture-alliance/dpa/ ANSA

Marzio Marzorati war damals 17, lebt schon immer in Seveso und hat dieses Unglück hautnah erlebt:

"Die erste Reaktion, vor allem der jungen Leute aus meiner Gegend war Ungläubigkeit über das, was da passiert war, Unwissen, Unverständnis. Aber als dann in den nächsten Tagen nach und nach die Tiere gestorben sind, und als es die ersten Fälle von Brandwunden gab, begann die Sorge, als die ersten evakuiert wurden."

Zeitzeuge Marzio Marzorati 

Menschen bekamen Chlorakne

Marzorati hat damals wie etwa 300 andere auch Chlorakne bekommen. Heute ist er Vizepräsident des großen Italienischen Umweltverbandes Legambiente in der Lombardei. Was damals auf dem Gelände der Chemiefabrik der Icmesa, die zum Roche-Konzern gehörte, passierte, beschreibt er heute so: 

"Der Reaktor, der chemische Substanzen zubereitete, vor allem Unkrautvernichtungsmittel, war überladen und dann über das Wochenende unbeaufsichtigt gelassen worden. Und diese Nicht-Aufsicht einer chemischen Reaktion in einem sehr veralteten Reaktor hat zu einer Explosion geführt. Und die hat dann den Austritt einer giftigen Wolke bewirkt."

Zeitzeuge Marzio Marzorati

Sechs Quadratkilometer verseucht

Die Dioxinwolke verseuchte ein ein mal sechs Kilometer großes Gebiet, das dicht besiedelt war. Und die größte Katastrophe war vielleicht das Versagen der Behörden. Die nicht nur die Bürger im Unklaren ließen, sondern auch selbst planlos waren, sagt Marzorati.

"Die ersten Tage waren unglaublich. Dieses Nichtwissen. Der Bürgermeister musste bei der Firma anklopfen, um zu erfahren, was passiert war. Es gab eine vollständige Nicht-Sorge um die Risiken, die die Produktion für die Gegend bedeutet hat."

Zeitzeuge Marzio Marzorati 

Erst nach den Fällen von Chlorakne, nach dem Fund von mehr als 3.000 Tierkadavern wurde Seveso, nur 20 Kilometer nördlich von Mailand, militärisch abgeriegelt. Rund 700 Familien mussten evakuiert werden – das passierte aber erst zwei Wochen nach der Katastrophe. Und diese Frauen waren sich sicher, nie mehr zurückzukehren.

Weniger folgenschwer als befürchtet

1983 demonstrierten Greenpaece-Aktivisten wegen verschwundener Giftfässer

Das Seveso-Unglück am 10. Juli 1976 hat sich in das Gedächtnis Italiens eingebrannt. Dabei waren die Folgen letztendlich weniger gravierend als befürchtet. Die Sterblichkeit bei den Anwohnern hat sich nicht erhöht – dennoch mussten viele jahrzehntelang mit der Unsicherheit leben. Das Gelände konnte inzwischen weitgehend saniert werden. Heute wächst auf der einst verseuchten Fläche ein Eichenwald.

Angst vor Missbildungen

Aber damals war das nicht so klar. Schwangere Frauen sorgten sich wegen möglicher Missbildungen, einige von ihnen ließen sich zur so genannten therapeutischen Abtreibung bewegen.  Man wusste nicht um die Folgen dieses Unglücks. Denn Dioxin hatte man im Labor erforscht, aber nie die großen Folgen für ein Gebiet, Seveso wurde ein Labor, um zu verstehen, welche Folgen diese Verseuchung haben konnte.

Heute kann man sagen: Seveso ist damals halbwegs glimpflich davongekommen. Der Roche-Konzern hat Gemeinde und Menschen entschädigt. Damit steht der Ort besser da als andere, an denen es industriebedingte Umweltkatastrophen gegeben hat.

Gerüchte um Fässer-Entsorgung

Die Spuren der hochgiftigen Abfälle, die bei der Entsorgung entstanden sind, haben sich verloren. Es gibt den Verdacht, dass die 41 Stahlfässer in der damaligen DDR auf einer Deponie in Mecklenburg-Vorpommern entsorgt wurden. Aufgeklärt wurde das bis jetzt nicht.


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