Baden-Württemberg Für Kretschmann wird es eng
Grüne und CDU liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen im Wahlkampf. Die SPD tut sich schwer im Schatten des grünen Landesvaters Winfried Kretschmann. Die guten Umfragewerte der rechtsgerichteten AfD bringen das politische Gleichgewicht ins Wanken. Am Ende könnte die FDP entscheiden, wer die Macht bekommt.
Das Thema Flüchtlingspolitik dominiert den Wahlkampf in Baden-Württemberg – auch wenn es eigentlich ein bundespolitisches ist. Winfried Kretschmann ist der erste grüne Ministerpräsident in der Geschichte der Bundesrepublik. Sein Mantra: In Zeiten der Krise geht er auf Konsens – auch mit dem politischen Gegner, auch mit der Kanzlerin. „Auf dem richtigen Weg“ ist sein selbstbewusster Wahlkampfslogan.
Kretschmann, Markenzeichen weißer Bürstenschnitt und grüne Krawatte, kommt über die Parteigrenzen hinweg gut an. Laut einer aktuellen Umfrage ist eine sehr große Mehrheit der Baden-Württemberger mit der Politik ihres Ministerpräsidenten zufrieden. Selbst die Mehrzahl der CDU-Wähler würde sich bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten für Kretschmann – und eben nicht für den eigenen Kandidaten Guido Wolf – entscheiden. Kretschmann gibt sich präsidial.
"Die größte Herausforderung in diesem Wahlkampf ist, dass es ein Wahlkampf in einer großen Krise ist, nämlich der Flüchtlingskrise. Man muss einfach sehen, ein gewisser Bodensatz der Bevölkerung ist fremdenfeindlich. Und das kommt in solchen Krisen einfach hoch. Dagegen kann man erstmal nicht so viel ausrichten. Wir können nur versuchen zu verhindern, dass sich solche fremdenfeindlichen, angstbesetzten, ablehnenden, nationalistischen Dinge in die Mitte der Gesellschaft vorfressen."
Winfried Kretschmann (Grüne), Ministerpräsident von Baden-Württemberg
Die drei Buchstaben AfD spart sich Winfried Kretschmann. Aber es ist klar, dass er sie meint. In der Mitte der Gesellschaft, in die die Partei zielt, ist nicht Platz für alle. Das kostet anderen Parteien Stimmen. Darunter hat auch die SPD zu leiden.
Impressionen aus Baden-Württemberg - von Johannes Mayer
Nils Schmid, 42 Jahre alt, ist Realist – und er hat dem Land als Wirtschafts- und Finanzminister vier ausgeglichene Haushalte in Folge beschert. Jungenhaft, charmant, dynamisch – ohne große Show. Er versucht, mit anderen Themen zu punkten – und die alles dominierende Flüchtlingspolitik außen vor zu lassen.
Messbaren Erfolg hat er damit nicht. Vor einem dreiviertel Jahr haben die Wahlkampfstrategen der SPD schon beschlossen, dass Nils Schmid gar nicht mit dem Anspruch auf den Chef-Sessel antreten soll. Sondern nur um eine Verlängerung seines Ministerjobs wirbt. Als Juniorpartner des präsidialen Landesvaters Winfried Kretschmann. Angesichts der schlechten Umfragewerte für die SPD erschien alles andere realitätsfern.
"Es ist im Bund wie im Land die gleiche Situation: die SPD leistet hervorragende Regierungsarbeit – aber die Partei, die den Regierungs-Chef stellt, hat mehr davon. Das hat etwas mit der Personalisierung von Politik zu tun. Umso wichtiger ist es deutlich zu machen, dass nur die SPD durchgesetzt hat, dass beispielsweise Studiengebühren abgeschafft worden sind. Und es geht also auch schon darum, dass man sich Grün nur leisten kann, wenn es eine starke SPD gibt."
Nils Schmid (SPD), Wirtschafts- und Finanzminister von Baden-Württemberg
Es sieht nicht rosig aus für die einst so stolze CDU Baden-Württemberg. In den jüngsten Umfragen schafft sie es nur noch, mit den Grünen gleichzuziehen. In der vergangenen Wahl 2011 musste sie auch schon herbe Verluste hinnehmen, lag aber immer noch deutlich vor den Grünen. Als stärkste Kraft musste sie trotzdem die Macht an Grün-Rot abgeben. Dieser Schmerz sitzt tief. 58 Jahre lang war die CDU zuvor am Ruder.
Retten soll es jetzt Guido Wolf, Fraktions-Chef der baden-württembergischen Landtags-CDU. Er weiß, worum es für seine Partei geht. Die Erwartungen sind hoch. Und viele in seiner eigenen Partei glauben nicht daran, dass der Verwaltungsfachmann vom Bodensee sie erfüllen kann. Die Umfragewerte sprechen gegen ihn.
Guido Wolf fordert Grenzzentren und tagesaktuelle Flüchtlingskontingente – zusammen mit Julia Klöckner, der CDU-Spitzenkandidatin von Rheinland-Pfalz – das auch am 13. März wählt. Für Wolf eine schwierige Balance zwischen auf der einen Seite Abgrenzung vom grünen Landesvater Winfried Kretschmann, der die Kanzlerin für ihre Flüchtlingspolitik feiert und für sie betet, wie er selber sagt. Und auf der anderen Seite Stimmen zurückgewinnen von der AfD – die in Baden-Württemberg mittelgroße Säle bei ihren Wahlkampfabenden füllt.
Auch die FDP geht mit voller Kraft in den Endspurt vor der Wahl. Der starke Mittelstand in Baden-Württemberg ist wichtig für die FDP, sie hofft auf Stimmen aus den Familienunternehmen. Hier ist das Stammland der Freien Demokraten – und ein so schlechtes Ergebnis wie 2011, als die FDP es nur knapp in den Landtag geschafft hat, soll sich nicht wiederholen.
"Der Stellenwert ist natürlich überragend groß. Baden-Württemberg ist der Landesverband, in dem die FDP immer bei nationalen Wahlen am besten abschneidet. Also Baden-Württemberg ist sozusagen das Zugpferd der FDP. Und wir brauchen in Baden-Württemberg schon ein Wahlergebnis von deutlich über fünf Prozent um glaubhaft machen zu können, die FDP kehrt 2017 wieder in den deutschen Bundestag zurück."
Hans-Ulrich Rülke, FDP-Spitzenkandidat
Deshalb ist auch Bundes-FDP-Chef Christian Lindner derzeit viel in Baden-Württemberg – er will an die Erfolge von Hamburg und Bremen anknüpfen. Die FDP könnte es in der Hand haben, wer nach der Wahl regiert. Denn es ist nicht klar, ob es wegen der schwächelnden SPD wieder für Grün-Rot reicht. Dann könnte die FDP Mehrheitsbeschaffer für eine Ampelkoalition sein. Genau das schließt FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke aber aus. Er will nicht mit den Grünen, sondern wirbt für eine schwarz-rot-gelbe Koalition.
Die B5 Reportage
Kretschmann außer Konkurrenz? Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg wird es eng
Reportage am Sonntag, 06.03.2016, 14:35 und 21:35 Uhr, B5aktuell
Autor: Johannes Mayer
Redaktion: Tim Aßmann
Kommentieren
Bemerker, Mittwoch, 09.März 2016, 08:30 Uhr
3. Graue Textkästchen mit Foto für alle, aber nicht die AfD?
Hallo neutrales Medium,
warum bringen Sie für Grüne, SPD, CDU und FDP in diesem Artikel jeweils einen Textkasten mit Foto und Politikerzitat, aber für die AfD nicht? Offensichtlich müsste doch die AfD als New Kid on the Block auch interessant sein, zumal sie auf ein stärkeres Ergebnis als die FDP zuläuft.
Honi soit qui mal y pense.
Ein Leser
Gonzalez, Dienstag, 08.März 2016, 14:36 Uhr
2. Danke für die klaren Worte, Kretschmann
Sie haben noch einmal die grüne Position klargemacht: Jeder, der nicht über die Unmengen Asylbewerber (von denen viele, viele KEINE echten Flüchtlinge sind) begeistert ist und jubelt und klatscht, ist ein von Angst und Fremdenfeindlichkeit besessener Rassist. Danke für diese Klarstellung, Hr. Kretschmann
Schwabe, Sonntag, 06.März 2016, 13:19 Uhr
1. FDP als Zünglein an der Waage
Als Schwabe kann ich den Beitrag nur bestätigen. Zu erwähnen wäre gewesen, daß Württemberg das Heimatland der konservativen FDP ist, der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, kam schließlich aus Heilbronn. Der Grund für die ehemalige Stärke der FDP im Südwesten ist, daß im protestantisch-pietistischen Württemberg das katholische Zentrum, aus dem die CDU hervorging, immer mit Argwohn betrachtet wurde. Nicht ohne Grund stammen auch württembergische CDU-Ministerpräsidenten und -anwärter wie Teufel und Wolf aus dem tiefkatholischen Oberschwaben.
Ob die FDP heute noch punkten kann, ist fraglich. Der Linksruck der Norddeutschen in der Partei wird in ihrem Stammland mit Argwohn verfolgt. Zahlen wie ehedem kann sie nur erreichen, wenn wieder Süd-/Süddwestdeutsche das Ruder des Parteiwracks übernehmen. Viele, die sich bei der FDP und schon gar nicht einer linken CDU wohlfühlen, wählen ganz automatisch AfD.
Antwort von Unrumpf, Montag, 07.März, 09:29 Uhr
Ich hab früher auch mal FDP gewählt. Ob sich die FDP da wirtschaftspolitisch eher links oder eher rechts geriert ist mir eigentlich egal. Ich halte beides für falsch. Die FDP verlor für mich jedoch massiv an Glaubwürdigkeit beim Thema Snowden, beim Thema Steuerhinterziehungsdeal mit der Schweiz und der fehlenden Haltung beim Waffenhandel im Allgemeinen und besonders mit Schurkenstaaten wie Saudi-Arabien. Generell stört mich die Qualität der politischen Debattenkultur bei allen Parteien. Ich halte es für unreife Kindergartenrhetorik sich gegenseitig als Neoliberale Turbokapitalisten und Links-Grün versiffte Gutmenschen oder Putinversteher zu beleidigen. Was die Demokratien weltweit wirklich brauchen ist ein neues Konzept für Machtorganisation, ein neues Konzept für ein politisches System, das in das 21. Jahrhundert passt. Das wäre in meinen Augen eine originär liberale Aufgabe jedoch hat bislang keine Partei dafür ein Konzept.