Bayern und der Brexit Die Angst der Wirtschaft vor dem Ungewissen
Ungewöhnlich: ein britischer BMW-Manager gibt seinen Mitarbeitern eine Wahlempfehlung. Die Angst der Wirtschaft vor dem britischen Hechtsprung ins Ungewisse wächst - auch in Bayern. An Vorhersagen und Berechnungen herrscht kein Mangel. Doch wie realistisch sind sie?
Dass ein Unternehmen seinen Mitarbeitern Empfehlungen gibt, wie sie sich bei einem Volksentscheid verhalten sollten, ist auch im Vereinigten Königreich unüblich. Klar, schreibt der britische BMW-Vorstand Ian Robertson deshalb in seiner Mail an die Mitarbeiter von BMW, Mini und Rolls-Royce: die Wahl sei eine Sache der britischen Wähler. Aber: BMW habe hier investiert, weil der freie Austausch von Autos, Komponenten und Arbeitskräften in der EU garantiert sei. Auf diesen Austausch, so Robertson, könne Großbritannien nicht verzichten.
Und Bayern?
Staatsbesuch: David Cameron (Mitte) im Januar bei BMW in München. Links BMW-Vertriebschef Ian Robertson.
Schwer vorstellbar, dass Robertson seine Mail vom März ohne Absprache mit der Münchner Zentrale verschickt hat. Über 340.000 Autos der Konzern-Marken Mini und Rolls-Royce wurden 2015 in Großbritannien produziert. Auch an den bayerischen Standorten würde ein Brexit sicher nicht spurlos vorbeigehen. Und es geht ja nicht nur um BMW.
Weltweit sehen Wirtschaftsexperten den Brexit mit Sorge. Die OECD prophezeit den Briten Wirtschaftseinbußen von fünf Prozent bis 2030, der IWF warnt, Ratingagenturen wie Moody's auch. Vier von fünf Unternehmen beurteilen in einer Umfrage unter 667 Firmen aus Europa, Kanada und China ein britisches Ausscheiden aus der EU negativ, nur fünf Prozent glauben zu profitieren.
Für Ifo-Präsident Clemens Fuest wäre Deutschland neben den Briten der größte Verlierer. Immerhin ist das Vereinigte Königreich weltweit der drittwichtigste Absatzmarkt für deutsche Exporteure, ihre Direktinvestitionen summieren sich auf etwa 121 Milliarden Euro. Die Liste der Unternehmen ist divers und reicht von Aldi und Allianz über E.on bis TUI Travel.
In Bayern, wo rund 460 Unternehmen mit Großbritannien im großen Stil Geschäfte machen, nimmt die Insel bei den Ausfuhren sogar den zweiten Platz ein.
British-Bavarian Trade in Numbers
Wie das Landesamt für Statistik mitteilt, gingen 8,7 Prozent der bayerischen Exporte im vergangenen Jahr ins Vereinigte Königreich. Das sind Waren im Wert von knapp 15,5 Milliarden Euro.
Ganz oben auf der Liste der Exportgüter: PKW und Wohnmobile (7,1 Milliarden Euro), Maschinen (1,5 Milliarden Euro) sowie Karosserien, Motoren, Kfz-Teile und Zubehör im Wert von einer Milliarde Euro.
Die Einfuhren aus dem Vereinigten Königreich lagen 2015 bei nahezu 5,6 Milliarden Euro. Das sind 3,5 Prozent aller Importe, womit das Vereinigte Königreich Rang 10 unter den Einfuhrländern belegt.
"Ein ‚weiter so‘ mit einer EU-light wird es für die Briten nicht geben. Falls es zu einem Brexit kommt, müssen wir die Handelsbeziehungen mit den Briten auf eine neue Vertragsgrundlage stellen. So, wie sich die Austrittsbefürworter das vorstellen, dass Großbritannien die EU verlässt und nahtlos im Binnenmarkt weitermacht, wird es nicht kommen"
Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner auf Anfrage des BR
Massiv betroffen: Autos und Maschinen
Unter den Unternehmen im Freistaat würde ein Brexit am stärksten die Autohersteller und deren Zulieferer treffen. Über die Hälfte der bayerischen Exporte nach Großbritannien entfallen auf diesen Bereich. Ebenfalls wichtig: Metall und Maschinenbau. Aus Franken sind zum Beispiel der Maschinenbau-Konzern Schaeffler oder der Automobil-Zulieferer Leoni in England engagiert. Auch bei Siemens zeigt man sich skeptisch:
"Ein Deutschland, ein Frankreich oder Spanien wird mit einem UK, das nicht in der EU ist, nicht so gerne zusammenarbeiten, denn am Ende will man natürlich die Wertschöpfung und das Know-How in der EU behalten."
Jürgen Maier, Geschäftsführer Siemens Großbritannien
Aus den Regionen
Es sind nicht nur die allgemein bekannten Namen. Die Firma Washtec aus Augsburg etwa ist Weltmarktführer für Autowaschstraßen und exportiert in 70 Länder - auch in den Wachstumsmarkt Großbritannien.
Die Schwaben fürchten vor allem die allgemeine Verunsicherung, die ein Brexit nach sich ziehen könnte. Im schlimmsten Fall würde der Freihandel gestoppt, der Binnenmarkt zerfiele, Zollschranken würden errichtet.
Ein Berg an Fragen
Realistisch ist: Fiele der britische Anteil am EU-Haushalt weg, würde das den deutschen Steuerzahler pro Jahr 2,5 Milliarden Euro kosten. Im schlimmsten Fall drohen der deutschen Wirtschaft allein bis 2017 Einbußen von 45 Milliarden Euro - schätzen Experten der DZ Bank.
"Ein Teufelskreis aus Währungsabwertung, Kursverlusten an Renten- und Aktienmärkten und verschreckten ausländischen Investoren könnte zu einer Schockstarre im Finanzsektor führen und über eine 'Kreditklemme' rasch die Realwirtschaft erreichen."
Monika Boven, Ökonomin der DZ-Bank
Noch aber hat die Rechnung zu viele Unbekannte, um seriös gelöst zu werden. Und schließlich geht es nicht nur um Zahlen. Gesetzt den Fall, Großbritannien "wählt sich raus":
- Wer regiert das Land nach dem Brexit?
- Wie verhalten sich Schottland und Nordirland?
- Statuiert die EU ein Exempel oder einigt man sich doch pragmatisch?
- Löst der Austritt eine europaweite Kettenreaktion aus?
- Setzt die EU Reformen um - und in welche Richtung?
- Folgt Großbritannien dem Modell Norwegen? Versucht eine Neuformierung des Commonwealth? Erprobt die "splendid isolation" einer komplett deregulierten Steueroase?
- Wie reagieren die USA, wie Russland, China, Kanada und andere?
- In welcher Weise wirkt sich der Brexit auf die TTIP-Verhandlungen aus?
- Was bedeutet all das für die Demokratie auf beiden Seiten des Ärmelkanals?
Und wieviel davon bekommen wir in Bayern zu spüren? Viele der düsteren Prophezeiungen beschreiben nicht nur mögliche Entwicklungen, sondern verfolgen auch den Zweck, die Briten vom Sprung ins Ungewisse abzuhalten. Wie realistisch sie sind, werden wir nur erfahren, wenn die Prognosen dieses Ziel verfehlen. Zumindest das wissen wir schon am Freitag.
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Chaim, Mittwoch, 22.Juni 2016, 20:42 Uhr
7. Wem schadet der EU-Austritt Grossbritanniens?
Da irren sich die sogenannten "Experten" der DZ aber gewaltig. Dem deutschen Steuerzahler kostet der Austritt keine EU 2,5 Mrd. jährlich, denn diese Experten haben schlicht und einfach "vergessen" dass dann der Kostgänger GB entfällt. GB schadet sich zuerst selbst, denn sie schneiden sich bewusst von Kontinentaleuropa ab. Ex- und Importvergünstigungen würden entfallen. Die EU an sich würde homogener, weil ein permanenter Störenfried entfällt. Der Bankenplatz London würde zur nationlen Bedeutungslosigkeit degenerieren, da die US- und andere Nicht-EU-Banken London verlassen würden und ja wo gingen sie wohl hin? Natürlich nach Frankfurt am Main. Den Briten ginge es dann viel schlechter, denn dann müssen sie sich selbst ernähren. Das klappt ja jetzt schon nicht so richtig. Kriege kann man keine mehr anzetteln und fremde Länder auch nicht mehr unterjochen und ausbeuten. Davon hat man jahrhundertelang bestens gelebt.
Antwort von Francesco, Donnerstag, 23.Juni, 09:41 Uhr
Genau so ist es. Bemerkenswert ist für mich nur, wie man (Presse, Politik, Lobbies, etc.) versucht uns klar zu machen, dass WIR den größten Schaden nehmen würden. Ganz ehrlich: Ich hoffe, sie scheiden aus, dann ist endlich mal Ruhe mit dem ewigen Gemaule und sehen sie mal "wie gut es ohne Europa ist".... Unabhängig davon hoffe ich, dass die EU(-Staaten) endlich kapiert, dass sie erheblichen Optimierungs-/Änderungsbedarf hat. Die EU ist nämlich nicht vorwiegend zur Arbeitsplatzsicherung der "Oberbeamten" da !!!
lustig, Mittwoch, 22.Juni 2016, 12:27 Uhr
6. Austritt na und !
Wer die Briten kennt weiß,das ihnen die nationale Souveränität extrem wichtig ist.
Das die EU diese immer mehr beschneiden will ,dürfte auch hier in Deutschland jetzt der letzte Mohikaner begriffen haben.
Diktat der EZB,Flüchtlingskrise usw.
Wir Deutschen profitieren allerdings enorm von der EU.
Das Problem ist das sich manche partner unfair verhalten und die Zusagen die sie einmal gegeben haben nicht einhalten.
Also was tun ?
Nationalismus ist aber der eindeutig falsche Weg.
Europa hat doch aus seiner Geschichte gelernt,oder vielleicht doch nicht ?
Das Leihschwein, Mittwoch, 22.Juni 2016, 11:56 Uhr
5. Sollte sich nach einem Brexit das Verhälnis zur EU nicht ändern,
quasi es bleibt alles wie es war, welchen Sinn hat die EU dann noch. Dient sie nur dazu ein Heer von sehr gut verdienen Bürokraten durch zu füttern und Milliarden Steuergelder zu verschenken an Osteuropa/Griechenland die uns als dank dafür dauernd beleidigen. Die Demokratie, also auch die EU, lebt von Kompromissen und wenn alle Staaten nur kassieren aber keiner einzahlen will, kann es nicht funktionieren. Parteien in Großbritannien, Griechenland, Polen und Ungarn geben der EU und Ausländer die Schuld an ihrer schlechten Situation.
Antwort von campus, Mittwoch, 22.Juni, 19:54 Uhr
@Leihschwein 11:56
Die EU als Sündenbock zu mißbrauchen wäre für GB allerdings total unfair. GB vor 20 Jahren beigetreten, wird nicht so einfach davonkommen. GB hat natürlich Problemchen wie viele andere auch, aber es sind nicht nur immer die anderen schuld. Keine Ölvorräte mehr, zu viele Migranten anderer Hautfarbe, die Krankenschwester aus Rumänien, hochverschuldete Privatleute... das kommt doch alles nicht nur aus Brüssel!?
Die Kernthemen Finanzmerkt-Lliberalisierung und die Austerität auf eine ernsthafte Probe zu stellen, könnte aber gar nicht schaden. BREXIT wird Schaden anrichten, aber auch heilsam sein. Es wird nicht alles bleiben wie es war1 KEEP CALM.
Marco Vogt, Mittwoch, 22.Juni 2016, 11:29 Uhr
4. Brexit
Angst ist ein schlechter Ratgeber, das gilt auch, wenn Medien Angst bezüglich eines möglichen Brexits verbreiten.
Wie haben wir nur Handel vor der EU betrieben? Und wie haben wir Handel mit Staaten betrieben bevor sie vor wenigen Jahren in die EU kamen?
Wie haben wir in den 90er Jahren nur Handel in Europa treiben können, als es noch keinen Euro gab? Und war das tauschen von Devisen wirklich ein Problem? Fakt ist: Urlaub in Europa hat sich seit dem EURO massiv verteuert. Staaten wie Griechenland leiden unter dem Rückgang von Touristenzahlen aufgrund zu hoher Preise. Andere Staaten außerhalb des Euro Raums profitieren beim Urlaub, weil hier der Umtauschkurs den Urlaub "günstig" macht. Siehe Malediven, siehe Dominikatische Republik, siehe Mexiko und Co.
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Elisabeth, Mittwoch, 22.Juni 2016, 11:00 Uhr
3.
Die Volksabstimmung wurde notwendig, weil die Ablehnung des Bruesseler Diktats immer mehr zugenommen hat, in dem selben Masse wie die Hybris Bruessel immer weiter wuchs und entartete. Die Briten, v.a. auch die Englaender, um die es hier hauptsaechlich geht, sind ein sehr stolzes Volk mit einer sehr alten gewachsenen Demokratie.. Die Redefreiheit wurde bereits im 17. JH gesetzlich verankert. Ein Volk, das 'One Man One Vote' und das Recht auf Selbstbestimmung so sehr verkoerpert wie meine Englaender, kann garnichtg anders. Sie waren immer bereit , groesste Opfer fuer das Ganze zu bringen undwurden seit den Normannen im 11 JH von keiner fremden Macht mehr regiert. Die politische Kultur ist sehr hoch entwickelt und die Menschen auch geistig unabhaengig und souveraene Individualisten, wie man das hier in D suchen muss. Europa soll sich GB als Vorbild nehmen sich weiter zu entwickeln: nach dem Prinzip, dass alle Gewalt von Volke ausgeht und keine Fremdeinmischung in innere Angelegenheiten .