Sondermüll am Haus Riesenärger mit alten Dämmplatten
Seit Jahren proklamiert die Regierung „dämmen, dämmen, dämmen“. Doch die Dämmplatten enthalten giftige Stoffe. An deutschen Häusern klebt tonnenweise toxischer Sondermüll. Was damit einmal passiert, da ist die Politik völlig planlos.
Wir sind in Weismain in Oberfranken und besuchen ein über 100 Jahre altes Haus. Die Eigentümerin Sabine Weber hat einen Dachdecker geholt, der die Dämmung begutachten soll. Denn der Vorbesitzer hat in Eigenarbeit angebracht. Dachdecker Steffen Domschke legt die Dämmung aus Polystyrolplatten für sie frei. Das Material hat sich zum Teil schon völlig zersetzt.
Flammschutzmittel HBCD
Das Material egal ob im Dach oder auf der Fassade ist im Prinzip aufgeschäumtes Erdöl und enthält fast immer das giftige Flammschutzmittel HBCD. Es soll eigentlich verhindern, dass sich Dämmplatten entzünden.
Doch Peter Bachmeier von der Berufsfeuerwehr in München hat andere Erfahrungen gemacht. Er ist Abteilungsleiter für vorbeugenden Brandschutz und analysiert deutschlandweit Brände von Dämmfassaden. Er zeigt uns Fotos von Dämmfassadenbränden. Der Flammschutz HBCD zersetzt sich ab 235 Grad komplett. Bei Hausbränden entstehen aber Temperaturen von bis zu 1000 Grad. Da hat sich HBCD also längst aufgelöst und ist wirkungslos.
Dabei wurde das giftige Flammschutzmittel HBCD bereits 2008 in eine internationale Kandidatenliste besonders besorgniserregender Stoffe aufgenommen. Für Dämmplatten wurde es trotzdem weiter eingesetzt. 2015 wurde HBCD grundsätzlich verboten. Einzige Ausnahme: die Verwendung in Dämmplatten!
Auswirkungen von HBCD
Toxikologe Martin Göttlicher hat sich mit den Auswirkungen von HBCD beschäftigt.
"Die entscheidende Eigenschaft von dem Stoff ist, dass er in Umwelt und Nahrungskette extrem langlebig ist, kommt sogar in Tieren in der Arktis an. Hohe Mengen von dem Stoff sind toxisch für die Nachkommen, und für die Zeugungsfähigkeit von Tieren. Beim Menschen könnte das theoretisch auch passieren, aber die Menge, die wir im Menschen haben sind so extrem gering, dass wir da keine Sorge haben müssen."
Prof. Dr. Martin Göttlicher, Toxikologe, Helmholtz-Zentrum München
Aber nur solange HBCD nicht in die Umwelt gelangt. Das Problem dabei: Polystyroldämmung hält vielleicht 50 Jahre. Doch häufig hacken Vögel Löcher hinein oder die Dämmung wurde mangelhaft aufgebracht. Sie wird feucht und marode und muss manchmal schon nach 10 oder 20 Jahren wieder runter. Und was dann mit dem giftigen Sondermüll?
Gefährlicher Abfall
Bislang hätte dann Dachdecker Domschke das Altmaterial einfach bei einem Entsorgungsunternehmen abgegeben. Doch seit Oktober vergangenen Jahres werden Dämmplatten mit HBCD in der Abfallverzeichnisverordnung zu recht als gefährlicher Abfall eingestuft.
Die Konsequenz: Dämmplatten müssen mit einem Nachweis in Müllverbrennungsanlagen mit spezieller Genehmigung entsorgt werden. Viele Verwerter nehmen diesen Müll nicht mehr an, die Preise für eine Tonne Abfall schießen in die Höhe von rund 200 auf im Schnitt 4.000 Euro. Handwerk und Bauindustrie laufen Sturm und Immobilienbesitzer sind verunsichert.
Politik will Zeit gewinnen
Ende 2016 dann im Bundesrat keine Lösung sondern nur eine planlose Kehrtwende. Die Einstufung von Dämmstoff mit HBCD als gefährlicher Abfall wird zurück genommen und für ein Jahr ausgesetzt. Die Politik will Zeit gewinnen, um neu zu überlegen.
Und die Zeitbombe tickt. Eine Studie im Auftrag des Bundesumweltamts zeichnet eine düstere Prognose für die Menge an HBCD-Abfällen.
Fachgerechte Entsorgung geht in die Millionen
Die Abfälle an reinem HBCD aus Dämmstoffen nehmen jährlich zu und erreichen etwa 2050 ihren Höhepunkt mit 1400 Tonnen. Da das Flammschutzmittel nur in kleinen Mengen beigemischt ist und sich aus Dämmplatten nicht herauslösen lässt, fallen 2050 ungefähr 165.000 Tonnen HBCD-haltiger und damit giftiger Dämmung an.
Die fachgerechte Entsorgung könnte dann nach heutigen Preisen weit mehr als eine halbe Milliarde Euro kosten. Umgelegt auf Hausbesitzer und Mieter würde es Wohnen deutlich teurer machen.
Keine solide Lösung
Wir wollen vom Bayerischen Umweltministerium wissen, wie es in Zukunft eine fachgerechte Entsorgung ohne Kostenexplosion sicherstellen will. Dort stiehlt man sich aus der Verantwortung, die Entsorgung obliege dem freien Markt. Man stehe aber mit den Fachverbänden in Kontakt und wolle eine bundeseinheitliche Struktur vorbereiten.
Das hört sich nicht nach solider Lösung an. Erst werden die Eigentümer zum Dämmen gezwungen, aber dann mit der Entsorgung alleine gelassen - am Anfang nicht an das Ende gedacht.