Die Spanierin Irantzu Ros "Meine Generation hat daheim keine Chance"
Wie marode muss Spaniens Wirtschaft sein, wenn Eltern für ihre Kinder nur mehr den Ausweg Ausland sehen? Irantzu Ros verließ auf Rat ihrer Familie Pamplona und flog ohne Garantien nach Bayern. Ihr Freund blieb dort.
Regen rinnt über die Fensterfront des Café Ella und verwäscht die Sicht auf die Propyläen am Königsplatz. Heute fühlt sich Irantzu Ros wie in einer Waschstraße; vor vier Monaten war München noch eine Schneekugel für sie. Als Irantzu im Februar in Bayern landete, schob sie ihren Rollkoffer durch den Wind, den wadenhohen Schnee und fühlte sich fehl am Platz.
"Meine Familie hat immer wieder gesagt: Du musst Deutsch und Englisch lernen. Du musst nach Deutschland fliegen und eine Arbeit finden. Sonst wäre ich vielleicht nicht gegangen."
Irantzu Ros
Kündigung in Pamplona
Alles hat sie in der Heimat zurückgelassen. Den Freund, der trotz Diploms im Industrieunternehmen seines Vaters in Santander jobbt. Die kleine Schwester, die in Logrono Maschinenbau studiert. Die Eltern in Estella und all die Jugend- und Studienfreunde in Nordspanien. Doch als Irantzu nach zwei Jahren ihre Stelle als Architektin in einem Büro in Pamplona verliert, wird schnell klar: Wenn sie nicht unter ihren Fähigkeiten arbeiten möchte, muss sie gehen.
"Ohne Wirtschaftskrise wäre ich wohl noch in Spanien. Ich hätte eine gute Arbeit mit netten Kollegen, ohne mich sorgen zu müssen, wie lange noch. Mein Leben wäre normal, und ich wäre zufrieden."
Irantzu Ros
Zurück auf Start - Glück in München
"Es ist ein bisschen kompliziert." Das sagt die 27-Jährige oft. Manchmal meint sie damit die Situation in Spanien, dann das neue Leben in Deutschland, die Sprache oder die Sache mit ihren Gefühlen. Fertig ausgebildet keine Perspektive mehr inmitten Europa zu haben, ist eigentlich viel mehr als das. Doch für die junge Generation Spaniens ist in den vergangenen Jahren ein abrupter Neustart normal geworden, gut jeder Zweite ist inzwischen arbeitslos. Eine Zeit lang können sie sich die anderen noch mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser halten, die bessere Praktika sind. Doch fast alle Studienkollegen von Irantzu sind im Ausland: in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und der Schweiz.
"Die Situation von jungen Menschen in Spanien ist sehr traurig. Wir haben viel studiert und viel gearbeitet. Und am Ende gibt es doch keine Möglichkeiten, keine Hoffnung."
Irantzu Ros
Das wichtige Wort "unbefristet"
Immerhin: Loslassen und Fortgehen zahlte sich auch für Irantzu aus. Wie Andrea Lo Giudice machte sie im Deutsch-Kurs schnell Fortschritte, nach nur einem Monat in München fand die gebürtige Baskin einen Job als Architektin, und für Wohnung Nummer vier erhielt sie endlich einen unbefristeten Mietvertrag. Mit zwei Französinnen lebt sie seit einigen Wochen in einer WG am Olympiapark und beginnt, sich wohlzufühlen.
"Jetzt glaube ich, München war eine gute Entscheidung. Berlin wäre sicher auch schön gewesen, aber dort gibt es viel mehr Konkurrenz unter spanischen Architekten."
Irantzu Ros
Erste Freunde, aber kein Freund
In der Sprachschule hat sich die 27-Jährige mit einigen Spaniern und Japanern angefreundet. Und die Deutschen? Die oft kritisierte Willkommenskultur hat Irantzu positiv erlebt; fremdenfeindliche Sprüche gab es nicht. Überhaupt: "Man hört viele Dinge in Spanien: Deutsche sind so und so: pünktlich, ordentlich und so weiter. Aber am Ende gibt es nicht viele Unterschiede."
Deutsche Freunde hat Irantzu bisher nicht gefunden, das muss noch werden. Vorerst wichtiger ist aber: Die Kollegen sind nett und verständnisvoll. "Sie fragen oft nach der Situation in Spanien und wie es meinem Freund geht", sagt Irantzu. 2014 möchte er sie in München besuchen. Da liegen jede Menge Zeit, Kilometer und Telefonate dazwischen.
"Natürlich vermisse ich meinen Freund, meine Familie und die Freunde. Es ist schwer, aber jetzt habe ich eine gute Chance hier."
Irantzu Ros
Irgendwann zurück, vielleicht
Es ist noch zu früh, um sich festzulegen. Aber irgendwann, glaubt Irantzu, will sie nach Spanien zurückkehren. In wenigen Tagen fährt sie erstmal zum Urlaub in die Heimat, eine halbe Woche altes Leben.
"Für mich ist Heimat ein Ort, an dem man sich zu Hause fühlen kann. Ich glaube, dass man mehr als eine haben kann. München ist schon eine kleine Heimat für mich."
Irantzu Ros
Fremde, griechische Nachbarin
Auch wenn es sich anfangs so anfühlen mag: Die Spanierin ist nicht allein in München. Direkt neben ihr hat es sich auf der grünen Ledercouch die Griechin Ioanna Kinazidou bequem gemacht. Beim italienischen Kellner Andrea bestellt sie einen Latte Macchiato mit Strohhalm. Der wärmt am besten bei dem Schmuddelwetter.