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Dem Terror entkommen Frauen erzählen vom Leben unter dem IS

Frauen müssen sich voll verschleiern, dürfen das Haus nicht verlassen, sind ohne Rechte: Frauen erzählen, wie sie unter dem Terrorregime des sogenannten Islamischen Staats IS leben mussten. Rund 3.000 Jesidinnen sind immer noch in Mossul eingeschlossen. Manche kurdische Frauen greifen in Syrien und im Irak selbst zu den Waffen und kämpfen - gegen den IS und für mehr Frauenrechte. Und es geht um Menschenhandel und Zwangsheirat in den Flüchtlingslagern.

Von: Anna Osius

Stand: 13.12.2016 | Archiv

Amineh (re.) und Schaha mit ihren Kindern, im Flüchtlingslager Debaga in der Nähe von der nordirakischen Stadt Erbil  | Bild: BR/Anna Osius

Der Islamische Staat - er gilt als die gefährlichste Terror-Organisation der Welt. Um die Vision von einem Kalifat umzusetzen, überrannten seine Anhänger große Teile des Iraks und Syriens – mit mörderischer Brutalität.

Amineh wurde als Schwangere in Mosul vom IS gefoltert, jetzt lebt sie im nordirakischen Flüchtlingslager Debaga

Auch wenn die Extremisten mittlerweile etwas zurückgedrängt werden konnten: Immer noch leben zehntausende Menschen unter der Herrschaft des IS. Besonders schwer haben es die Frauen: Sie werden ins Haus gesperrt, versklavt und vergewaltigt. Wer den Terror überlebt hat, wird ihn sein Leben lang nicht vergessen.

Tausende Mädchen und Frauen im Nordirak sind Gefangene des IS

Mädchen im Flüchtlingslager Debaga in der Nähe der nordirakischen Stadt Erbil

Besonders dramatisch ist die Lage der Jesidinnen. Schätzungen zufolge befinden sich allein in der nordirakischen Stadt Mossul mehrere Tausend Frauen und Mädchen in der Gewalt des IS. Sie werden gefangengehalten, gequält und missbraucht, denn sie gehören einer religiösen Minderheit an, die der IS als "Ungläubige" bezeichnet. Das Siedlungsgebiet der Jesiden in der Provinz Ninive im Norden des Irak wurde Anfang August 2014 von den Extremisten überrannt. Bei Temperaturen von über 40 Grad, ohne Essen und Trinken, flohen die Einwohner Dutzender jesidischer Dörfer in das Sindschar-Gebirge, viele von ihnen starben.

Wer nicht rechtzeitig fliehen konnte, erlebte Schreckliches: Tausende Männer wurden vom IS umgebracht, die Frauen vergewaltigt und verkauft – wie auf einem Sklavenmarkt. Khairi Barzani von der kurdischen Regionalregierung in Erbil kennt die Methoden der Extremisten.

"Das funktioniert ungefähr so wie ein Flohmarkt in Deutschland – nur handelt es sich bei der Ware um Menschen. Die jesidischen Frauen werden für sehr wenig Geld angeboten, wie etwas, das man nicht mehr braucht. Der Preis für ein Mädchen beträgt zwischen einem und 500 Dollar."

Khairi Barzani, kurdische Regionalregierung in Erbil

Das Schicksal der Verschleppten und Vertriebenen

Frauen im nordirakischen Flüchtlingslager Debaga

Eine, die diesen Horror überlebt hat, ist Nadia Murad. Sie geriet in Gefangenschaft, als IS-Anhänger Anfang August 2014 den Ort Kocho im Süden des Sindschar-Bergers einnahmen. Allein hier töteten die Extremisten mehrere Hundert Männer und ältere Frauen, unter ihnen auch Nadias Mutter und sechs ihrer Brüder. Nadia selbst wurde verschleppt – wie viele andere Frauen und Mädchen.

"Wir wurden mit einem Bus nach Mossul gebracht. Sie berührten und demütigten uns. In Mossul wurden wir wie Geschenke unter den IS-Kämpfern ausgetauscht. Ein Mann suchte mich aus und zwang mich zu sich nach Hause. Er vergewaltigte mich, folterte mich. Als ich versuchte zu fliehen, brachte er mich zu den Wächtern. Sie vergewaltigten mich alle gemeinsam, bis ich ohnmächtig wurde."

Nadia Murad, UN-Sonderbotschafterin für die Würde der Opfer von Menschenhandel

Schaha wurde vom IS verhört, weil sie keine Handschuhe trug

Etwa drei Monate befand sich Nadia in den Händen der Terroristen, dann gelang ihr die Flucht – mit Hilfe einer Familie aus der Nachbarschaft. In einem Flüchtlingslager in der Nähe der kurdischen Stadt Dohuk fand Nadia Unterschlupf. Heute lebt die 23-Jährige in Deutschland. Im September wurde sie zur ersten UN-"Sonderbotschafterin für die Würde der Opfer von Menschenhandel" ernannt. Ihr Anliegen: auf das Schicksal ihrer Leidensgenossinnen aufmerksam machen. Eine B5 Reportage von ARD-Korrespondentin Anna Osius.

Die B5 Reportage

Dem Terror entkommen - Frauen erzählen vom Leben unter dem IS

Reportage am Sonntag, 11.12.2016, 14:35 und 21:35 Uhr, B5aktuell

Autorin: Anna Osius
Redaktion: Clemens Verenkotte


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