Griechen in Deutschland Wie aus "Gastarbeitern" Mitbürger wurden
Wirtschaftsmisere, Militärdiktatur - in den 1960er-Jahren wanderte fast eine ganze Generation von Griechen aus. Viele der damals sogenannten Gastarbeiter zog es per Schiff oder Bahn nach Deutschland. 50 Jahre später lässt sich eine weitgehend positive Integrationsbilanz ziehen. Angesichts der aktuellen Krise in Griechenland bricht nun eine neue Generation in die Fremde auf.
Ein halbes Jahrhundert ist es her, dass Deutschland begann, Gastarbeiter im großen Stil ins Land zu holen: Italiener, Spanier, Portugiesen oder Marokkaner. Die Bundesrepublik schloss damals entsprechende Anwerbeabkommen mit den jeweiligen Ländern ab. Das mit der Türkei jährte sich Ende Oktober zum 50. Mal. Mit Griechenland war der Vertrag ein Jahr zuvor, am 30. März 1960, unterzeichnet worden.
Im Mittelmeerstaat herrschte damals Armut, woran Deutschland nicht ganz unschuldig war. Bis 1944 hatte die Wehrmacht Griechenland besetzt, ausgeplündert und finanziell ausbluten lassen. Die politischen Lager dort waren in der Folge extrem gespalten, was in einen jahrelangen Bürgerkrieg mündete. Zwischen 1951 und 1980 emigrierten etwa zwölf Prozent der Bevölkerung. Ein Teil davon ging nach dem Anwerbeabkommen nach Deutschland.
Das "Wirtschaftswunderland" wollte Arbeitskräfte, um die "volle Auslastung der Produktionsmöglichkeiten" zu gewährleisten, wie es im Abkommen hieß. Die BRD richtete Anwerbestellen in Athen und Thessaloniki ein. Die meisten Gastarbeiter kamen entweder mit Auswandererschiffen über die italienische Hafenstadt Brindisi oder mit dem "Akropolis-Express" aus Athen über Belgrad und Salzburg nach München.
Endstation im Hauptbahnhof war jedes Mal das berühmte Gleis 11, an dem die lange Zugreise der Immigranten aus der Türkei, Griechenland und Jugoslawien zu Ende war. Von dort ging es weiter in die Firmen, mit denen die Angeworbenen zuvor Arbeitsverträge geschlossen hatten. Großkonzerne hatten damals ebenso wie mittelständische Betriebe händeringend Fachkräfte gesucht.
13 Jahre lang wanderten auf diesem Weg zehntausende Griechen nach Deutschland ein. Doch wegen der Ölkrise und der folgenden Wirtschaftsflaute beschloss Bonn 1973 einen generellen Anwerbestopp, danach war nur noch Familiennachzug möglich.
Flucht vor der Militärjunta
Griechen kamen aber auch aus politischen Gründen nach Deutschland. 1967 hatten sich rechtsextreme Offiziere unter Führung von Georgios Papadopoulos an die Macht geputscht. Sie errichteten eine Militärdiktatur, die Regime-Gegner einsperrte, folterte, ermordete. Vor allem linke Intellektuelle und engagierte Demokraten verließen Griechenland, viele von ihnen gingen nach Deutschland. München war damals ein Zentrum dieser Exilantenszene, auch der heutige Staatspräsident Karolos Papoulias lebte einige Jahre als Sozialarbeiter hier.
Karolos Papoulias - der heutige griechische Staatspräsident befand sich während der Obristendiktatur einige Zeit im Münchner Exil.
Ganz sicher durften sich die politischen Flüchtlinge aber auch im Exil nicht fühlen, der lange Arm der Diktatoren reichte mittels Geheimdienstspitzel bis nach Deutschland. Solche Agenten wurden sogar in deutsche Betriebe geschickt, um Regime-kritische Arbeitskollegen gegeneinander aufzuhetzen. Erst 1974 war der Spuk der Obristenjunta in Griechenland wieder vorbei.
"Gäste", die blieben
Das deutsch-griechische Anwerbeabkommen hatte einen zeitlich unbefristeten Aufenthalt für die Angeworbenen ermöglicht, die entgegen dieser Bezeichnung in den meisten Fällen blieben. Heute leben in Deutschland mehr als 300.000 Griechen - in München etwa 23.000, in Nürnberg rund 12.000. Da man in der Bundesrepublik jedoch den Begriff "Gastarbeiter" wörtlich nahm, verzichtete man auf Integrationspolitik. Anfangs waren die neuen Fremden mit vielen Vorurteilen konfrontiert. Das Bayerische Fernsehen produzierte schon 1962 einen Image-Film, der den Deutschen die schwierige Situation von Immigranten vermitteln sollte - frei nach dem Motto: Seid nett zu den Gastarbeitern, denn sie prägen nach der Rückkehr in ihre Heimat das Bild von Euch. Eindrucksvoll hat der Münchner Filmemacher Rainer Werner Fassbinder in "Katzelmacher" (1969) die Lage von Fremden in einem Münchner Stadtteil in Szene gesetzt. Der Regisseur selbst spielt darin einen griechischen Gastarbeiter, der von arbeitslosen Deutschen gemobbt wird.
Den Griechen gelang es dennoch, sich in die deutsche Gesellschaft einzufügen. Sie organisierten sich selbst. In München oder Nürnberg gründeten sie griechische Schulen. Allein in der Landeshauptstadt gibt es 20 griechische Vereine. Der Bayerische Rundfunk strahlte einst ein eigenes Programm für griechische Hörer in deren Sprache aus, das Pavlos Bakojannis moderierte.
Doppelte Heimat
Auch im gemischtkulturellen Leben haben sich Griechen - vor allem in der zweiten und dritten Generation - längst etabliert. Man sehe sich nur zum Beispiel in den Münchner Stadtteilen Haidhausen, Westend oder Isarvorstadt um, aber auch in kleinen Städten wie Geretsried oder Wolfratshausen. Griechen in deutschen Vereinen sind heute eine Selbstverständlichkeit. Viele Zugewanderte machten sich selbstständig, betreiben einen Gemüseladen oder ein Restaurant. Die Tavernen mit Souvlaki, Tsatsiki und Retsina erfreuen sich bei deutschen Gästen nach wie vor großer Beliebtheit.
Auch im akademischen Leben oder in Stadtparlamenten haben sich viele Griechischstämmige etabliert. Trotzdem schlagen in vielen von ihnen zwei Herzen: Sie fühlen sich als Griechen und als Deutsche, fahren im Urlaub immer wieder in ihre alte Heimat bzw. in die ihrer Vorfahren.
"Musterbeispiel für erfolgreiche Integration"
Für Münchens OB Christian Ude (SPD), selbst notorischer Hellas-Urlauber, sind die Griechen ein "Musterbeispiel für erfolgreiche und befruchtende Integration". Und auch Apostolos Malamoussis, Erzpriester der griechisch-orthodoxen Gemeinde in München, sprach 2010 anlässlich des Jahrestages des deutsch-griechischen Anwerbeabkommens von einem "Jubiläum gelungener Integration".
Und nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Angesichts der Finanzkrise in Griechenland zieht es wieder eine junge Generation unfreiwillig in die Fremde, auch nach Deutschland.