Mafia-Paradies Deutschland Die unterschätzte Gefahr
Deutschland ist ein Paradies für die italienische Mafia. Die organisierte Kriminalität werde unterschätzt, warnt Mafiaexpertin Alessandra Dino aus Palermo. Deutschland verschließe die Augen, es fehlten die nötigen Gesetze. Dino tourt durch Europa, um aufzuklären.
Von Rika Dechant
Spricht man sie auf das Mafiabild der Deutschen an, so runzelt die 53-Jährige die Stirn: Denn die meisten glaubten, beim Thema Mafia gehe es um Schutzgeld und die Pizzeria um die Ecke. Das betreffe den Normalbürger nicht. Daran müsse sich etwas ändern, fordert die Sizilianerin vehement. Genau deshalb reist sie durch Europa. Um aufzuklären. Denn nur, weil es seit Duisburg keine großen Blutbäder mehr in Deutschland gegeben habe, sei die Mafia nicht verschwunden, sagt sie. Im Gegenteil:
"Sie ist da! Unbemerkt, weil gewaltfrei, vor allem im Bereich der Geldwäsche. Es ist dumm, die Präsenz der Mafia zu unterschätzen und zu ignorieren." Die zierliche Frau aus Palermo nimmt kein Blatt vor den Mund. Denn Duisburg war nur eine Art Unfall. Die Morde werden normalerweise zuhause in Italien verübt, in Deutschland zieht man die Drähte im Hintergrund.
"Bei der Geldwäsche, der Produktpiraterie und der Baumafia ist vor allem die Camorra aus Kampanien ganz vorne dabei. Die Cosa Nostra aus Sizilien und die 'Ndrangheta aus Kalabrien sind im Drogengeschäft, sie haben quasi Monopolstellung im Kokainhandel."
Alessandra Dino, Mafiaexpertin
Mafia und Terrorismus
Manch einer mag an dieser Stelle denken, in Zeiten des IS-Terrors habe die Polizei in Deutschland andere Sorgen. Doch Dino sieht einen Zusammenhang:
"Vor allem wird der Tatsache zu wenig Beachtung geschenkt, dass zwischen dem sogenannten IS und der Mafia Waffenhandel betrieben wird. Gerade jetzt ist es also wirklich dumm, das alles nicht im internationalen Zusammenhang mit dem Terrorismus zu sehen. Der Waffenhandel ist durch Ermittlungsakten bewiesen. Der Menschenhandel gehört übrigens auch dazu."
Alessandra Dino
Dabei hilft der Mafia ausgerechnet die Globalisierung. Die Vernetzung zu anderen kriminellen Organisationen ist heutzutage kein großes Problem:
"Die einzelnen Bosse können sich, zum Beispiel wenn sie Kontakt zu Waffenhändlern nach Brasilien brauchen, einfach an die kriminellen Organisationen vor Ort wenden. Die einzelnen Kartelle sind sehr gut miteinander vernetzt. Früher konnten die Mafiosi alleine von Italien aus nur wenig bewerkstelligen."
Alessandra Dino
Fragen an das Innenministerium
Wir konfrontieren das Bundesinnenministerium mit den Behauptungen Alessandra Dinos. Über eine Beteiligung der Mafia am Menschenhandel sei nichts bekannt, erklärt Sprecherin Lisa Haeger. Auf eventuelle Verzahnungen zwischen Waffenhandel und der Mafia werde jedoch geachtet. Und schon sind wir beim leidigen Thema Personal:
"Die Sicherheitsbehörden erfahren vor dem Hintergrund der aktuellen terroristischen Bedrohungslage eine massive Verstärkung. Diese Verstärkung stellt insbesondere sicher, dass die Bewältigung der terroristischen Bedrohungslage nicht zu Lasten der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität geht."
Lisa Haeger, Sprecherin Bundesinnenministerium
Das klingt nicht danach, dass sich die Sicherheitsbehörden künftig besser um die organisierte Kriminalität kümmern wollen. Hinzu kommt: Selbst wenn endlich Gelder für mehr Personal freigegeben werden, dauert die Ausbildung der Polizisten einige Jahre.
Abhören in Italien und Deutschland - ein gewaltiger Unterschied
Eigentlich müsste die Globalisierung nicht nur der Mafia, sondern auch den Ermittlern bei der Zusammenarbeit helfen. Doch hier behinderten die unterschiedlichen Gesetze die Ermittlungsarbeit, sagt Dino. Das Hauptproblem: „Man kann in Deutschland einfach nicht so leicht abhören wie in Italien.“ Viele Mafiosi konnten dort nur durch das Abhören von Telefonaten verurteilt werden. Nur so wurden viele Verbrechen aufgedeckt.
Der Lauschangriff ist in Italien eines der wichtigsten Instrumente im Kampf gegen die Mafia - vor allem bei der Kriminalität im politischen und geschäftlichen Bereich. Denn allein die Zugehörigkeit zu einem Clan reicht südlich der Alpen aus, ein Mitglied abzuhören. Das Bundesinnenministerium bestätigt: Es gibt in Deutschland tatsächlich keinen speziellen Mafiaparagraphen, der das schnelle und einfache Abhören erlaubt. Lauschangriff geht hierzulande nur dann, wenn zumindest der Verdacht auf ein Delikt vorliegt.