Ausstieg aus der Kohle Dauerbrenner statt Auslaufmodell
Die Bundesregierung ließ vor dem Klimagipfel in Marokko konkrete Vorgaben zum Kohleausstieg vermissen. Das passt ins Bild: Eine Analyse von BR-Data zeigt, dass der Brennstoff Kohle in den vergangenen Jahren in Deutschland kaum an Stellenwert verloren hat.
Kohle hat keine Zukunft, darüber sind sich die meisten Politiker quer durch die Parteien einig. Wann diese Zukunft beginnt und wie der Ausstieg vollzogen werden soll, ist allerdings seit Jahren unklar. "Solange Strom aus erneuerbaren Energien noch nicht ausreichend und zu jeder Zeit zur Verfügung steht, müssen vorübergehend noch konventionelle Kraftwerke die Lücke schließen", so die Bundesregierung zur Energieversorgung nach dem Atomausstieg. Betrachtet man den Stellenwert der Kohle in Deutschland, kann von einem Lückenfüller jedoch nicht die Rede sein. Denn bei der Stromerzeugung ist der fossile Brennstoff immer noch der wichtigste Energielieferant. Über 42 % der in Deutschland gewonnenen Elektrizität stammt aus Kohlekraftwerken.
Anteil der Energieträger an der Stromerzeugung
Bau neuer Kohlekraftwerke
151 Kraftwerksblöcke mit Braun- oder Steinkohle als Energieträger sind derzeit in Deutschland in Betrieb. Ein Kraftwerk kann aus mehreren Blöcken entstehen, die unabhängig voneinander betrieben werden können. In vielen Fällen wurden bestehende Kraftwerke im Laufe der Jahre um einzelne Blöcke erweitert. Ein großer Teil der Anlagen wurde während des Kohle-Booms in den 70er- und 80er-Jahren errichtet, aber auch in der Folgezeit investierten deutsche Energieerzeuger immer wieder in die Kohlekraft: Alleine zwischen 2013 und 2015 wurden zehn Blöcke neu in Betrieb genommen - fast eine kleine Renaissance nach dem Atomausstieg.
Inbetriebnahme der noch aktiven Kohle-Kraftwerksblöcke
Zahlreiche weitere geplante Neubauten von Kohlekraftwerken wurden in den vergangenen Jahren erst durch Klagen von Umweltschützern oder Anwohnern gestoppt. Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) befinden sich derzeit noch drei Kohlekraftwerke in Planung oder im Bau. Für eine der geplanten Neubauten ist Dow Chemicals verantwortlich. Der US-Konzern möchte im niedersächsischen Stade ein Kraftwerk für Steinkohle, Biomasse und Wasserstoff errichten. Nur fünf Kilometer entfernt steht das Kernkraftwerk Stade - oder was davon übrig ist. Es war das erste Kraftwerk, das 2003 nach dem Beschluss zum Atomausstieg stillgelegt wurde und befindet sich derzeit im Rückbau.
Dauerbrenner Braunkohle
Im Gegensatz zur Atomkraft spielt die Braunkohle weiter eine wichtige Rolle - ein echtes Produkt "Made in Germany" eben. Was die Fördermenge angeht, ist Deutschland seit Jahrzehnten weltweit die Nummer eins, mit großen Abstand vor China. Der Tagebau im rheinischen Braunkohlerevier soll nach den derzeitigen Plänen bis 2050 weitergehen, die Vorräte im Boden würden sogar noch wesentlich länger reichen. Die Fördermenge hat dabei in den vergangenen 10 Jahren kaum abgenommen, obwohl die Verbrennung von Braunkohle etwa doppelt so viel CO² freisetzt wie die Verbrennung von Erdgas. Zudem gehören gleich mehrere deutsche Braunkohlekraftwerke zu den schmutzigsten Kraftwerken in Europa.
Deutsche Braunkohle-Förderung in Mio. Tonnen
Steinkohle aus dem Ausland
Der Abbau von Steinkohle ist in Deutschland im Gegenteil zur Braunkohle schon lange nicht mehr rentabel, deshalb fließen bis heute Subventionen in Milliardenhöhe. Der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen schießen dem Steinkohlebergbau alleine dieses Jahr 1,2 Milliarden Euro zu. Erst 2018 sollen die noch verbliebenen Zechen geschlossen werden, dann endet auch die staatliche Beihilfe. Gedeckt wird der deutsche Steinkohlebedarf schon seit langem durch den Import, vor allem aus Russland, Kolumbien, Südfarika und den USA. Die Einfuhr bewegt sich seit Jahren auf dem gleichen Niveau - ein rückläufiger Trend ist hier ebenfalls nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Betrachtet man die vergangenen zehn Jahre, ist die Einfuhr von Steinkohle sogar leicht angestiegen.
Einfuhr von Steinkohle in Mio. Tonnen
Erstaunlich ist diese Entwicklung vor dem Hintergrund der deutschen Stromexporte. "Deutschland hat in den vergangenen Jahren sehr viel mehr Strom produziert, als im eigenen Land benötigt wurde", schreibt die Bundesregierung auf ihrer Webseite zum Atomausstieg. Der Verein der Kohlenimporteure bestätigte vergangenes Jahr in einer Pressemitteilung, dass hauptsächlich der günstige Strom aus Steinkohle ins Ausland geht: "Die im Vergleich zum Vorjahr um 3% höhere exportierte Strommenge stammt hauptsächlich aus Steinkohlekraftwerken." Der Stromexport wiederum führt dazu, dass nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Nachbarländern die umweltfreundlicheren Gaskraftwerke vom Markt gedrängt werden. Der internationalisierte Strommarkt kennt eben keine Ländergrenzen, genau wie die CO²-Emissionen aus den Kohlekraftwerken.
Datenquellen
- Anteil der Energieträger an der Stromerzeugung: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
- Braunkohleförderung in Deutschland: Statistik der Kohlenwirtschaft
- Einfuhr von Steinkohle: Bundesamt für Statistik
- Kohlekraftwerke in Deutschland: Bundesnetzagentur
- Im Bau oder in Planung befindliche Kraftwerke: Bundesverband der Energiewirtschaft
Sendung
Bayern 2, radioWelt, 1.12.2016, 6.05 Uhr