NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 1. Verhandlungstag, 06.05.2013
Am ersten Verhandlungstag werden zunächst Befangenheitsanträge gegen die Richter verlesen – stundenlang. Ein erstes Kräftemessen der Verteidiger von Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben mit dem Gericht.
Danach wird der Prozess für eine Woche ausgesetzt. Auf den Besucherbänken sitzen auch der bekannte Neonazi Karl-Heinz Statzberger und Maik E., Bruder des Angeklagten André E., was für Aufsehen schon am ersten Tag sorgt. Kurze Aufregung auch, als einer der Nebenkläger im Gerichtssaal einen Kreislaufzusammenbruch erleidet.
ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal
(Wolfgang Vichtl, BR)
Beate Zschäpe. Ankunft 7.30 Uhr, mit Polizei, Hintereingang Justizgebäude.
(Thies Marsen, BR)
In der Besucherschlange steht neben anderen der verurteilte Rechtsterrorist Karl-Heinz Statzberger, verurteilt gemeinsam mit Martin Wiese wegen des geplanten Anschlags auf das Jüdische Gemeindezentrum in München.
(Tim Aßmann, BR)
Türkischer Generalkonsul in Warteschlange der Zuschauer - und zwar wenige Meter von stadtbekannten Münchner Neonazis entfernt. Hidayet Eris, der Generalkonsul in München, beklagt, dass er nach 34 Jahren als Diplomat so was erleben muss. Er hätte einen festen Platz erwartet. Schließlich sei es sein Job, das Verfahren zu verfolgen.
(Holger Schmidt, SWR)
Sitzordnung, links aus Sicht der Zuschauer, erste Reihe: Zschäpe und Verteidiger. Zweite Reihe: Wohlleben und Verteidiger. Dritte (letzte) Reihe: Holger G. und Carsten S.
(Ina Krauss, BR)
Rechtsanwalt Thomas Bliwier (vertritt die Familie Yozgat. Nebenkläger) zieht Antrag auf Videoübertragung zurück (den er bereits vor Prozessbeginn gestellt hat). Er vertritt Familie Yozgat.
(Ayca Tolun, WDR)
In der Schlange: Abgeordnete der türkischen Menschenrechtskommission des türkischen Parlaments.
Sie sind enttäuscht, obwohl allen bereits bekannt ist, dass wenig Chancen bestehen reinzukommen. Sie sagen, in der Türkei läuft auch nicht alles perfekt, aber so etwas in Deutschland - in diesem demokratisch transparenten Vorzeigeland, das über Jahrzehnte die Türkei rügte … Die Türken würden zwar womöglich mit den eigenen Leuten unschön umspringen, aber doch nicht mit Gästen! Wenig Türkischstämmige unter den Besuchern/Zuschauern. Die Anwesenden zeigten sich enttäuscht darüber. Noch ein kleiner Disput in der Journalisten-Schlange. Wir mussten noch mal komplett umziehen in eine andere Schlange, begleitet von der Androhung: sonst kommt ihr nicht rein. Dann aber: sehr freundlich. Bin allerdings noch nie so massiv körperlich durchsucht und zum Teil auch unangenehm angefasst worden! Obwohl es hieß, "wie am Flughafen".
(Ayca Tolun, WDR)
Alle sechs Mitglieder der türkischen Menschenrechtskommission sind drin. Halten immer wieder spontane "Pressekonferenzen". So laut, dass jeder, der türkisch spricht, zitierfähig mitschreiben kann. Wunsch: endlich soll es um die Toten und die Taten gehen. Man hat "trotzdem" Vertrauen zum "deutschen System". Deutschland kann das, sagt der Kommissionsvorsitzende Ayhan Sefer Üstün (aus der Erdogan-Regierungspartei AKP). Bisher war er vier Mal in dieser Sache in Deutschland. Wollen regelmäßig zum Prozess kommen mit der Hoffnung, eine Lösung zu bekommen, damit die unwürdige Behandlung und dieses Glücksspiel drinnen/draußen ein Ende hat. Ergiebige Gespräche mit NSU-Bundestagsuntersuchungsausschuss-Mitgliedern. Allerdings anhaltender Unmut über die schlechte Behandlung. In der Türkei würde man Parlamentarier nie so behandeln. Erwartung und Wunsch: ein gerechtes Urteil, das für alle Seiten heilend wirkt.
(Ayca Tolun, WDR)
Zschäpe, die Arme verschränkt, mit dem Rücken zu den Journalisten. Unten sehr leise, fast ehrfurchtsvolle Atmosphäre. Sie bespricht sich in lockerer Haltung freundlich mit ihren Anwälten. Andere hatten Gesicht verdeckt, sie nicht. Schon lange Fotosession, allerdings überwiegend Rücken-Ansicht. Szene irgendwie merkwürdig, weil auch so unerwartet, wir flüstern alle (warum auch immer). Ist fast so wie "endlich sieht man mal jemanden, den man sonst nur aus den Medien kennt".
(Ayca Tolun, WDR)
Einer der türkischen Abgeordneten, Mustafa Tanal, hat sich über das Kreuz am Eingang des Gerichtssaals echauffiert. Für ihn ist es kein gutes Omen für ein gerechtes Urteil, es verletze das Gerechtigkeitsgefühl, schließlich gehe es hier bei den Ermordeten ja überwiegend um Muslime.
(Karl Broderix, BR)
Der Angeklagte Carsten S. mit gesenktem Kopf, der Angeklagte Holger G. mit Kappe und Mappe vor dem Gesicht. Als sie hereingeführt werden stehen alle auf. Die Angeklagte Beate Zschäpe angespannt, der Angeklagte André E. locker, der Angeklagte Wohlleben auch eher locker. Zschäpe dreht uns den Rücken zu.
(Ayca Tolun, WDR)
Wirkt langsam unwürdig. Seit 15 Minuten unter anderem ausgelassene Unterhaltung zwischen Zschäpe und ihren Anwälten. Presse huldigt dem fast, es wird die Rückenansicht fotografiert, was das Zeug hält, unklar was passiert. Ist es gut oder schlecht für die Angeklagte? Unbedarft mag man denken: toll, jetzt bekommt sie eine Bühne. Man kann aber auch sagen (sagen auch einige Kollegen): Sie wird zur Schau gestellt. Es ist anhaltend ruhig im Saal. Die türkischen Abgeordneten sind irritiert, erwarten das Eingreifen des Richters, für sie eher ein Affront "diese zur Schau gestellte scheinbare Lässigkeit".
(Holger Schmidt, SWR)
Senat tritt ein. Götzl zuletzt. Ergänzungsrichter mit Robe (wird an den Oberlandesgerichten/OLG unterschiedlich gehandhabt). Alle erheben sich. Grund für Verzögerung unklar.
(Ina Krauss, BR)
OLG-Sprecherin Andrea Titz sagt, viele Nebenkläger hätten vielleicht Angst vor der Belastung und wären darum nicht gekommen. Gibt in Kürze Statement in Presseraum A 206 ab, sobald sie Infos aus Saal hat. Die Verzögerung sei "üblich" und habe keinen besonderen Grund.
(Sebastian Kraft, BR)
Ich war mit der ARD-Poolkamera als Fernsehreporter unten im Saal – hier meine Eindrücke: Stimmung angespannt, aber ruhig und besonnen. Tröpfchenweise kamen die Nebenkläger mit den Angehörigen der Opfer rein, die Gesichter erwartungsgemäß sehr angespannt, feuchte Augen, alle wirkten aber sehr gefasst. Grundsätzlich würde ich aber von einer "positiven" Grundstimmung sprechen, viele haben sich untereinander gekannt, begrüßt, umarmt, getuschelt. Dann gegen 9.55 Uhr: Die Angeklagten werden hereingeführt. André E. mit Sonnenbrille, gibt sich ruhig und gefasst, will meinem Eindruck nach auch ein bisschen cool wirken. Am Platz hält er sich erst eine rote Mappe vors Gesicht, lässt es aber später wieder bleiben. Wirkt dann aber doch zappelig mit den Händen. Interessant auch die Tätowierung, wenn er die Faust ballt - auf jedem Finger ein Buchstabe - wird zum Wort "Frei" - auf jeder Hand. Holger G. sitzt in der letzten Reihe, mit Schirmmütze und einer Mappe vor dem Gesicht. Dreht uns später den Rücken zu. Eher unauffällig. Carsten S. ist komplett mit einem dunklen Anzug/Jacke verhüllt, übers Gesicht, sitzt regungslos fast die ganze Zeit mit gesenktem Kopf da. Ralf Wohlleben ist der einzige, der sich "natürlich" verhält und sein Gesicht zeigt, kommt normal rein, setzt sich, lässt sich filmen und fotografieren, gibt sich ruhig und gelassen, manchmal gar ein Lächeln, kurze Gespräche mit seiner Verteidigerin, blättert in Akten. Für seine Frau ist auch ein Platz da, sie taucht aber nicht auf während Kameras drinnen sind.
Dann Beate Zschäpe: Kommt rein, Gesicht und Körper schon leicht gedreht, will sich uns nicht wirklich zeigen, dreht sich zügig um auf ihrem Platz (ganz vorne, nur ein Meter von uns entfernt), wir bekommen die ganze Zeit nur ihren Rücken zu sehen. Lehnt an der Stuhllehne, wird von drei Anwälten quasi im "U" eingerahmt, alle vier reden, durchaus "normal", Inhalt nicht zu verstehen. Zschäpe gibt sich ruhig, wirkt aber durchaus nervös, wenn ich auf die zappeligen Hände geschaut habe. Alle versuchen natürlich von der Seite einen Blick in ihr Gesicht zu erhaschen, teilweise gelingt es.
Reihenfolge beim Reinführen: Holger G., André E., Carsten S., Zschäpe, Wohlleben. Sitzordnung: Drei Reihen - ganz vorne links E. und rechts Zschäpe. Zweite Reihe: Wohlleben. Dritte Reihe links: G. und S. - Erst gegen 10.20 Uhr kommen die Richter, wir Reporter haben also gut 25 Minuten Zeit, alle ausführlich zu drehen, zu fotografieren.
(Ayca Tolun, WDR)
Verlesen der Namen der Dolmetscher und Vereidigung der Dolmetscher. Verlesen der Namen aller Anwälte. Zschäpe sitzt zwischen ihren Anwälten, hat klassischen Business-Dress/Hosenanzug an, schwarz-blaues Jackett, weiße Bluse, könnte auch eine der Anwältinnen sein, würde man ihr Bild nicht so sehr kennen. Sitzungssaal macht einen sehr überfüllten Eindruck, vor allem die Polizisten, die auf daher geholten Stühlen ziemlich wahllos zwischen Verteidigung und Richtertisch sitzen - sichtlich unbequem und auch fast etwas überflüssig in der Erscheinung, machen aus dem Ganzen eine Art Volkstheater: auch wegen dem rondellartigen Saal, inklusive der zur Schau gestellten Leitzordner. Vorsitzender Richter Götzl redet bedächtig, sehr langsam artikulierend und man hört das Klappern auf den Computertastaturen. Für jemanden wie mich, die so was noch nie erlebt hat, ist alles etwas ‚strange‘ und gar nicht so wie erwartet. Viele Zuschauer schreiben mit, einige sind Jura-Studenten - das war auch eines der Themen in der Schlange. Zschäpe macht keinen unsympathischen Eindruck, schaut sich viel um, auch nach oben zu uns, hat eine unangespannte Körpersprache, wie ich finde, guckt oft und offen zu den Angehörigen.
(Holger Schmidt, SWR)
Anwalt Olaf Klemke (Verteidiger Wohlleben) will sofort einen Antrag stellen. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl: "Moment, wir haben noch gar nicht angefangen. Keine Sorge, Sie kommen zu Wort. Aber ich will erst mal die Anwesenheit feststellen." Fängt mit Dolmetschern an, zwei Dolmetscher sind zu vereidigen, alle erheben sich, die Angeklagte Beate Zschäpe, ihre Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl, Anja Sturm, der Angeklagte André E., seine Anwälte Michael Kaiser und Oliver Freitag in Vertretung von Rechtsanwalt Herbert Hedrich, der Angeklagte Ralf Wohlleben, mit den Anwälten Nicole Schneiders und Olaf Klemke, der Angeklagte Carsten S., mit seinen Anwälten Jacob Hösl und und Johannes Pausch, der Angeklagte Holger G., mit seinem Verteidiger Stefan Hachmeister. Richter Götzl stellt fest: Frau Wohlleben ist als Beistand nicht erschienen. Bundesanwalt Dr. Herbert Diemer, Oberstaatsanwältin am Bundesgerichtshof (BGH) Anette Greger, OStA BGH Jochen Weingarten, StA BGH Stefan Schmidt. Sitzordnung Bundesanwaltschaft/GBA (Anklage): Vom Zuschauerraum rechts und dann von links nach rechts Schmidt, Diemer, Greger, Weingarten. OLG-Pressesprecherin Nötzel im Saal, links neben StA Schmidt. Feststellung der Anwesenheit der Nebenklage. Dauert. Nicht alle Anwälte sind da, viele kommen allein ohne Mandanten. Beate Zschäpe unsicher, neugierig. Sucht Blickkontakt zu E. - der brütet aber vor sich, trägt orange-kariertes Freizeithemd. G. mit Sakko und Jeans, zurückgelehnt-distanziert. Carsten S. in blauem Hemd und schwarzer Strickjacke. Sieht "fertig" aus. Zschäpe hat Ablehnungsantrag gestellt und Richter Götzl am Samstag per Fax um 19.00 Uhr abgelehnt. Verteidiger Stahl fragt, was mit diesem Antrag geschehen ist. Götzl: Was meinen Sie? Stahl präzisiert: Wie wollen Sie damit umgehen? Götzl: 04.05. 18.59 Uhr ist es eingegangen. Daraus folgt für uns keine Dringlichkeit. Stahl will Unterbrechung für fünf Minuten. Bekommt sie. Also fünf Minuten Pause.
(Frank Bräutigam, SWR)
9.15 Uhr. Links erste Reihe Zschäpe. Platz noch leer neben ihren Rechtsanwälten (RA). Selbe Reihe: André E. mit RA. Zweite Reihe: Ralf Wohlleben und RA, plus RA Anja Sturm. Dritte Reihe: Holger G., Carsten S. mit RA. Pulk aus Kameras und Fotografen, es ist unglaublich eng. 9.33 Uhr. Auf der Tribüne viel los, aufgeregte Stimmung. Gerichtspräsident Karl. Huber kommt und begrüßt türkische Besucher. Presseleute stehen an der Absperrung und fotografieren wie wild. 10.25 Uhr: Zschäpe. dreht sich um, als Richter Platz nehmen. Sofort Versuch: Antrag Verteidigung. Nur mit der Ruhe, sie kommen zu Wort. Erst Aufruf Vereidigung Dolmetscher, türkische Sprache. Zschäpe. hat eigenes Laptop, klickt auf Touchpad. Schaut aufmerksam durch Saal. Präsenz Zschäpe., RA Heer, will zu Wort kommen. Später. André E., Ralf Wohlleben. Demos draußen sind drinnen zu hören. Carsten S., Holger G., Viele Nebenklage-Anwälte ohne Mandanten. Zschäpe. schaut sich Vorstellung Nebenkläger genau an, interessiert sie. Götzl hat Tabelle. Vertreter Jugendgerichtshilfe kommt heute nicht. Senat vorstellen: Fischer Odersky, Kuchenbauer, Lang, Götzl. Ergänzungsrichter Feistkorn, Kramer, Prechsl. Professor Saß als psych. Sachverständiger.
(Ayca Tolun, WDR)
Reden mit Kollegen, unter anderem mit Özlem Topcu von der "Zeit" und mit türkischen Kollegen. Zschäpe beschäftigt uns alle. Irgendwie ist sie überhaupt nicht der Inbegriff des Bösen - wie es sein sollte. Würde sie reden und um Verzeihung bitten, käme man vielleicht sogar in die Bredouille, sagt gerade ein türkischer Kollege. Sie steht gerade in ihrer Tischreihe, Arme verschränkt, so wie eine angehende Anwältin in einer guten Kanzlei, die versucht freundlich und zuvorkommend zu bleiben, so viel wie möglich mitzubekommen von all dem, was um sie herum passiert. Sie bewegt sich auch sehr entspannt, trinkt ab und zu von ihrem Kaffee to go. Die Pause dauert jetzt doch länger. Richter Götzl war schon mal drin, aber, weil andere fehlten, sagte er mürrisch: "Erst, wenn alle da sind" und ging wieder raus. Erste freundliche polizeiliche Verwarnung, keine Fotos zu machen und nicht zu telefonieren. Türkische TV-Kollegen machen von hier aus (von der Pressetribüne) immer wieder live TV-Schalten in die Türkei.
(Ayca Tolun, WDR)
Auch türkischer Botschafter drin! Hat sich angestellt und kam rein, offenbar durch einen Zuschauer, der ging. Sitzt in der hintersten Reihe, sehr unprätentiös.
(Frank Bräutigam, SWR)
Weiter nach Pause. 11.05 Uhr. Stahl: (Ablehnungsantrag) bereits Samstag, 19 Uhr, versandt, gehen davon aus, dass hinreichend Zeit war, sich damit zu befassen. Sachverhalt bekannt, ist nicht neu. Ablehnungsverfahren jetzt durchführen. Paragraf 29 StPO Ausnahme. Etwas naiv in Sache reingegangen. Dachte, vom Gericht kopiert. Richter Götzl gibt Verteidiger Stahl dessen eigenen Antrag. Stahl verliest Antrag: Lehnt Götzl wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
(Es folgen langwierige juristische Diskussionen um die Ablehnungsanträge)
11.30 Uhr: Türkischer Botschafter kommt auf Tribüne.
(Holger Schmidt, SWR)
Verteidiger Stahl verliest langen Ablehnungsantrag von Zschäpe. Kurz gesagt geht es den Zschäpe-Verteidigern darum: Weil Verteidiger im Gegensatz zu anderen Beteiligten durchsucht werden sollen, ohne dass es Anhaltpunkte dafür gibt, dass sie etwas einschmuggeln könnten, missachte Götzl die Rechte der Rechtsanwälte. Damit versucht Zschäpe Götzl als befangen ablehnen, weil „Missachtung der Anwälte“, Zschäpe ist dazu berechtigt. Verteidiger Stahl: "Auf den Punkt gebracht, werden wir für zu dumm gehalten, um zu bemerken, dass wir etwas Verbotenes einschmuggeln". Verlesung des Antrags dauert noch an. Alle sind genervt, Stahl scheint es zu genießen.
(Ayca Tolun, WDR)
Verlesung des Ablehnungsantrags und Für- und Gegenrede seit rund 40 Minuten. Ermüdungserscheinungen allerorten. Zuschauer und Journalisten beginnen zu "quatschen". Zschäpe macht bereits größere Dehnungsbewegungen. Leiser Unmut. Einer der Zschäpe-Anwälte greift ein und erklärt den Ablehnungs-/Befangenheitsantrag als nicht sachwidrig, er beschneide nicht die Rechte der Angehörigen und vergrößere nicht deren Leid. Mittagspause bis 13.30 Uhr. Wenn das so weitergeht, haben wir den Saal spätestens nächste Woche für uns :)
(Ayca Tolun, WDR)
Die Zuschauerränge sind zum Teil anders besetzt. Die Atmosphäre inzwischen recht leger. Der türkische Botschafter ist immer wieder Anlaufpunkt und Gesprächspartner für türkische Journalisten, vor allem aber für die türkischen Abgeordneten, die sich ziemlich langweilen bei den langen Verlesungen (einer hat über eine längere Strecke auch gedöst).
(Matthias Reiche, MDR)
Beate Zschäpe wirkt auf keinen Fall als das Monster, das manch einer in ihr sehen möchte. Fühlt sich zwischen ihren beiden männlichen Anwälten auch offenkundig wohl - hat ja Übung darin, mit zwei Männern gleichzeitig zurecht zu kommen. Es geht weiter im Verfahren.
(Frank Bräutigam, SWR)
13.30 Uhr. Zschäpe und die anderen zurück im Saal, Z. unterhält sich angeregt mit Verteidigern, scheint froh über die Abwechslung zu sein. Oberstaatsanwältin Greger, Stellungnahme (Ablehnungs-)Antrag: unbegründet: Sei nicht geeignet, Parteilichkeit zu begründen. Bekannte Gefährdungslage, Durchsuchung anordnen. BVerfG habe Durchsuchung der Verteidiger anerkannt. Gleichsetzung mit Richtern und anderen nicht geboten wegen unterschiedlicher Aufgaben/Funktionsfelder. Diskriminierung liegt nicht vor, nicht gegen Angeklagte Zschäpe gerichtet. Keine Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten.
Richter Götzl, Verfügung: Entscheidung wird vorläufig zurückgestellt Antrag ging Samstag ein. Am 6.5. erneut gestellt. Am Wochenende vor Hauptverhandlung (HV). Von Geschäftsstelle am 6.5. um 8.00 Uhr vorgelegt. Beginn der Hauptverhandlung § 29 II StPO. Würde Unterbrechung erforderlich machen. Pflichtgemäßes Ermessen des Gerichts, wegen Beschleunigung in Haftsachen: fortsetzen. Verteidigung Wohlleben beanstandet Verfügung, die Hauptverhandlung fortzusetzen. Nicht einleuchtend.
Richter Götzl: Verteidiger haben Antrag heute explizit nochmal gestellt. Der ist halt nun mal gestellt. Möchten Sie einen Gerichtsbeschluss? (Ton wird schärfer).
14.37 Uhr. Verteidiger Klemke: Wohlleben lehnt drei Richter ab. Götzl, Lang, Kuchenbauer. Zweifel wegen: GBA - Anklage nach München. Umfang: 1.004 Stehordner, mit Anhang. Senat ließ Anklage zu. Fünf Tage vorher: BILD: Aus Angst vor Anschlägen: Gerichtssaal wird umgebaut. OLG-Präsident Huber: Um Sicherheit zu gewährleisten. Wir werden auf alles vorbereitet sein. Huber habe schon vor Zulassung der Anklage Umbauarbeiten in Auftrag gegeben. Mache nur dann Sinn, wenn vom Vorsitzenden signalisiert wurde, dass Anklage zugelassen. Somit: Befugnisse überschritten. Präjudiz. Beiordnung weiterer Verteidiger Zschäpe. Notwendige Verteidigung. Waffengleichheit. Wollen auch dritten Pflichtverteidiger. Zschäpe hat zwei weitere bekommen. 23.1.13: Wohlleben beantragte weiteren Verteidiger. 28.1.13: GBA gegen dritten Verteidiger für Wohlleben: Aufspaltung des Verfahrensstoffes ist nicht möglich. Keine Waffengleichheit im Vergleich zu Zschäpe. Senat lehnte Bestellung eines dritten Rechtsanwalts ab. Grund: Bedürfnis der Verteidigung bereits Rechnung getragen, mit zwei Pflichtverteidigern für Wohlleben. Götzl unterbricht, verbietet Zeitunglesen in Reihen der Nebenkläger. Klemke: Ablehnung eines dritten Verteidigers: Willkürlich. Stoff Zschäpe und Wohlleben sei vergleichbar. Als Beweismittel beschlagnahmt: Briefkuverts von Wohlleben an Familie und andere, wurden dem Senat vorgelegt im Rahmen der Postkontrolle. Buchstaben ergeben ein Hakenkreuz. Gesteigerter Verfolgungseifer, weil Hakenkreuz unterstellt! GBA hatte keinen Grund zur Beanstandung gesehen. Wohlleben schließt sich Befangenheitsantrag Zschäpes vom 4.5.13 an. Richter benennen, die zuständig sind. Stellungnahme Nebenklage. Pause.
(Holger Schmidt, SWR)
Götzl will Befangenheitsantrag zurückstellen. GBA hält ihn für unbegründet. Verteidiger E. ist der Meinung, er muss sofort beschieden werden. Problem: Wenn er nur am Samstag per Fax gestellt worden wäre, müsste er wohl sofort behandelt werden, § 29 Absatz 1 StPO. Da er heute wiederholt wurde, ist eventuell Zeit bis Mittwoch, § 29 Absatz 2.
(Matthias Reiche, MDR)
14.20 Uhr: Es geht weiter im Verfahren. Gericht beschließt: Befangenheitsantrag wird zurückgestellt beziehungsweise aufgeschoben und Verhandlung geht weiter. Ralf Wohlleben lässt nun seinerseits durch seinen Anwalt den Richter ablehnen - hier soll jetzt unverblümt auf Zeit gespielt werden. Der Vortrag von Wohllebens Anwalt lässt ahnen, dass es bis zum Ende dieses Verfahren ein Weg sein wird, der in Zentimetern zu messen ist. Beate Zschäpe hat inzwischen Jacke abgelegt, beim Zitieren eines Artikels, in dem sie als Naziterroristin bezeichnet wird, schaut sie gequält und leidend, so als sei sie es leid, immer wieder so verkannt zu werden.
(Oliver Bendixen, BR)
Laut Polizeipräsident sind E.-Bruder und Karl-Heinz Statzberger im Saal. Beide können drinbleiben, nachdem sich die Polizei beim Richter erkundigt hat. Damit steht fest, dass Maik E. nicht auf der Zeugenliste steht (weil Zeugen nicht der Verhandlung beiwohnen dürfen, um sich nicht auf ihre Aussagen vorbereiten zu können.)
(Oliver Bendixen, BR)
Pause bis 16.15 Uhr. Verhandlung war unterbrochen, weil eine Nebenklägerin und ein Nebenkläger Schwächeanfälle erlitten haben.
(Wolfgang Vichtl, BR)
Ergänzende Info Bendixen: Ein(!) Mann (Nebenkläger) wurde wegen Herz-Kreislauf-Schwäche mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus gefahren.
Hinweis
Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.