NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 3. Verhandlungstag, 15.5.2013
Der NSU-Prozess kommt wegen neuer Anträge gegen das Gericht und die Bundesanwaltschaft auch am dritten Tag nicht voran. Die Verteidiger von Zschäpe und Wohlleben fordern eine Aussetzung des Verfahrens.
Eine vom Gericht vorgeschlagene Abtrennung des dem NSU zu Last gelegten Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße am 9. Juni 2004 stößt auf breite Ablehnung. Über die von Zschäpes Verteidigern beantragte Video- oder Tonaufzeichnung des Verfahrens wird nicht entschieden.
ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal
(Rolf Clement, DLF)
9.23 Uhr.
Maik E. (Zwillingsbruder des Angeklagten André E.) ist gerade von der Polizei aus dem Zuschauerraum geholt worden, sagte im Hinausgehen, sein Platz bleibe besetzt. Hier ist unklar, warum.
(Frank Bräutigam, SWR)
9.27 Uhr.
Noch kein Angeklagter im Saal, nur zwei Anwälte. Zuschauerplätze noch teilweise frei, Presse voll. Diskussion um Laptop-Nutzung im Zuschauerbereich, scheint aber zu gehen.
(Rolf Clement, DLF)
09.27 Uhr.
Maik E. hat Jacke geholt und den Saal verlassen. Hat gestern von der Tribüne aus Stinkefinger in ZDF-Kamera gezeigt.
(Tim Aßmann, BR)
9.40 Uhr.
Holger G. (Basecap ins Gesicht gezogen) und Carsten S. (dunkelblaue Kapuzenjacke wie gestern über den Kopf gezogen) im Saal.
André E. auch auf Anklagebank, Sonnenbrille, weiß-grau gestreiftes Shirt, betont lässig zurückgelehnt.
Ralf Wohlleben, heller Pullover, wirkt gelassen.
Beate Zschäpe heute wieder im dunklen Hosenanzug, Rücken zu den Kameras wie immer.
(Wolfgang Vichtl, BR)
9.56 Uhr.
Unklarheiten über Maik E.:
OLG-Sprecherin Margarete Nötzel: Er ist drin. Augenzeugen und Wachtmeister: Er ist draußen. Habe Jacke genommen und sei draußen.
Polizei: Es hat keinen Vorfall gegeben - weil, wenn: "Dann wäre er nicht alleine gegangen."
(Tim Aßmann, BR)
9.57 Uhr.
Wir sehen ihn hier nicht.
(Paul-Elmar Jöris, WDR)
9.59 Uhr.
Ich habe ihn abziehen sehen. Er musste an den Kameras vorbei und musste zu seinem Ärger gehen.
(Tim Aßmann, BR)
9.54 Uhr.
Stellungnahme Jochen Weingarten (Vertreter Bundesanwaltschaft) zu Besetzungsrüge gegen Ergänzungsrichter: Besetzung ist ohne Rechtsfehler. Keine Zweifel an gesetzmäßiger Besetzung des Senats.
Keine weiteren Stellungnahmen.
Richter Manfred Götzl: Verhandlung wird fortgesetzt, bis Entscheidung gefällt werden kann.
Wolfgang Stahl (Verteidigung Zschäpe): Widerspruch, beantragen Entscheidung.
Herbert Diemer (Vertreter Bundesanwaltschaft): Fortsetzung so gesetzlich vorgesehen, also machen wir es so.
Wolfgang Heer (Verteidigung Zschäpe): Das ist gewagt.
Götzl: Unterbrechung bis 10.15 Uhr.
(Ina Krauß, BR)
10.05 Uhr.
Info von "draußen": Barbara John (Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der Opfer der NSU-Morde): Könnte sinnvoll sein abzutrennen, wegen der Menge der Nebenkläger, die als potenziell Gefährdete dazukommen könnten - vor allem auch, weil es von der Schwere der Tat bzw. Bedrohung, deutlich anders ist als bei Mordfällen.
RA Sebastian Scharmer (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Mehmet Kubasik) hat John vor Prozessbeginn zur Seite genommen, um sie zu überzeugen, dass das nicht im Sinne seiner Mandantin wäre.
Scharmer: Sehe das sehr kritisch. Seine Erfahrung zeigt ihm, dass nach Abschluss des Hauptverfahrens ein Verfahren zu dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße eingestellt wird, weil Zschäpe schon verurteilt. Wäre schlecht für gesamte Aufklärung - vor allem wegen Videoaufnahmen von Böhnhardt und Mundlos bei Keupstraße. Plädiert für pragmatische Lösung: Erstmal recherchieren, wie viele dazukommen würden, und schauen ob sie nicht Platz haben, weil ja jetzt schon viele Nebenkläger gar nicht kommen, sondern nur ihre Anwälte.
RA Bernd Michael Manthey (Nebenklage-Anwalt der Witwe des ermordeten Habil Kilic): Hat ausgerechnet, dass ca. 60 Nebenkläger dazukommen könnten. Dann wäre Saal definitiv zu klein und Abtrennung sinnvoll. Eine Abtrennung hätte keine Auswirkungen auf die Aufklärung des Mordes an Habil Kilic, dem Mann seiner Mandantin.
Keiner der beiden Anwälte rechnet damit, dass es heute entschieden wird.
(Frank Bräutigam, SWR)
10.21 Uhr.
Theoretisch wäre auch ein Parallelprozess denkbar, aber das dürfte an den Kapazitäten scheitern. Montags und freitags dann Keupstraße? Wenn es erst nach Abschluss von Prozess 1 verhandelt würde, käme eine Einstellung nach § 154 StPO in Betracht. Eine Möglichkeit, nicht zwingend. Vereinfacht gesagt: Wäre Begründung für eine Einstellung: Es gab schon eine schwere Verurteilung, möglicherweise lebenslang, da geht ohnehin nicht vielmehr. Dann würde der spezielle Fall aber nicht vor Gericht aufgeklärt. Definitiv bliebe das Oberlandesgericht München zuständig. Die Anklage ist hier zugelassen, man könnte nicht einfach zum Beispiel nach Düsseldorf wechseln.
(Frank Bräutigam, SWR)
Götzl: Hauptverhandlung wird fortgesetzt, bis Entscheidung ohne Verzögerung möglich ist,
§ 29 II StPO analog. Sofortige Entscheidung würde Unterbrechung erforderlich machen. Gründe dagegen nicht ersichtlich.
G: "Ladys first".
Stahl: Regeln für Reihenfolge der Wortbeiträge. Kein Interesse, dass wir uns niederschreien.
Götzl: Grundsätzlich nach Reihenfolge.
RA Nicole Schneiders (Verteidigung Wohlleben): Antrag: Aussetzung wegen Unvollständigkeit der Akten. Stellsituation in Jena: Ordner 5, Stellsituation fehlt. Keine Aktennotiz? Zschäpe mehrere Stunden dort. Munkeln: von Verfassungsschutz besucht. Bilder fehlen. Asservate fehlen. Funkzellenauswertung André K. fehlt. Anspruch auf vollständige Akten von Beginn an. Usus, wöchentlich neue Akten, mit Gesetz nicht vereinbar. Farbausdrucke Frühlingstraße. Kurzfristig Fülle an Lichtbildern. Erst nach anderthalb Jahren an Verteidigung. Wichtige Bilder, z. B. Auffindesituation Waffen, waren nicht auf Wohllebens Laptop.
Gerügt: Auffindesituation Ceska-Pistole nicht bebildert. Warum gerade diese nicht dokumentiert? Welcher Polizist hat Ceska gefunden?
Akten Mehmet K. liegen nicht vor. Soll für Organisation heikle Aufträge ausgeführt haben (?). Informant des Verfassungsschutzes. Soll angeboten haben, zu Mordwaffe zu führen. Mehmet soll Sauerlandbomber in Camp eingeschlossen haben.
Fehlen der Akten zu ehemaligen V-Mann Andreas Temme. Altakten 37 Ordner. Verstoß Waffengleichheit.
Akteneinsicht und Qualität der Lichtbilder. Scan-Qualität fraglich. Viele Schwarz-Weiß-Bilder nicht gut erkennbar.
Fazit: Aussetzen, Akten beiziehen und Einsicht.
(Tim Aßmann, BR)
10.50 Uhr.
Antrag Schneiders: Einstellung wegen nicht zu behebendem Verfahrenshindernis, weil ausländische Geheimdienste verstrickt sind und faires Verfahren für Wohlleben nicht mehr möglich ist.
Deutsche Sicherheitsbehörden haben versagt. Der Prozess soll nun zeigen, dass wenigstens Justiz funktioniert. Bis jetzt ist der Prozess bürokratisches Trauerspiel. Beispiel: Presseplatzvergabe. Gericht wird als starrsinnige, unsensible, bürokratische Institution wahrgenommen.
Schneiders (ehemalige NPD-Funktionärin) begründet Einstellungsantrag: Gerichte müssen öffentlicher Kontrolle unterliegen und Presse muss umgekehrt sachlich berichten. Statt gebotener Zurückhaltung prägen hier jedoch Stigmatisierungen - etwa Wohlleben als Terrorhelfer oder Zschäpe als "Nazi-Braut" - die Berichterstattung. Ist abträglich für Wahrheitsfindung.
Für Ombudsfrau John stehen Täter schon fest. Opfer wurden bereits von Bundesjustizministerium entschädigt. Zentrale Trauerfeier abgehalten, Empfang bei Bundespräsident, Gedenkorte eingeweiht. Feststellung, dass Tatbeteiligung feststeht. Das ist Vorverurteilung. Anklage im Kanzleramt vorgestellt, bevor sie an OLG ging.
Das Wort "mutmaßlich" fehlt in der hiesigen Berichterstattung fast völlig. Medienöffentlichkeit birgt Gefahr selektiver Berichterstattung.
Manche Medienvertreter produzieren außerhalb des Gerichtssaals zweite Öffentlichkeit.
Betroffen ist in erster Linie durch Missachtung seiner Persönlichkeitsrechte und öffentliche Bloßstellung.
Befürchten, dass Politik sich einmischt, wenn Gericht nicht agiert wie von Öffentlichkeit erwartet. Bisher Gericht standhaft, aber wird das so bleiben?
Es gibt kein deutsches Gericht, an dem die Angeklagten ein faires und vorurteilsfreies Verfahren erwarten können. Das ist nicht behebbares Verfahrenshindernis.
(Tim Aßmann, Frank Bräutigam)
11.20 Uhr.
RA Thomas Bliwier (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des in Kassel ermordeten Halil Yozgat): An die Adresse der Wohlleben-Verteidigung: Hauptverhandlung ist nicht Ort für Pressemitteilungen. Was bisher vorgetragen wurde, ist heiße Luft und nicht mehr.
Wenn Akteneinsicht: Akten zu Kassel bei Generalbundesanwalt, dort kann man einsehen.
Loben Senat jetzt als unvoreingenommen, haben aber vorher Befangenheitsantrag gestellt.
Anträge (unvollständige Akten) sind nur Stimmungsmache und nicht mehr.
Heer will wieder das Wort.
Götzl will das Wort einer Nebenklage-Vertreterin erteilen, die sich auch gemeldet hatte.
Heer: Will wissen, wie das Wort hier erteilt wird, es gibt offensichtlich keine Reihenfolge. Beantrage, dass alle Beteiligten zur Sachlichkeit angehalten werden. Es kann nicht sein, dass ich etwas sage und es wird gelacht. Beantrage, dass ich offiziell das Wort bekomme. Das bedeutet, dass ich jetzt spreche und niemand sonst.
Lachen.
Stahl springt auf: Sofort unterbrechen wegen Gelächter! So kann man nicht verhandeln.
Wortgefechte mit Nebenklage-Vertretern.
Heer: Vielleicht für 15 Minuten unterbrechen, damit sich alle wieder beruhigen können.
Götzl: Haben sich alle schon beruhigt.
Götzl bleibt recht ruhig, aber deutlich: "Jetzt alle mal ruhig!"
Hin und Her zu: Wer hat das Wort?
Stahl geht raus.
Götzl erregt: Jetzt müssen sich alle beruhigen, sonst muss ich unterbrechen. Dieses Prozedere hier setzt Disziplin voraus. Anträge werden gerade für alle kopiert. Warum jetzt hier Aufregung, kann ich nicht nachvollziehen. Das setzt hier allerdings guten Willen voraus.
Heer: Stelle erneut Antrag, alle Verfahrensbeteiligten zur Sachlichkeit aufzufordern. Es ist gerade wieder gelacht worden und gestern auch schon zweimal.
Götzl: Ermahnung ist gerade erfolgt. Gibt keine Veranlassung, das erneut zu tun.
Stahl wieder da.
Diemer: Heer-Verhalten halte ich für ungehörig. Wenn Götzl einer Nebenklage-Vertreterin Wort erteilt, gibt es daran nichts zu beanstanden. "Lassen Sie doch das Verfahren weitergehen!"
Heer: Wir haben heute schon nach Reihenfolge für Wort-Erteilung gefragt. Brauchen gewisse Gepflogenheiten.
RA Scharmer: Menschliche Regungen sind nicht auszuschließen, wir wollen ernsthaft verhandeln. Antrag Heer entscheiden, damit in der Sache weiter.
Götzl: Unterbrechung bis 11.25 Uhr.
(Tim Aßmann, BR)
11.40 Uhr.
Götzl-Beschluss: Heer, Wort nicht zu erteilen, wird bestätigt. Ihm das Wort nicht zu erteilen, ist Ermessensspielraum und nicht zu beanstanden.
RA Anja Sturm (Verteidigung Zschäpe): 45 Minuten unterbrechen, müssen Antrag vorbereiten.
Götzl: Um was für einen Antrag soll es sich handeln?
Sturm: Sie stellen immer Gegenfragen. Wir waren immer kooperativ, haben aber nicht vor, jede Verteidigungsstrategie im Saal auszubreiten.
Götzl: Ich brauche Informationen, um Ermessensentscheidungen treffen zu können.
Sturm: Müssen dringend über Situation mit Mandantin reden und Antrag vorbereiten. Es geht hier um die Verteidigung von Frau Zschäpe in erster Linie. Es verwundert, wenn ein Nebenklage-Vertreter hier erklären kann, das sei heiße Luft.
Götzl: Geht es um Befangenheitsantrag oder was anderes?
Stahl: Das müssen wir erörtern.
Götzl: Sturm hat das Wort.
Sturm: Stelle jetzt Antrag auf Unterbrechung.
Götzl: Mittagspause bis 13 Uhr.
(Tim Aßmann, Frank Bräutigam)
13.34 Uhr.
Zschäpe kommt freundlich lachend wieder in den Saal und spricht mit Stahl und Heer.
13.38 Uhr.
Götzl rein.
RA Edith Lunnebach (Nebenklage-Anwältin der Opfer des Anschlags in der Kölner Probsteigasse) zu Einstellungsantrag Schneiders: Gibt sicherlich Tendenzen zu medialer Vorverurteilung. Dagegen als Verteidigung vorzugehen, ist zulässig. Was mir aufstößt, ist: Wohlleben hat Medien für rechtsextreme Zwecke genutzt und es ist komisch, wenn er sich nun gegen Medien ausspricht. Wenn Wohlleben Geheimdienst-Verwicklung einbringen will: Warum äußert er sich dann nicht? Beantrage, Einstellungsantrag abzulehnen.
Zu Aussetzungsantrag: Argument, nur Nebenklage komme zu Wort, ist völlig aus der Luft gegriffen. Antrag ablehnen! Akten unvollständig: Darüber müssen wir sprechen, auch Nebenklage wird ähnliche Anträge möglicherweise stellen.
Zu Nebenklage: Bislang durch kurze Stellungnahmen aufgefallen, keine Verzögerung.
Scharmer: Einstellungsantrag ist absurd, eher "Opening Statement". Der Tatvorwurf Beihilfe zu neunfachem Mord gehört nicht wegen medialer Vorverurteilung eingestellt.
Ein Nebenklage-Anwalt rückt Schneiders in rechtsradikalen Kontext, weil Befangenheit auf Postkontrolle mit Hakenkreuze gründet.
RA Gül Pinar (Nebenklage-Anwältin der Angehörigen des ermordeten Süleyman Tasköprü): Gehen davon aus, dass Senat die Bundesanwaltschaft nach Vollständigkeit fragen wird. Geheimdienste in der Tat Problem. Gehen davon aus, dass das zur Aufklärungspflicht des Gerichts gehört.
Stahl: Hatten keine Zeit, mit Mandantin über Haltung zu den Anträgen zu reden. Deshalb Stellungnahme zurückstellen.
Diemer: Beantrage Einstellungsantrag als unbegründet zurückweisen. Äußerungen aus Medien und Politik sind laut Rechtsprechung nicht als Verfahrenshindernis anerkannt. Über Pressefreiheit haben wir nicht zu befinden. Unsere Ermittlungen haben keine Erkenntnisse erbracht, dass Sicherheitsbehörden oder Geheimdienste in die angeklagten Taten verstrickt waren. Akten: Die für Schuldfrage nötigen Akten sind alle da und einsehbar.
Anette Greger (Vertreterin Bundesanwaltschaft) zu Aussetzung: Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die Akten zusammenzustellen. § 63 BVerfGG. Akten wurden dem Senat mit Anklage vorgelegt. Unterlagen aus anderen Verfahren ohne Bedeutung für Schuld sind nicht mit vorzulegen. Akteneinsicht: nur die vorgelegten Akten, Rechtsanspruch auf Aktenerweiterung besteht nicht. Kein Anspruch auf perfekte Ablichtungen oder Farbfotos. Kein Anspruch auf weitere Fotos, § 147 StPO, Asservate können besichtigt werden. Zulieferungen zur Sachakte sind Beschleunigungsgrundsatz geschuldigt. 8.000 Asservate. Wird auch weiter zu Nachlieferungen kommen.
RA Olaf Klemke (Verteidigung Wohlleben): Erwiderung auf Nebenklage, RA Scharmer, Gebot der Sachlichkeit verletzt, indem Wohlleben-Verteidigung rechtsextremer Hintergrund unterstellt wird. Von hetzerischen Äußerungen absehen. "Wenn ich Nebenklage als 'linksradikal' bezeichnen würde, gäbe zu Recht Aufschrei."
(Tim Aßmann, BR)
14.50 Uhr.
Heer: Beantragen Aussetzung oder hilfsweise für drei Wochen zu unterbrechen. Wollen Einsicht in Unterlagen aus Untersuchungsausschüssen Bund, Sachsen, Thüringen und Bayern. Angemessene Frist lassen und Diemer und Greger ablösen und durch andere Vertreter ersetzen.
Heer moniert, dass Akten/Ausschussprotokolle schon lange angefordert wurden, verspätet kamen, dann auch nicht komplett zur Verfügung gestellt wurden - mit Hinweis auf Geheimhaltung - oder aber, dass die Umstände der Akteneinsicht nicht ausreichend für eine angemessene Verteidigung sind.
Ausreichende Beiziehung der Protokolle ist unverzichtbar für die Verteidigung. Nur so kann sinnvoll und effektiv verteidigt werden, sodass die Aussetzung des Verfahrens erforderlich ist. Entscheidend für derzeit nicht ermöglichte Verteidigung ist, dass Protokolle verspätet übersandt wurden, nur eingeschränkt einsehbar sind oder noch nicht zur Verfügung stehen.
Generalbundesanwalt (GBA) hat Verteidigung nach Ansicht Heers bei Akteneinsicht behindert. Grund: Die Akten waren nur beim GBA einsehbar. Heer nennt das unzumutbar wegen des dafür nötigen Zeitaufwands. Indem Diemer nicht alle Akten vorlegte, hat er gegen die Vorschriften verstoßen. Er war nicht befugt, manche Akten vom Gesamtbestand zunächst fernzuhalten - das ist ein Verstoß gegen Verfahrensprinzipien und er führte Waffengleichheit ad absurdum. Besorgnis der Befangenheit erkennbar begründet. Ein Bundesanwalt, der Richtlinien missachtet, ist befangen.
Greger hat gebotene Neutralität nicht gezeigt und kann deshalb auch nicht weiter an der Verhandlung teilnehmen. Greger ist aus Sicht Heers auch nicht unbefangen, weil sie auf Pressekonferenz nach Prozessauftakt Zusammenhang zog zwischen Zschäpes selbstbewusstem Auftreten vor Gericht und der vom GBA angenommenen Rolles Zschäpes im NSU. Das war subjektive Bewertung, der sie sich hätte enthalten sollen, weil sie zur Neutralität verpflichtet ist. Heer verweist zum Beleg auf Presseartikel und ein Youtube-Video.
Der Antrag ist nun gestellt. Er hatte 22 Seiten.
Er will nun noch einen weiteren Antrag stellen - zur Aufzeichnung der Hauptverhandlung.
(Tim Aßmann, BR)
15.10 Uhr.
Letzter Antrag von Heer durch - Pause bis 15.25 Uhr.
Er beantragt Aufzeichnung der Hauptverhandlung und wörtliches Protokoll, wobei beides zeitnah den Verteidigern überstellt werden soll. Erstellen sollen beides Mitarbeiter des stenographischen Dienstes des Bundestages. Verhandlung wird lang und aufwendig. Sind auf exakte Dokumentation angewiesen, besondere Herausforderung ist Rekonstruktion, eigene Mitschriften sind hierfür nicht ausreichend. Technischer Aufwand ist minimal. Fürsorgepflicht gegenüber Angeklagten erfordert Aufzeichnung der Hauptverhandlung.
Nun Pause, dann diverse Stellungnahmen und noch ein Antrag zur akustischen Aufzeichnung durch Nebenklage.
(Tim Aßmann, Frank Bräutigam)
15.38 Uhr.
RA Lunnebach: Beantragt auch Aufzeichnung (wohl erstmals Einigkeit zwischen Nebenklage und Verteidigung), Oberlandesgericht Düsseldorf hat inzwischen Übung für justizinterne Zwecke, allerdings nicht für Nebenklage und Verteidigung. Besonderheit beim NSU-Prozess: sehr viele Beteiligte. Akustische Aufzeichnung wäre Weg, um Problematik aus der Welt zu schaffen. In Großbritannien wird der gesamte Prozess gespeichert. In Den Haag gibt es auch Aufzeichnung. Abschreckungseffekt für Zeugen ist nicht zu befürchten. Möglichkeit der wörtlichen Protokollierung nach StPO möglich.
Götzl vertagt Stellungnahmen zu den Anträgen auf morgen, will nun aber Stellungnahmen zur Abtrennung des Falles Köln/Keupstraße hören.
Diemer: Könnten uns Abtrennung nicht verschließen, wenn räumliche Möglichkeiten wegen zu vieler Nebenkläger nicht ausreichen, jetzt sieht er aber noch keinen Anlass dazu.
RA Khubaib-Ali Mohammed (Nebenklage-Anwalt der Opfer des Anschlags in der Keupstraße): Kenne die zusätzlich in Betracht kommenden mehr als 70 Nebenkläger nicht, habe angeschrieben, will abwarten, ob sie wollen und tatsächlich in Betracht kommen.
RA Mehmet Daimagüler (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen der ermordeten Ismail Yasar und Abdurrahim Özüdogru): Halte es für bedenklich, weil fraglich, ob es dann überhaupt zur Verhandlung dieses Tatkomplexes käme, und das wäre auch für die noch offenen Fragen dort bedenklich.
RA Monika Müller-Laschet (Nebenklage-Anwalt der Opfer des Anschlags in der Keupstraße): Weitere Verschiebung - möglicherweise um Jahre - wäre wohl Folge der Abtrennung und schwer vermittelbar. Könnte sein, dass sich die Betroffenen, die jetzt Nebenkläger sind, als Opfer zweiter Klasse fühlen.
(Tim Aßmann, BR)
16.12 Uhr.
Noch mehr Stellungnahmen zu Keupstraße.
RA Scharmer: Vertrete den Dortmunder Fall Kubasik, aber auch wir sind gegen Abtrennung, denn Aufklärung zu Keupstraße hat Auswirkungen auf andere Tatkomplexe. Eine Abtrennung wird also eine Beweisaufnahme zu Keupstraße nicht ersparen. Also diese doppelte Belastung vermeiden. Wenn der Saal zu klein würde, könnte der Senat immer noch abtrennen.
RA Alexander Hoffmann (Nebenklage-Anwalt Keupstraße): Bitte um Aufschub für Stellungnahme, brauche Zeit bis Anfang Juni, habe mit meiner Mandantin gesprochen und habe weiteren Gesprächsbedarf. Abtrennung nur möglich, wenn zwingende Gründe. Wir sehen, es sind hier nahezu 40 Plätze frei. Meiner Mandantin ist so stark an Weiterführung gelegen, dass sie mich anweisen würde, dass ich rausgehe, falls es Platzprobleme im Saal gibt. Es wird von Seiten der bisherigen Nebenklage im Fall Keupstraße ein größtmögliches Maß an Entgegenkommen geben. Wir werden alles tun - bis hin zum Räumen von Plätzen, damit es keine weiteren Probleme zur Durchführung in diesem Raum gibt.
Sehe, ich bekomme keinen Aufschub, also trage ich jetzt vor:
Es gibt keine inhaltlichen Gründe für Abtrennung, nur räumliche.
Völlig klar: Wenn jetzt abgetrennt wird, könnte Keupstraße allenfalls nach Abschluss dieses Verfahrens verhandelt werden.
Wenn die Angeklagten hier erst einmal verurteilt sind, wird das Verfahren Keupstraße nach § 154 StPO eingestellt. Dann fallen 31 versuchte Mordtaten nicht weiter ins Gewicht. Das kann nicht sein.
Meine Mandantin hat nach Anschlag 2004 bis 2011 Situation erlebt, in der jeder den Nachbarn für den möglichen Täter hielt, denn Schily sagte ja: kein Anschlag von rechts. Verdächtige wurden unter den Bewohnern gesucht. Die sagten: Rechtsextreme. Man nahm sie nicht ernst. Wenn man jetzt abtrennt, sagt man ihnen erneut: "Ihr seid Bürger zweiter Klasse, ihr macht hier Schwierigkeiten." Damit verhilft man ungewollt dem NSU doch noch zu einem Erfolg. Man vergrößert Spaltung zwischen Deutschen und Migranten.
Wenn man bei 30-fachem versuchtem Mord auf die lange Bank schiebt, nimmt man den Tatopfern die Möglichkeit, aus der Opferrolle herauszukommen. Man nimmt ihnen die Rechte.
Man muss hier abwägen: Was bringt es und wie groß ist der Schaden und im Moment sehe ich nicht einmal die Notwendigkeit, weil der Saal groß genug ist, hier noch genug Platz ist.
Keupstraße ist Bekenntnis zum Krieg gegen Migranten.
(Tim Aßmann, BR)
16.14 Uhr.
Zitat RA Hoffmann zu Keupstraße: Wenn man jetzt abtrennt, ist das ein Zeichen an alle Nebenkläger, dass man ab jetzt gegen sie verhandelt.
(Frank Bräutigam, SWR)
16.41 Uhr.
Diskussion wird immer mehr zum Plädoyer der Nebenkläger für die Bedeutung des Komplexes Keupstraße.
RA Mustafa Kaplan (Nebenklage-Anwalt Keupstraße): War überraschend, dass gestern in Nebensatz ohne Not darüber nachgedacht wurde abzutrennen. Hätte verstanden, wenn das am ersten Tag angesprochen worden wäre. Keupstraße war für NSU wichtigste Tat (vgl. Video).
RA Sabine Singer (Nebenklage-Anwältin Keupstraße): Würde zur Einstellung führen. Rechte der Nebenkläger gleich am dritten Tag beschnitten. Würde Eindruck vermitteln, dass so etwas erlaubt würde. Das darf einfach nicht sein.
Zschäpe schaut die ganze Zeit starr nach vorne, wenn die Opfervertreter die Bedeutung der Straftaten schildern.
Götzl zu RA Mohammed: Warum haben Sie die 70 weiteren möglichen Nebenkläger ins Spiel gebracht?
Mohammed: Aus den Akten, aber kein Kontakt. Keine Gefahr, das noch viele hinzukommen. Keine Hinweispflicht des Gerichts.
Stahl: Halten nicht für vollkommen irreal, dass weitere Nebenkläger sich anschließen. Glaube, dass Nebenkläger sich bemühen werden zu bündeln. Gericht würde Verantwortung für Durchführung der Hauptverhandlung in Hände der Nebenklage legen. Abtrennbarkeit: Terrorkomplex zusammenhängend, da gibt es keine Möglichkeit abzutrennen. Mag Themenkomplexe geben, die wieder alle interessieren.
RA Bliwier: Auch sachlich nicht gerechtfertigt abzutrennen. Grund: Antrag des Kollegen Mohammed, der gar nicht antragsbefugt ist und die potenziellen Nebenkläger gar nicht vertritt.
(Frank Bräutigam, SWR)
16.58 Uhr.
Verteidigung von Carsten S. schließt sich Antrag auf Aufzeichnung an.
Verteidigung von Wohlleben schließt sich Anträgen auf Aussetzung und Aufzeichnung an.
Neuer Antrag von Klemke: Wort: immer Verteidigung vor Nebenklage, Fragerecht: Verteidigung noch vor Vertreter der Bundesanwaltschaft.
Götzl: Zu allen Anträgen morgen Stellung nehmen, für heute eher aufhören.
RA Bliwier: Noch heute Stellungnahme zu Aufzeichnung.
Götzl: Ok.
Vertretung der Bundesanwaltschaft tritt entgegen: gesetzlich nicht vorgesehen, es geht um Wahrheitserforschung, unbefangene Erklärungen. Kamera und aufgenommene Stimme können Aussageverhalten ändern.
Zahlreiche Nebenkläger schließen sich Antrag auf Aufzeichnung an.
RA Stahl: Jedenfalls mit Einverständnis des zu Befragenden.
Ende.
Hinweis
Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.