NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 11. Verhandlungstag, 18.6.2013

Auch am elften Tag wird die Befragung des Angeklagten Carsten S. fortgesetzt, erneut vor allem durch die Anwälte der Nebenkläger. Diese stellen oft Suggestivfragen und geben wertende Kommentare ab, was Richter Manfred Götzl wiederholt rügt.

Von: Matthias Reiche, Holger Schmidt, Tim Aßmann

Stand: 18.06.2013 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Viel Neues kommt nicht ans Licht. Carsten S. äußert sich zu seinem Ausstieg aus der rechten Szene und behauptet, er habe sich danach nicht mehr mit dem NSU beschäftigt. Ebenfalls Thema sind die Kontakte von S. zu V-Männern wie Tino Brandt sowie zum Militärischen Abschirmdienst (MAD).

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Matthias Reiche, MDR)
9.45 Uhr.
Die Angeklagten erscheinen.
Holger G. verdeckt - wie immer - Gesicht mit Aktenordner, Carsten S. tief verkrochen in seine Kutte.
Wohlleben im blauen Hemd, eher aufgeräumt und locker, gönnt sich eine Milch.
André E. gibt sich - wie immer - als Joe Cool, Sonnenbrille mit Spiegelgläsern und blaues Shirt.
Am Ende sitzen alle Angeklagten im blauen Hemd bzw. Shirt da.
Ausgenommen Beate Zschäpe, die in violetter Bluse erscheint und - wie immer - ihre Rolle als kleine Egozentrikerin spielt.
Beginn 9.50 Uhr mit weiterer Einlassung von Carsten S., der sich offensichtlich bemüht, seine Kooperationsbereitschaft immer wieder neu zu beweisen.

(Holger Schmidt, SWR)
10.15 Uhr.
Carsten S.: Daniel S. hat mich nach dem Ausstieg angesprochen, ob ich Kontakt zu den Dreien (Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe) hatte. Daniel S. war im Aussteigerprogramm des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), ist nach Berlin gezogen, Kosten hat wohl BfV übernommen. Habe Kontakt verneint. Sandro T. hat mich auch angesprochen, ob ich mit denen zu tun hatte. Habe "Ja" gesagt, da war er entrüstet. Ob Tino Brandt das weiß? Ja klar, er war auch entrüstet. Aber wir haben da nicht weiter gesprochen.
Und die Einbruchssache habe ich verwechselt. Es war der erste Termin und nicht der zweite. 26. August muss das gewesen sein. Mein Anwalt hat nach unten gescrollt, da habe ich das wohl verwechselt.

(Tim Aßmann, BR)
Beginn 9.49 Uhr.
Richter Manfred Götzl: Nachfrage zu Sandro T.
Carsten S: Habe bei ihm übernachtet und wir kamen auf das Thema.
G: Wie?
S: Weiß ich nicht mehr.
G: Sind da nähere Infos von ihrer Seite erfolgt?
S: Nein. Nur, was ich gesagt habe.
G: Sie haben damals nur "Ja" gesagt?
S: Das ist alles, was mir jetzt einfällt.
G: Welche Thematik war gemeint, dass Sie mit "Ja" antworten konnten?
S: Kam irgendwie aus dem Kontext. Kamen irgendwie auf das Thema.
G: Welches Thema?
S: Dass er sagte, ob ich "mit den Dreien zu tun hätte".
G: War Sandro T. zufrieden?
S: Ja. Keine Nachfrage. Zweite Frage, ob ich mit Tino Brandt darüber gesprochen habe.
G: Wie hat sich dessen Entrüstung geäußert, als sie bejaht haben?
S: Heute glaube ich, dass Sandro T. damals schon wusste, dass er (Brandt) für den Verfassungsschutz arbeitete.
G: Haben Sie dann mit Tino Brandt nochmal drüber gesprochen?
S: Nein.

RA Antonia von der Behrens (Nebenklage-Anwältin der Angehörigen des ermordeten Mehmet Kubasik): Wann hat Daniel S. Sie angesprochen?
S: Auf jeden Fall nach 2000. 2001 oder 2002, aber nicht später.
vdB: Wussten Sie da schon, dass er im Aussteigerprogramm war?
S: Nein, aber ich wusste, dass Umzug nach Berlin bezahlt wurde. Dass er Kontakt zu den Diensten hatte, war mir bewusst.
vdB: Haben Sie dann gesagt, dass Sie Kontakt zu den Dreien hatten?
S: Nein. Wollte keinen verraten. War sowieso komisch, dass er mich anspricht. Wollte nicht verraten, dass ich damit zu tun hatte.
vdB: Sie kamen über André K. und Sonntagsstammtisch in die Szene. Ab wann würden Sie sich dem "Thüringer Heimatschutz" (THS) als zugehörig einordnen?
S: Saalfeld-Demo. War im März 1998, denke ich.
vdB: Wer gehörte damals in Jena zum Kern des "THS"?
S: André K., Christian K., Wohlleben, ich.
vdB: Wie verhielten sich "THS" und "Kameradschaft Jena" zueinander?
S: War kein Thema, außer als bei Einbruch Fahne gefunden von der Kameradschaft.
vdB: Was war "Nationaler Widerstand Jena"?
S: Es gab da T-Shirts, die wir getragen haben. (Mehr weiß er darüber nach eigenen Angaben nicht.)
vdB: Habe da Bilder. Können wir die zeigen?
Götzl: Müssen wir später machen.
vdB: Wieso T-Shirts angezogen, wenn Sie nicht wissen, welche Gruppe das ist? Das würde man doch gründlich prüfen, wenn man sowieso aussteigen will!
S: War mir egal.
vdB: Wer war damals noch aktiv (gemeint ist "THS")?
S: Mir fällt R. ein, Daniel J., Matthias K., Michael M., Tina S. (jetzt Tina H.), Jens G.
vdB: Sie haben immer gesagt, es ging ihnen um die Gruppe und Spaß. (Macht Vorhalt, Vernehmungsauszug.) "Das Ganze ging politisch ab.", "Haben uns auch an Diskussionsveranstaltungen beteiligt." Das ist Aussage vom 15. Februar: Das klingt nicht so, als hätten Sie Politik nur als Spaß gesehen. Können Sie den Stellenwert der Politik für Sie nochmal beschreiben?
S: Letzte Versammlung war in einem Gasthof. Und ich war die ganze Zeit draußen.
vdB: Sie waren Stützpunktleiter. Hatten Führungsfunktion. Welche Rolle hatte Politik damals für Sie? Runterreden hilft nicht viel.
S: Ist schwer festzumachen. Hat was mit Weg zu tun. Kann das schwer festmachen.
vdB: Was heißt festmachen? Welche Rolle hat Ideologie in Stützpunktarbeit gespielt? (Vorhalt, Vernehmungsauszug.) "Wir haben im Bus Quatsch gemacht. Carsten S. hat uns zur Ordnung gerufen."
S: Das war auf dem Weg zur Saalfeld-Demo. Order war: Rauchen und Alkohol verboten.
vdB: Haben Sie am 30. Januar 1998 in Saalfeld an Aktion teilgenommen, bei der DGB-Veranstaltung gestört wurde?
S: Nein.
vdB: Sicher?
S: Keine Ahnung mehr.
vdB: Waren Sie auf Veranstaltung in Bad Berka und haben da als Versammlungsleiter agiert?
S: War da, war Trauerfeier, habe organisatorisch keine Erinnerungen.
vdB: Waren Sie mal für Fernsehauftritt vorgesehen?
S: Keine Erinnerung.
vdB hält NPD-Planung aus den Akten vor.
S: Kann mich nicht erinnern, dass ich da eingeplant war.
vdB: Waren Sie beim Bundeswahlkongress der NPD 1998 und beim JN-Bundeskongress 1999?
S: Keine Ahnung. Erinnere mich nur an meine Wahl 1998.
vdB: Wie wurde der Verfassungsschutz in der Szene gesehen?
Götzl: Lieber offen fragen! Bringt mehr.
S: Haben am Telefon aufgepasst, weil wir davon ausgingen, dass wir abgehört werden.
vdB: Inwiefern war das Thema in der Szene?
S: Wenn wir komisch angesprochen, ausgefragt werden von Kameraden - dass wir dann aufmerksam sind.
vdB: Gab es denn konkrete Infos, wer mit Verfassungsschutz zusammenarbeitet?
S: Haben so gemunkelt: Steve H. Wenn er dabei war, tauchte immer Zivilpolizei auf, hat sich aber wieder verlaufen.
vdB: Wann?
S: Richtung 1999/2000 würde ich das einordnen.
vdB: Was haben Sie dem Verfassungsschutz zugetraut, wie intensiv der beobachtet?
Götzl: Das ist schon wieder eine Vorgabe!
S: Weiß nur das mit Telefon und wir kannten bestimmte Kennzeichen, bei denen wir wussten: Das ist Polizei.
vdB: Haben Sie mal versucht, Observationen zu entkommen?
S: Sollte Rudolf-Heß-Demo sein, Stadt war noch nicht klar. Waren auf McDonalds-Parkplatz mit zwei Autos - da kam Zivilwagen. Wir haben uns dann getrennt, damit die sich entscheiden mussten.
Uns sind auf einem Markt auch mal Leute aufgefallen, die mit ihren Jacken gesprochen haben. Da haben wir uns versteckt.
vdB: Sie haben mal erzählt, dass Sie gehört haben, Festnahmen seien geplant. Von wem kam das?
S: Habe André K. im Kopf. Kann auch Tino Brandt gewesen sein. Da kam Ansage, "THS" droht verboten zu werden, deshalb in die NPD.
vdB: Fanden Sie das normal, dass André K. oder Brandt über solche Info verfügten?
S: Ja.
vdB: Hat Wohlleben Ihnen gegenüber im Gespräch mit anderen rassistische Positionen vertreten?
S: Habe ich keine Erinnerungen daran.
vdB hält Vernehmung von Tina H. vor: André K. und Wohlleben waren krank. Wenn man Döner gegessen hatte, musste man zehn Liegestützen machen und wurde ausgepeitscht.
S: Kann ich nichts zu sagen.
vdB: Wie war Verhältnis zu Wohlleben?
S: Zunächst drei Jahre Freundschaft. Nahm dann nach 2000 ab.
vdB: Würden Sie sich als "rechte Hand" bezeichnen?
S: Es gab eine Zeit, in der wir viel zusammen waren, aber "rechte Hand"? Weiß ich nicht.
vdB: Holger G. hat das in Vernehmung gesagt.
RA Anja Sturm (Verteidigung Zschäpe): Könnten Sie ihre Vorhalte etwas deutlicher machen, Frau Kollegin?
vdB: Hatte Wohlleben Kontakte nach Sachsen in rechte Szene dort?
S: Weiß ich nicht.
vdB: Waren Personen aus der sächsischen Szene regelmäßig in Jena?
S: Nee. Hatten Kontakte mit Saalfeld-Rudolfstadt, Gera. Extern war selten bis gar niemand.

(Matthias Reiche, MDR)
Befragung von Carsten S. durch Nebenkläger.
Er soll die Struktur der Jenaer Naziszene in den 1990er-Jahren noch einmal erklären. Wer gehörte zum harten Kern des "THS"? Wohlleben, die Brüder André und Maik E. sowie Christian K. werden genannt. Es müssen damals aber deutlich mehr gewesen sein.
Mitglieder im Stützpunkt Jena: Matthias K., Ronny A., Michael M., Tina H. (geb. S.), Jens G., ein gewisser R., Daniel S., Steve H.
Welche Rolle Politik und Ideologie in der Stützpunkt-Arbeit gespielt haben, kann Carsten S. nicht zur Zufriedenheit der Nebenklage-Vertretung der Familie Kubasik erklären.
Es geht jetzt um seine Rolle in der rechten Szene, die nach Meinung der fragenden Nebenklage-Anwältin offensichtlich größer war, als von Carsten S. dargestellt.
Richter mahnt, weniger suggestiv zu fragen.
Konkret bleibt nur Organisation einer Trauerfeier für erstochenen Skinhead und der bereits erwähnte Angriff auf zwei Männer an einer Bushaltestelle, wo auch Carsten S. zugetreten hatte.
Fragen zur Verbindung mit Verfassungsschutz: keine konkreten Hinweise. Man vermutete nur, dass Telefone abgehört werden könnten und bestimmte Zivilfahrzeuge zur Beschattung dienten. Aber alles sehr allgemein.
Wusste nicht, dass aus dem rechten Umfeld Jürgen H. vom Verfassungsschutz angesprochen worden war.
Carsten S. macht einen deutlich stabileren und selbstbewussteren Eindruck als an früheren Verhandlungstagen in der ersten Etappe seiner Befragung.
Frage, ob Ralf Wohlleben rassistisch war. Angeblich hat er "Kameraden", die Döner gegessen hatten, zu zehn Liegestützen verdonnert, dabei zuweilen auch ausgepeitscht. Carsten S. kann nichts davon bestätigen. Auch nicht, dass er in früheren Vernehmungen André K. und Wohlleben als "kranke Hirne" bezeichnet haben soll.
Bekräftigt, Wohlleben bis zum Ausstieg als Freund gesehen zu haben.
Fragen zu Christian K. und seiner Band "Eichenlaub": War bei Konzert in Hoyerswerda, wusste aber angeblich nicht, dass bei Konzerten angeblich Geld für das Trio gesammelt wurde und "Eichenlaub" ein Lied über die NSU-Leute gemacht hatte.
Weiß nicht, wann letzter Telefon-Kontakt mit dem Trio war.

(Tim Aßmann, BR)
12.00 Uhr.
RA Antonia von der Behrens: Können Sie einordnen, wann letztes Telefonat mit Trio war?
S: Nein. Ich weiß, dass ich Karte nach dem Gewahrsam vernichtet habe - und danach hatte ich keinen Kontakt. Wann das letzte Mal davor war, kann ich nicht mehr sagen.
vdB: Wer hat Vernichtung der SIM-Karte entschieden?
S: Wohlleben und ich.
vdB: Dass Sie nicht darüber nachdachten, wie es mit Kontakt weiter ging, halte ich für lebensfremd.
Götzl: Jetzt muss ich doch mal eingreifen. Geben Sie nicht immer vor!
vdB will fragen.
RA Wolfgang Heer (Verteidigung Zschäpe) will schon vorher beanstanden.
vdB: Auf wann datieren Sie den Ausstieg?
Heer beanstandet: Frage schon mehrfach beantwortet.
Götzl: Nach dem Tag wurde nicht gefragt.
vdB macht Vorhalt: Sie haben in Vernehmung gesagt, am 6. Oktober mit Schwester gesprochen. Wieviel später haben Sie in Szene angekündigt?
S: Zwei, drei, vier Wochen nach Unterbindungsgewahrsam habe ich Leuten gesagt: Ich steige aus. Konkretes Datum gab es nicht. Habe gesagt, sehe keinen Sinn. Meine Homosexualität habe ich da nicht genannt, ging dann aber schnell herum, war mir dann aber auch egal.
vdB: War Wohlleben ärgerlich?
S: (Zögert lang.) Wenn, dann nur ein wenig.
vdB: Gab es Absprache, wie man mit Trio-Infos umgeht?
S: Für mich war klar, dass ich nichts sage, und das habe ich ihm auch gesagt.

Pause bis 11.15 Uhr.

RA Sebastian Scharmer (Nebenklage-Anwalt Kubasik): Warum mussten Sie dann doch nicht zum Bund?
S: Einberufung wurde zurückgezogen, dachte das wäre, weil ich bei der NPD war. Ich wäre hingegangen.
Scharmer: Gab es bei Musterung ein Zugangsgespräch mit Ihnen?
S: Wurde gefragt, warum ich hinmöchte und das war’s.
Scharmer: Wurden Sie zu politischer Einstellungen befragt?
S: Weiß ich nicht. Gab auch Fragebogen, aber ob da was stand, weiß ich nicht.
Scharmer: Haben Sie da was in diese Richtung ausgefüllt?
S: Nein.
Scharmer: Sind Sie dagegen vorgegangen, dass Sie abgelehnt wurden?
S: Habe Einspruch eingelegt. Weil ich auf einmal ohne Kohle vom Arbeitsamt da stand.
Scharmer: Haben Sie Einspruch selbst geschrieben?
S: Vielleicht hat meine Mutter noch drüber geguckt.
Scharmer: Wie haben Sie Einspruch begründet?
S: Mit der finanziellen Situation.
Scharmer: Wann war Musterung?
S: Müsste ich nachschauen.
Scharmer: Haben andere aus der Szene Dienst getan?
S: Ronnie S.
Scharmer: Sandro T.?
S: Den habe ich nicht in Erinnerung.
Scharmer: Sie sagten, nach Ausstieg kein Kontakt zu Verfassungsschutz. Hatten Sie Kontakt zu MAD?
S: Nein. Nur, wenn die sich bei Musterung nicht zu erkennen gegeben haben.
Scharmer: Wie haben Sie dunkelhäutige Menschen oder Türken in Ihrer Gruppe bezeichnet?
S: Weiß ich nicht mehr. Könnte natürlich was nennen, wie das damals war.
Scharmer hält vor und fragt nach.
S: Es gab Menschen in der rechten Szene, die "Bimbo" oder "Nigger" oder sowas gesagt haben, aber ich kann mich nicht erinnern, dass ich das gesagt hätte.
Scharmer: Gab es in Zschäpe-Wohnung mehr Ordner, als Sie mitgenommen haben?
S: Weiß ich nicht.
Scharmer: Wenn es mehr gab, hatten Sie Anordnung, bestimmte mitzunehmen.
Heer: Beanstande. Ist mehrfach beantwortet.
Götzl: Nach Auswahlkriterien wurde bisher nicht gefragt.
Heer beanstandet dennoch.
Scharmer: Waffenübergabe - Sie haben gesagt, deutsche Waffe, Halbautomatik, mit genug Munition. Worauf bezieht sich "genug"? Genug für was?
S: Habe im Kopf: Mit mindestens 50.
Heer beanstandet.
Götzl: Frage wurde früher gestellt.
Scharmer: Sie wissen nicht, ob Sie bei Waffenkauf bei S. erwähnt haben, dass die Waffe für die drei ist?
S: Richtig.
Scharmer: Gab es bei Waffenkauf Legendierung?
S: Nicht dass ich wüsste.
Scharmer: Wer folgte Ihnen in NPD nach?
S: Nicht mitbekommen.

RA Peer Stolle (Nebenklage-Anwalt der Opfer des Anschlags in der Kölner Keupstraße): Wusste Jürgen H., dass Sie in Zschäpe-Wohnung einbrechen?
S: Ja klar. Er stand ja an Ecke.
Stolle: Sie wussten es. Wohlleben wusste es. Wieso klar, dass er Bescheid weiß?
S: Er hat mich angerufen: Die Polizei kommt.
Stolle: Sie hatten mal Fahrt nach Mecklenburg-Vorpommern zu Rechtsanwalt E. erwähnt. Noch wer dabei außer Wohlleben?
S: Nein.
Stolle: Wer ist gefahren?
S: Da muss er gefahren sein. Ich habe da noch gar keinen Führerschein gehabt.
Stolle: Wissen Sie noch, wo es war?
S: Gar nicht.
Stolle: Wo fand das Treffen statt?
S: In einer Gaststätte. Außer uns war nur E. dabei.
Stolle: Nach 1997 mal in Mecklenburg-Vorpommern?
S: In Rostock war ich mal auf einer Demo.
Stolle: Wissen Sie noch, warum Demo ausgerechnet vor Wohnheim (gemeint ist Lichtenhagen) stattfand, wo es mal die Ausschreitungen gegen Vietnamesen gab?
S: Aus Provokationsgründen.
Stolle: Welche Art von Presse wollten sie - gute oder schlechte?
S: Presse ist Presse.
Stolle: Kennen Sie die Zeitschrift "Weißer Wolf"?
S: Nur aus den Akten.
Stolle: Kennen Sie David P.?
S: Nein.

Mittagspause, Fortsetzung um 13.30 Uhr.

(Matthias Reiche, MDR)
11.10 Uhr.
Es geht weiter mit Fragen von RA Scharmer nach Vergangenheit von Carsten S.
Er sagt, er habe niemals wissentlich Kontakte zum MAD gehabt. Angeblich hatte der MAD Informationen, dass Carsten S. noch im Jahre 2000 sich zur rechten Szene zugehörig fühlte, deshalb auch Aussteigerprogramm abgelehnt hatte
Scharmer fragt nach früherer Haltung zu Ausländern, will Carsten S. festnageln, dass er von "Kanaken" und "Bimbos" gesprochen habe, der Angeklagte kann sich nicht besinnen.
Carsten S. weiß nicht, ob damals in der Szene über den NSU in irgendeiner Form gesprochen wurde.
Nebenklage-Anwalt Stolle fragt nach Details zum Kontakt mit dem Trio. Vor Carsten S. soll Jürgen H. den Kontakt zum Trio gehalten haben. Ging dann zur Bundeswehr.
Fragen nach Demo 1998 in Rostock, angeblich in Lichtenhagen. Carsten S. kann wenig dazu sagen,
auch nicht zum "Weißen Wolf", wo wohl erstmals "NSU" als Begriff auftauchte.
Zschäpe schaut auf die Uhr, ist offensichtlich gelangweilt.

Mittagspause bis 13.30 Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
13.38 Uhr.
Es geht weiter.

(Tim Aßmann, BR)
14.45 Uhr.
RA Turan Ünlücay (Nebenklage-Anwalt Kubasik): (Macht Vorhalt aus Vernehmungen:) "Wir wollten Jugendliche für die Sache gewinnen." Was haben Sie damit gemeint?
S: JN-Stützpunkt Jena bekam Jugendliche über schon aktive Mitglieder. Die sollten auch für unsere Weltanschauung gewonnen werden.
Ü: Welche war das?
S: Nationalbewusstsein, gegen Kapitalismus, diese Themen waren das.
Ü: Hatten Sie auch Bezug zu diesen Themen, haben Sie sich damit identifiziert?
S: Ja.
Ü: Wussten Sie, dass Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe fremdenfeindliche Gesinnung haben?
S: Ja.
Ü: War das der Grund, warum Sie geholfen haben?
S: Nein. Habe geholfen, damit sie Strafe entgehen.
Ü: Hätten Sie dem Trio auch geholfen, wenn Aktivitäten nicht rechtsextremistisch gewesen wären?
S: Kann nicht antworten, verstehe nicht.
Götzl: Bitte offen fragen!
Ü: Dann lieber zu anderem Thema. Als Wohlleben sagte: "Die haben jemanden angeschossen", hätten Sie das als Verrat empfunden, wenn Sie damals zur Polizei gegangen wären?
S: Möglich.
Ü: Hatten Sie bei Waffenkauf Geld passend dabei?
S: Nein, Wohlleben hat mir Geld gegeben.

RA Isaak Sidiropoulos (Nebenklage-Anwalt Keupstraße): Hat das in Ihnen nichts ausgelöst, als Sie hörten, ein Mensch wurde angeschossen. War das nicht ein Auslöser, die rechte Szene zu verlassen?
S: Richtig.
Sidiropoulos: Gab es Überlegungen, Unterstützung einzustellen, nachdem Sie gehört hatten, jemand wurde angeschossen?
S: Habe ich nicht in Erinnerung.
Sidiropoulos: Gab es die Überlegung, die zwei Uwes darauf anzusprechen?
S: Nein.
Sidiropoulos: Gab es Überlegungen, die Waffe einfach nicht zu besorgen?
S: Zuerst schon, aber als ich dann hörte, der hat eine, ging das dann weiter.
Sidiropoulos: Kostete es mehr Überwindung, eine Waffe oder ein Motorrad zu besorgen?
S: Weiß ich nicht mehr. Heute würde ich sagen: die Waffe.
Götzl: Bitte bemühen Sie sich, nicht so suggestiv zu fragen! Sie entwerten Ihre Fragen.
Sidiropoulos: Warum mehr Überwindung bei Waffe?
S: Aus heutiger Sicht ist mir das natürlich klar, aber damals … weiß ich nicht.

RA Kiriakos Sfatkidis: Zu JN - Konnten Sie als Vorsitzender auch Tätigkeiten delegieren?
S: Ja. Wir haben uns zu viert überlegt, wer was macht.
Sfatkidis: An wen haben Sie delegiert?
S: Delegiert würde ich nicht sagen. Haben das zusammen ausgemacht.
Sfatkidis: Haben Sie selbst JN-Thesenpapier verfasst?
S: Nein.
Sfatkidis: Haben Sie Reden vor größeren Versammlungen gehalten?
S: Auf Bundeskongress. Sonst nicht.
Sfatkidis: (Hält Aussage von Christian K. vor, der S. als leidenschaftlich und nicht nur Mitläufer beschreibt.) Können Sie das nachvollziehen?
S: In gewisser Weise schon. Ist seine Sichtweise.
Sfatkidis: Sie haben gesagt, Staat ist gegen uns. Was haben Sie denn dem Staat getan, dass er gegen Sie ist?
S: Diese Einstellung: Das Kapital regiert.
Sfatkidis: Pistole sollte deutsch sein. Können Sie sich erinnern, ob über bestimmtes Fabrikat geredet wurde?
S: Wurde nicht.
Sfatkidis: Wie haben Sie Tino Brandt erlebt?
S: War dann immer da. Hat immer geschaut, wie er Geld locker machen konnte. Seine Geburtstage waren immer legendär. Hinter seinem Rücken wurde gelästert, dass er schwul oder bi sei. Aber direkt gelästert wurde nie. Brandt war anbiedernd, freundlich. Immer Handy am Ohr. Hat Eindruck gemacht.
Sfatkidis: Wie sehen Sie die Person Tino Brandt aus heutiger Sicht?
S: Eigentlich arm. War einmal nach 2000 bei ihm. Kommt mir vor wie einer, der keinen Mut hat, eigenen Weg zu gehen.
Sfatkidis: Haben Sie Nachforschungen angestellt?
S: Zu den Taten selbst habe ich nicht recherchiert, nur auf "Spiegel online" gesehen.

RA Önder Bogazkaya: Haben die Uwes gefragt, wo die Waffe herkam?
S: Nein.
B: War denen bekannt, wo die Waffe herkam?
S: Ja.
B: Kannten Sie damals Ausländer?
S: Nein.

RA Doris Dierbach (Nebenklage-Anwältin der Angehörigen des ermordeten Halit Yozgat): Haben Sie sich bei Waffenlieferung nichts gedacht?
S: Damals nicht.
D: Haben Sie sich Ihre Aufgaben damals in der JN selbst erschlossen oder musste die Ihnen jemand zuweisen?
S: Die haben sich eher herauskristallisiert.
D: Wer hat denn zum Beispiel die Plakate besorgt?
S: Wer die jetzt bestellt hat, weiß ich nicht.
D: Die, die Sie aufgehängt haben, wie sind Sie da heran gekommen? Und an die Plakate und Aufnäher?
Götzl: Lassen Sie ihn doch einfach mal antworten!
D: So schwierig sind die Fragen nicht. Die Aufnäher "Zecke verrecke" - wo kamen die her?
S: Über Brandt, K., Wohlleben.

RA Thomas Bliwier (Nebenklage-Anwalt Yozgat): Waffenlieferung - Bleiben Sie dabei, dass Sie deutsches Fabrikat bestellt haben und völlig überrascht waren, dass Schalldämpfer dabei war?
S: Ja. auf jeden Fall.
B: Zeuge S. (Waffenverkäufer) schildert das anders.
Heer will wieder beanstanden.
B: (zu Verfassungsschutzbericht bzgl. S.) Der soll V-Mann gebeten haben, Handy auszuschalten und dann gesagt haben, dass er und nicht mehr Wohlleben Kontakt zum Trio hält. Weil Wohlleben beschattet wird. Haben Sie so ein Gespräch geführt?
S: Ich gehe davon aus. Habe mit Herrn Brandt darüber gesprochen.
B: Haben Sie sich mal die Frage gestellt, wieso damals niemand etwas unternommen hat, obwohl Sie wussten, wie dicht der Verfassungsschutz dran war?
S: Am Anfang habe ich mich gefühlt, als wäre ich der Einzige. Als ich dann hörte, dass Chemnitz schon klar war (Waffenübergabe), bevor ich überhaupt gefragt wurde - das war schon bitter.

(Matthias Reiche, MDR)
13.50 - 14.50 Uhr.
Zschäpe hat Mühe, sich das Gähnen zu verkneifen, ist ansonsten mit ihrem Laptop beschäftigt oder sitzt mit verschränkten Armen da.
Carsten S. wird von Nebenklage spürbar unter Druck gesetzt. Man hält seine Aussagen offensichtlich für sehr kalkuliert. Tatsächlich bringt er die Formulierung: "Dabei habe ich mir nichts gedacht." ziemlich oft.
Nebenklage hält Glaubwürdigkeit von Carsten S. offensichtlich für begrenzt.
Bestätigt, dass er mit jemandem - wahrscheinlich mit V-Mann Tino Brandt - über seinen Kontakt zum NSU gesprochen habe, dass Wohlleben ihm das jetzt übertragen habe.
Dies und andere Fakten waren fast in Echtzeit auch dem Verfassungsschutz bekannt.
Pause bis 15.00 Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
15.25 Uhr.
RA Edith Lunnebach (Nebenklage-Anwältin der Opfer des Anschlags in der Kölner Probsteigasse): Wann haben Sie Geld für Waffe bekommen?
S: Bevor ich das zweite Mal zu Schulz gegangen bin.
L: Dann sind sie nochmal zu Wohlleben. Hatte der das Geld schon parat?
S: Weiß nicht mehr genau, wie oft und wann genau ich da war, aber er hatte das Geld parat.
L: Hat der das hingeblättert, musste der sich das erst besorgen?
S: Erinnere ich nicht.
L: Haben Sie aus der Szene mal Bewunderung für die drei mitgeteilt bekommen? Wer bewunderte die?
Olaf Klemke (Verteidigung Wohlleben): Suggestiv!
Götzl: Bitte umformulieren!
L: Wie gingen Junge mit Alten um?
S: Wenn man Auto fährt, sitzen die Alten vorne und die Jungen hinten.
(Lachen.)
L: Wäre André K. im Auto vorne gesessen?
S: Auf jeden Fall.
L: Was bedeutete die Rolle der Untergetauchten in der rechten Szene?
RA Wolfgang Stahl (Verteidigung Zschäpe): Wieder suggestiv!
L. will fragen.
Sturm: Dann stellen Sie halt Fragen!
Götzl: Bitte fragen, ohne zu werten!
L: Waren das die einzigen Untergetauchten?
S: Ja.
L: Was bedeutete das für Ihr Standing in der Szene?
Klemke: Beanstande.
L: Halte aufrecht.
Klemke: Beantrage Beschluss.
L: Ja, dann beantragen Sie mal!
(Alles lacht - inkl. Götzl.)
Götzl: Was wollen Sie denn herausfinden?
L: Ob es weitere Helfer gab.
Götzl: Ich kann Ihnen die Frage nicht stellen.
L: Wissen Sie noch von anderen Personen, die den Untergetauchten eine Anerkennung zugesprochen haben?
Sturm: S. hat nicht mit einer Silbe davon gesprochen, dass Respekt daraus resultierte, dass die drei untergetaucht waren und deshalb beanstande ich die Frage.
Klemke: Kollegin nimmt mir die Worte aus dem Mund.
L. versucht zu fragen, kommt nicht in Gang.
Götzl unterbricht für fünf Minuten und sagt zu Lunnebach: "Sie konzentrieren sich einfach nochmal!"

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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