NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 15. Verhandlungstag, 25.06.2013
Thema des 15. Verhandlungstages ist der Brand am 4. November 2011 in einer Zwickauer Wohnung in der Frühlingsstraße, wo das NSU-Trio mutmaßlich zuletzt gelebt hatte. Die Anklage wirft Beate Zschäpe schwere Brandstiftung sowie versuchten Mord an drei Menschen vor. Zwei Brandermittler sagen an diesem Tag aus.
Die beiden Zeugen berichten ausführlich von ihren Ermittlungen vor Ort, bei denen unter anderem Brandbeschleuniger an vielen Stellen der Wohnung festgestellt sowie zahlreich Waffen gefunden wurden. Gezeigt werden viele Fotos der ausgebrannten Wohnung.
Zeugen:
- Jens S.-M. (Brandermittler)
- Frank Lenk (Brandermittler)
ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal
(Tim Aßmann, BR)
10.15 Uhr.
Um 9.40 Uhr geht‘s los.
Zeuge Jens S.-M., geboren 1979 in Radebeul, Polizeimeister, Ladung Diensthundeschule Sachsen.
Richter Manfred Götzl: Es geht um die Begehung der Frühlingsstr. 26 in Zwickau mit Brandmittelspürhund.
S-M: Hatte an jenem Wochenende vom 5. November Rufbereitschaft. Erhielt Anruf, mit Leichenspürhund und zwei Brandmittelspürhunden hinzukommen. Wurden eingewiesen. Setzten erst Leichenspürhund ein, Absuche positiv - niemand aufgefunden. Dann mit Brandmittelspürhund ins Treppenhaus. Dort Anzeige. Dann in oberer Wohnung. Auch Anzeige (gemeint ist: der Hund fand was). Später mit Kollegin und weiterem Hund nochmal ins Gebäude.
Zeuge kommt zum Tisch. Projiziert wird eine Skizze vom Erdgeschoss-Treppenhaus. Markiert ist, wo sein Hund anschlug. Dann weitere Skizze vom Erdgeschoss: Roter Punkt zeigt Stelle, wo Hund von Kollegin anschlug.
Dann erstes Obergeschoss (Wohnung des Trios). Zahlreiche Spuren, an denen drei eingesetzte Brandmittelspürhunde anschlugen, sind verteilt über die ganze Wohnung. Insgesamt 17 Treffer, davon fünf im sogenannten Katzenzimmer.
Gezeigt werden einzelne Fotos, auf denen die Hunde die Spuren "einfrieren", d. h. sie zeigen mit der Schnauze genau auf den Punkt, an dem die Spur ist.
Die Fotos zeigen eine weitgehend ausgebrannte Wohnung. Es verwundert den Betrachter, was darin noch alles gefunden werden konnte.
(Hans Pfeifer, DW)
9.30 bis 11.05 Uhr.
Zeuge Frank Lenk, 56 Jahre alt, Kriminalhauptmeister, Brandursachenermittler.
Lenk: War betraut mit der gesamten Brandursachenermittlung vom 4. bis 28. November 2011. Am 4. November gegen 15.08 Uhr kam die Meldung vom Brand in der Frühlingsstraße.
RA Wolfgang Stahl (Verteidigung Zschäpe) hat Bedenken, dass Lenk aus seinen Unterlagen zitiert.
Berufsfeuerwehr war gegen 15.15 Uhr vor Ort. Nach ersten Ermittlungen sollten sich drei Personen im Haus befinden. Eine Person hatte das Haus verlassen, Berufsfeuerwehr suchte bis 22.00/23.00 Uhr die beiden weiteren im Haus vermuteten Personen.
Daraufhin wurde Bagger bestellt, um so abzureißen, dass Statik gesichert blieb.
Daraufhin wurde das Objekt für weitere Untersuchungen gesperrt und rund um die Uhr bewacht. Am Samstag, 5. November, wurde das Objekt begangen und mit Stahlstützen begehbar gemacht. Daraufhin wurden Leichen- und Brandmittelspürhunde bestellt. Weiterhin kamen USBV-Kräfte (Spezialisten für die Entschärfung unkonventioneller Spreng- und Brandvorrichtungen)zum Einsatz, um herauszufinden, ob irgendwelche Sprengstoffe vor Ort liegen. Es hat vor Ort sehr nach Otto-Kraftstoff gerochen.
Am Sonnabend die Wohnung in verschiedene Bereiche aufgeteilt, um aufgefundene Gegenstände zuordnen zu können. Gegen 16.00 Uhr habe ich im Schlafzimmer die erste Waffe gefunden. Dann habe ich diesen Wandtresor gefunden, der geöffnet war. Am Sonntag kam die dritte Waffe zum Vorschein. Wir haben zwischen Montag, 7. November, und Freitag, 11. November, verschiedene weitere Waffen gefunden - insgesamt elf.
Wir haben die Spuren in der Garage der Polizeidirektion ausgelegt, weil es tausende Spuren waren, die wir in der Garage ausbreiten konnten und einzelne Zettel auf Papier ausbreiten und trocknen konnten. Es wurde in allen Räumen Otto-Kraftstoff gefunden. Insgesamt wurden an 19 Stellen Brandmittel nachgewiesen.
Götzl lässt ihn im Anschluss anhand der Skizze erklären.
L: Man konnte in die Wohnung nur durch eine Tür rein. Waren ursprünglich mal zwei Wohnungen, aber zweite Eingangstür war mit dicker Holzplatte dicht gemacht. An der Eingangstür waren mehrere Sperrriegel angebracht.
Skizze 4 mit Möbeln und vorgefundenen Spuren. Auch im Treppenhaus wurde Brandmittel nachgewiesen.
Lenk geht alle einzelnen Stellen auf den Skizzen akribisch durch. Einem Anwalt geht der Vortrag zu schnell.
Götzl: Dafür haben Sie dann ja auch eine Pause, um sich zu erholen.
Die Angeklagten verfolgen den Vortrag in unauffälliger Weise.
L: Es gab vier Schlafstellen. An allen vier Schlafstellen wurden Fernseher festgestellt. Im Bad ist die Zerstörung größer. Vorgefundene Kameras. Eine Kamera eingebaut in der Wohnungstür. Zweite Kamera im Küchenfenster, untergebracht in einem braunen Plaste-Blumentopf, zwischen grünen Kunststoffpflanzen versteckt. Kamera konnte man von außen nicht sehen. Die dritte Kamera war im Fenster Richtung Frühlingsstraße und ebenfalls in braunem Blumentopf. Die vierte Kamera war im Katzenzimmer und ebenfalls zwischen Kunststoffblumen versteckt. Lenk geht davon aus, dass die Richtung Eingangsbereich des Hauses ausgerichtet ist.
Die erste Waffe wurde am Samstag gefunden. Lenk geht davon aus, dass die durchgeladen war. Im selben Raum der Tresor, der nachweisbar geöffnet war. In diesem Tresor lagen eine weitere Waffe und Handschellen. Im Flur Waffe 3 auf dem Boden gefunden. Vor dem Brandobjekt wurden die restlichen Waffen 4 bis 11 gefunden.
RA Stahl und RA Wolfgang Heer (ebenfalls Verteidigung Zschäpe) fordern, dass der Zeuge angehalten wird, sich nur zu dem Sachbereich zu äußern, zu dem er Untersuchungen gemacht hat. Götzl erklärt, dass er das schon im Kopf habe und dass der Zeuge erst einmal weiter erklären soll, um im Fluss zu bleiben.
L: Der Keller ist begehbar von innen, vom Haus. Und man kann den Keller auch zum Außenbereich über eine Treppe verlassen. Die zwei Kellerräume sind untereinander begehbar. Es gibt keine Brandlegungsmittel im Keller. Beide Eingangstüren waren mit Kontaktfunkmeldern versehen, die Signal geben, wenn jemand die Tür von außen öffnet.
11.05 Uhr.
Pause.
(Hans Pfeifer, DW)
11.30 Uhr.
Fortsetzung der Vernehmung von Lenk.
Lenk erklärt, wie sich die Wände durch die Explosion verschoben haben, wo Außenmauern ganz zerstört wurden. Im Anschluss Skizze zu den Druckwellen: Große Druckwelle im "Sportzimmer", wo Hantelbank, Laufband und eine Schlafgelegenheit waren. Die Wohnung war mit Linoleum ausgelegt, bis auf das "Katzenzimmer" (in dem die "Katzen-Kratzbäume" standen), das gefliest war. Die Einrichtungsgegenstände sind nur oberflächlich abgebrannt. In der gesamten Wohnung hat sich ein Flächenbrand entwickelt - ausgelöst durch die Brandmittel.
Götzl leitet über zu den Lichtbildern.
Lenk: Bild 1 ist eine Originalaufnahme des Hauses um 1900. Auf Foto des Hauses, aufgenommen von einer städtischen Behörde am 24. Oktober 2011, ist im 1.Obergeschoss noch keine Kamera zur Beobachtung des Hauseingangs zu erkennen (der Blumenkasten fehlt komplett). Weitere Bilder sind einem Video entnommen, dass von einem Mann gemacht wurde - noch bevor die Feuerwehr eintraf. Man sieht im Flammenmeer den offenstehenden Tresor, die Hantelbank, einen brennenden Schreibtisch, auf dem ein Computer steht. Das eine Wohnzimmer ist noch nicht in Flammen. Vorne am Fenster ist (schlecht) die versteckte Kamera zu sehen. Am Ende der Videosequenz sind 11 bis 15 Knalle zu hören. Auf den Bildern, die die Feuerwehr unmittelbar nach Eintreffen gemacht hat, sieht man den Vollbrand und den mit herausgesprengten Mauersteinen übersäten Vorplatz des Hauses. Um 15.30 Uhr war der Brand unter Kontrolle - er konnte sich nicht weiter ausbreiten.
Auf den Bildern vom Brandtag erkennt man, wie "normal" das Haus noch am Ende der Löscharbeiten aussieht. Man kann sich die Wohnung noch gut vorstellen. Die große Zerstörung kam dann erst durch den Bagger - zur Sicherung des Hauses. Insgesamt werden 95 Bilder von Feuerwehr und Polizei chronologisch durchgegangen.
Zschäpe verfolgt den Vortrag von Lenk aufmerksam und mit verschränkten Armen.
12.20 Uhr.
Mittagspause bis 13.50 Uhr.
(Rolf Clement, DLF)
12.20 Uhr.
Weiter mit dem Zeugen Lenk, weiter mit Besprechung der Skizzen.
Lenk erläutert die Schäden am Haus, beschreibt, welche Mauern wie gesprengt bzw. verschoben wurden.
Es gab eine Explosion im Haus, die Brandbeschleuniger in den einzelnen Räumen haben das dann jeweils verstärkt.
Flächenbrand - schlagartig alle Räume auf einmal gebrannt, verursacht durch Benzin.
Zschäpe ist heute sehr aufmerksam und wach.
Es folgen die Lichtbilder 0 bis 95.
Beginnt mit nettem Bild: Originalaufnahme des Hauses aus dem Jahr 1900, zwei kleine Mädchen im Vordergrund (vom Eigentümer der Polizei zur Verfügung gestellt).
Vor dem Haus stand ein Briefkasten, der ungeöffnet entfernt (vom Bagger) und der Post übergeben wurde.
Handwerker im zweiten Stock: Was haben sie gemacht? Es konnte ausgeschlossen werden, dass dadurch eine Explosion entstand.
Bilder 1 bis 25 aus Videofilm vom Handy des "Bürgers" aus der Nachbarschaft, der das aufgenommen hat.
Bilder 26 bis 62 von der Berufsfeuerwehr und Einsatzkräften der Polizei.
Bild 63 Aufnahme der Nachbarin von gegenüber.
Bilder 64 bis 95 Berufsfeuerwehr Zwickau und Polizei.
Um 15.30 Uhr war der Brand unter Kontrolle, heißt: Konnte sich nicht unkontrolliert ausweiten.
Gegen 22.00 Uhr war der Brand gelöscht, dazwischen immer wieder Aufflackern durch Luftzug.
Dach musste geöffnet werden, wegen der Gefahr des Übergangs in die andere Doppelhaushälfte, musste mehr eingegriffen werden, weil Übergang erfolgt war.
Ein "Feuerwehrkamerad" verletzt, musste vor Ort behandelt werden.
Gegen Abend wurde das Technische Hilfswerk aktiviert, um die Brandstelle auszuleuchten.
Mittagspause bis 13.50 Uhr.
(Hans Pfeifer, DW)
14.00 Uhr.
Fortsetzung der Vernehmung des Zeugen Lenk.
Lenk geht anhand der Lichtbilder Details der Wohnung in der Frühlingsstraße durch. Neben der Haustür befand sich der Briefkasten des Trios - beschriftet mit den Namen "Dienelt“ und "B.". Auf dem Klingelschild steht der Name "Dienelt". M. Dienelt war der offizielle Mieter der Wohnung. Er kommt wie der Mitangeklagte André E. aus Johanngeorgenstadt. Am 11. Dezember 2011 wurde er wegen des Verdachts auf Unterstützung des Trios verhaftet, später aber wieder frei gelassen. Zschäpe soll noch nach dem Tod der beiden Uwes mit ihm telefoniert haben. Einer von Zschäpes Alias-Namen war "Susann Dienelt". Max-Florian B. hatte das Trio im Februar 1998 kurz nach dem Untertauchen in seiner Wohnung untergebracht.
Auf der Wohnungstür im 1. Obergeschoss ist ein Messingschild mit dem Namen "Dienelt" - in Schreibschrift geschrieben - angebracht. Direkt darunter ist eine Kamera in die Tür eingelassen - dort, wo sich normalerweise der Türspion befindet. Die Tür ist mit mehreren Sicherungssystemen ausgestattet, unter anderem ein Querriegel. Auf weiteren Detailbildern sind die Kameras zu sehen. An dem Küchenfenster außen ist eine Efeu-ähnliche Kunststoffpflanze zu sehen - darin versteckt eine Kamera. Weitere Detailbilder zeigen die Kamera im Balkonkasten. Der Kasten ist fest an den Fensterrahmen verschraubt, damit er nicht runterfallen kann. Durch den Blumenkasten und den Fensterrahmen sind Löcher gebohrt, um das Kamerakabel in die Wohnung zu führen.
14.50 Uhr.
Pause.
(Matthias Reiche, MDR)
13.55 Uhr.
Es geht weiter mit Bildern vom brandgeschädigten Haus Frühlingsstraße 26.
Drei Briefkästen am Haus, beschriftet nur einer – mit den Namen "B." und "Dienelt".
Namen auf Klingelschildleiste: Krause, Dienelt, Taverne Thassos. Zwei Schilder nicht leserlich beschriftet. Taverne war nicht mehr als Gaststätte in Betrieb.
Auch der Keller ist mit "Dienelt" beschriftet.
Frau E., ältere Frau im Nebenhaus, war durch die Brandstiftung in lebensbedrohliche Lage gebracht worden.
Bilder vom Sicherheitssystem der Wohnung mit Kameras und aufwendigem Schließsystem mit Querriegel (auch an der Tür stand auf Namensschild "Dienelt").
Pause bis 15.10 Uhr.
(Hans Pfeifer, DW)
16.00 Uhr.
Lenk erzählt weiter von Wohnung. Soll am 17. Juli wiederkommen.
16.00 Uhr.
Schluss für heute.
Hinweis
Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.