NSU-Prozess


0

NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 19. Verhandlungstag, 04.07.2013

Thema des 19. Verhandlungstags sind zunächst die Tatwaffen des NSU. Dazu wird neben dem Angeklagten Carsten S. auch der Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) Wiesbaden, Andreas V., befragt. Dieser kann die Waffen allerdings mangels Brille nicht eindeutig identifizieren.

Von: Oliver Bendixen, Paul-Elmar Jöris, Holger Schmidt

Stand: 04.07.2013 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Im Mittelpunkt des Prozesstages stehen jedoch die ersten Aussagen des Angeklagten Holger G. im November 2011, zu denen Zeuge Michael L., Kriminaloberkommissar bei der Polizei in Eisenach, gehört wird. Er war beim Fund der Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in einem Wohnmobil dabei und hatte Holger G. vernommen.

Zeugen:

  • Andreas V. (BKA Wiesbaden, Tatwaffe)
  • Michael L. (Polizei Eisenach, Gespräch mit Holger G.)

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Oliver Bendixen, BR)
9.48 Uhr.
Alle da. Ein Nebenkläger anwesend. Und los geht es.

(Oliver Bendixen, BR)
10.12 Uhr.
Carsten S. wird zu Waffen befragt. Nicht spannend.

(Paul-Elmar Jöris, WDR)
10.38 Uhr.
Richter Manfred Götzl mit Fragen an Carsten S. zu Waffen.
Carsten S: Am 1. Februar in Karlsruhe wurden mir Kopien vorgelegt. Dann habe ich grob ausgeschlossen, drei bis vier in engere Auswahl. Dann 6. Februar: In Justizvollzugsanstalt Ossendorf lagen mehrere Waffen auf dem Tisch, zwei mit Schalldämpfer auf dem Tisch, die ich mir näher angesehen habe. Bei der einen stimmte die Größe (Länge des Schalldämpfers). Ich entschied mich für die, die einen längeren Schalldämpfer hatte.
G: Presseveröffentlichungen?
S: Weiß von "Spiegel"-Bericht und Bericht von Pressekonferenz. Hatte nur Bilder der Waffe, dass da etwas verschmort war. "Spiegel TV" nach 8. November. Dann habe ich mir Bericht von "Express" und von "Spiegel" angesehen, ansonsten "Frontal 21" und so gesehen.
Ich hatte nie einen Namen im Kopf. Als das aufgetaucht war: "Ceska" - das hatte ich nie im Kopf.
Er weiß nicht, wie das Bild einer "Ceska" auf Computer und Handy kam.
Habe keinen Kratzer vor Augen. Alles schwarz, eher glänzend. Ich dachte, es seien die Waffen, die man dort gefunden hatte. Ich glaube, ich habe angesprochen, ob sie es sind oder ob sie baugleich sind. Mir wurden Schwarz-Weiß-Bilder gezeigt‚ ziemlich gruselige Qualität. Die Farbbilder sehe ich zum ersten Mal.

(Oliver Bendixen, BR)
11.20 Uhr.
Zeuge Andreas V., 50 Jahre, BKA Wiesbaden.
Hatte Waffen Holger G. vorgelegt. Der aber konnte sich nicht erinnern. 10 Waffen vor dem Richtertisch aufgebaut. Auch der Beamte hat Probleme, die Waffen auseinander zu halten. Hat seine Brille nicht dabei.

(Oliver Bendixen, BR)
11.34 Uhr.
Chaos: Keiner weiß, welche Waffe eigentlich welche ist. Eine Lupe wird benötigt.

(Holger Schmidt, SWR)
12.06 Uhr.
Mittagspause bis 13.00 Uhr.

(Holger Schmidt, SWR)
15.10 Uhr.
Zeuge Michael L., 42, Kriminaloberkommissar.
Vernehmungen am 5. und 6. November 2011 von Holger G.
War am 4. November erstmals beim Wohnmobil dabei, als es gefunden wurde. Leichen drin und Waffen, Waffen aus Heilbronn. Gehörte zu den Personen, die zugeteilt wurden. Bin nach Bad Nenndorf geflogen, Kriminaltechnikerin mitgenommen, war noch ein anderer Festgenommener dabei, war ein Irrtum.
Holger G. in der Arrestzelle, stand in regem Telefonkontakt mit Dienststelle, habe Vernehmung dabei, Frau W. war die meiste Zeit dabei.

Frage: Wo war er am 14. Oktober um 10.10 Uhr? Und am 25. Oktober: "Abtast-Vernehmung"?
Holger G: Kein Wohnmobil gemietet, Urlaub ab 15. Oktober in den Niederlanden mit Freundin und Kindern. Nachdem dann Mietvertrag von Wohnmobil auftauchte, Frage, wo die Dokumente sind. Unterschrift gezeigt: Das war er nicht, war aber ähnlich und er sagte, kamen Namen wie Wohlleben, Böhnhardt, Mundlos und Personen aus Hannover. Vernehmung kam ins Stocken, hatte den Eindruck, er hat mit sich gerungen, was er sagen kann.
Rauchpause.

Dann hat er gesagt, Reisepass Böhnhardt gegeben. Jedes Jahr Besuch bekommen von den Dreien, 2011 sei Zschäpe nicht dabei gewesen. Habe ich mir genauer erklären lassen, weil das ja unüblich ist. Anfangs habe er es nicht gewollt, aber sie hätten ihm erklärt, man sei doch füreinander eingestanden. Er wollte kein Verräter sein, deswegen hat er ihnen [Waffe] gegeben. Habe aber nicht gewusst, was sie damit machen. Habe gefragt, was das für eine Freundschaft ist, was der Hintergrund ist? Muss dazu sagen: Den politischen Hintergrund kannten wir ja gar nicht.

Nach Identifizierung: Mundlos identifiziert. Habe ich gedacht, die andere Person muss dann ja Holger G. sein. Habe mich gewundert, dass der lebt und ich da hin soll.

Er sei jetzt gerade wieder in einer Phase, in der er dabei sei, zu den Nationalen und den Freien Kräften Kontakt aufzunehmen, er sei aber politisch inaktiv. Das war der Inhalt der Vernehmung am 5. November.

Am 25. Oktober sei er am Landgericht Hannover gewesen, als moralische Unterstützung für einen Bekannten in einem Prozess gegen Linke.

Was 4. November gemacht? Bei Kai S. gewesen, Freund von Freundin von Freundin von Holger G.

Vorwurf bei der Vernehmung: Beteiligung am Raubüberfall Eisenach. G. hält Protokoll vor. G am 4. November: Hatte um 7.00 Uhr Arbeitsschluss, bis 17.00 Uhr geschlafen, danach bei Kai S.

G. hat sich gewunden, ob Trio nun Freunde oder nicht und warum er sie unterstützt. Widersprüchliches Verhalten. Keine normale Freundschaft, war mein Eindruck. Besondere Struktur. Ob jemand der Chef war, habe ich gefragt: Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos seien die Chefs gewesen, danach Zschäpe, dann Wohlleben, seine Rolle ganz unten, ganz gering.

Spielsucht, Freundin hat gesagt, dass sie Geld vor ihm verbirgt. Betäubungsmittel gefunden bei Durchsuchung. Habe bei den Vernehmungen ja nur einen Bruchteil gewusst. War viel ins Blaue hinein. Habe ihn gefragt, ob er Bezüge nach Süddeutschland hat wegen Heilbronner Waffen. Habe dazu aber keine Erkenntnisse gewinnen können.

Frage nach einem Kind, weil ja bei der Anmietung des Wohnmobils ein Kind dabei gewesen sein soll. Keine Hinweise auf eigenes Kind. Blieb unklar.

(Holger Schmidt, SWR)
15.45 Uhr.
Kaum Neues. Immerhin: Partnerin von Holger G. hat wegen Spielsucht Geld vor ihm im Uhrenkasten versteckt.
L: Habe ihn beobachtet, hat sich regelrecht körperlich gewunden. Wenn er sich sicher war, dass wir im Nebel rumstochern, hat er auch keine großen Angaben gemacht.
Hatte damals den politischen Hintergrund ja nicht. Heute den Eindruck: Der war damals ganz froh, dass das so war.
Götzl: Wie schnell kamen die Antworten?
L: Einige sehr schnell, andere sehr zäh. Bei Reisepass zum Beispiel hat mit sich gerungen.
Beamter macht einen sehr guten Eindruck, wirft sich aber vor, Dinge, die aus heutiger Sicht interessant wären, damals nicht geahnt zu haben.
Götzl: "Ich mache Ihnen keinen Vorwurf."

(Holger Schmidt, SWR)
15.55 Uhr.
Nachtrag zu Zeuge L.: "Kannte als frisch gebackener Bereitschaftspolizist das Fahndungsplakat Mundlos-Böhnhardt." Bin jetzt Leiter Dezernat 1 in Eisenach, habe mit Staatsschutz nix zu tun. Kam plötzlich der Anruf: Nimm Dir ein Auto, fahr zum Flughafen, Hubschrauber holt dich ab. Das war die ganze Vorbereitung auf die Vernehmung.
Nebenklage-Frage: Wie schnell Identifizierung?
L: "Bei Sachverhalten mit Leichen ist immer die Preisfrage: Wer ist das?" Gleich bei der Bergung Fingerabdrücke genommen und gleich am 5. November morgens, dass der eine als Mundlos identifiziert worden ist. Ich habe spontan gedacht: Dann ist der andere der Holger G.

(Paul-Elmar Jöris, WDR)
16.30 Uhr.
5 Minuten Pause.
Dem Zeugen wurde bislang fast jede Zeile seiner Vernehmungsprotokolle vorgehalten, ohne dass sich neue Erkenntnisse ergaben.

(Paul-Elmar Jöris, WDR)
16.45 Uhr.
Ende.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


0