NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 40. Verhandlungstag, 30.09.2013
Gleich zwei Morde werden an diesem Verhandlungstag näher untersucht: der an Mehmet Kubasik, erschossen am 4. April 2006 in seinem Kiosk in der Dortmunder Nordstadt, und der an Halit Yozgat, erschossen nur zwei Tage später, in seinem Internet-Café in Kassel. In Anwesenheit eines (inzwischen Ex-)Mitarbeiters des hessischen Verfassungschutzes, der von dem Mord an Yozgat aber nichts bemerkt haben will.
Die erste Zeugin heute, Veronika von A. will Beate Zschäpe sowie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vor dem Mord an Mehmet Kubasik in Dortmund gesehen haben, und zwar auf dem Nachbargrundstück ihres Hauses. Ihre zwar widerspruchsfreien und plausiblen Aussagen lassen dennoch Zweifel aufkommen. Später werden zwei Kriminalbeamte aus Kassel befragt, die im Mordfall Halit Yozgat ermittelt haben – auch gegen den Verfassungsschutz-Mitarbeiter, der am Tatort war.
Zeugen
- Veronika von A., Journalistin (Mordfall Kubasik)
- B., Kriminalbeamter Kassel, Polizeipräsidium Nordhessen (Mordfall Yozgat)
- Werner I., Kriminalbeamter Kassel, Polizeipräsidium Nordhessen (Mordfall Yozgat)
ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal
(Tim Aßmann, BR)
9.48 Uhr: Es geht los. Richter Götzl stellt Anwesenheit fest: Rechtsanwältin Dierbach und Bliwier mit Mandantschaft (Angehörige Mordopfer Halit Yozgat), Top mit Mandantin (Ayse Yozgat).
Rechtsanwalt Klemke (Verteidigung xy): Antrag: für 30 Minuten unterbrechen, weil wir mit Mandant weil wir mit Mandant neue Aktenbestandteile, die wir gerade bekommen haben, erst einmal besprechen möchten.
Verteidiger Heer (Vereidigung Zschäpe): Antrag: Zeugin erst vernehmen, wenn erkennbare Fotos da sind. Alle Fotos sind sehr schlecht erkennbar auf der DVD (die vor Beginn des Verhandlungstages an alle Prozessbeteiligten verteilt wurde).
Richter Götzl: Haben hier auch Lichtbildmappen.
Heer: Dürfen wir den Ordner auch mit in den Besprechungsraum nehmen?
Götzl: Wenn die anderen es auch sehen können …
Unterbrechung bis 10.30 Uhr
(Holger Schmidt, SWR)
11.35 Uhr. Zeugin Veronika v. A. legt zunächst ihr Brillenetui auf dem Tisch ab, dann stellt sie die Handtasche ab. Gemächlich. Veronika von A., 63, freiberufliche Journalistin, Selm.
Götzl: Beobachtungen 2006, früher oder später, was können Sie uns denn dazu berichten? Es geht vor allem um Beobachtungen, die das Nachbaranwesen in Dortmund betreffen.
Zeugin Veronika von A.: Ich beginne am 31. März 2006, ein Datum, "Erinnerungsanker", ein für mich wichtiges familiäres Ereignis, ich habe dafür Sorge zu tragen gehabt, dass ein Möbelwagen Zugang zum Haus hatte, war nicht zeitlich fixiert, habe das die Tage zuvor fixiert, habe festgestellt, dass ein sehr großes, langes Wohnmobil vor dem Garten gestanden hat. Darf ich trinken?
Götzl: Ja, bitte.
A.: Ich habe Flatterband besorgt und habe am Tag davor einen Zettel angebracht mit der Bitte, den Wagen zu versetzen, so ist es geschehen, die Einfahrt war frei. Überspringe den weiteren Tagesablauf, wann Möbelwagen kam, erinnere ich nicht mehr. Hatte eine längere Strecke zu bewältigen. Wir haben dem Fahrer, der zugleich der Besitzer war, eine Brotzeit vorbereitet, dann hat er die Stücke ausgeladen. Möbelwagen wieder weg, habe mich ein wenig mit dem Sortieren beschäftigt. Einige große Teile, einige kleine Teile. Habe mich mit den kleineren beschäftigt. Ich habe das sehr ausführlich geschildert, weil das das Herzstück meiner Erinnerung ist. Alles andere hängt da dran. Ich bin dann NICHT AM GLEICHEN TAG, ich kann es fast ausschließen, dass es am gleichen Tag war, in Dachgeschoss gegangen, nach meiner Erinnerung am späteren Nachmittag, Apartment betreten, an das Fenster getreten. Soll ich straffen?
G.: Ich überlasse das Ihnen.
A.: An Gaubenfenster herangetreten, normalerweise waren beide Fenster mit Stoffbahnen verhängt, die ich selbst zugeschnitten habe. Die Stoffbahnen sind an den Fensterflügeln befestigt gewesen. Habe die rechte Stoffbahn abgenommen und das Fenster etwas aufgezogen, damit Luft herein kam. Ich bin an diesem späten Nachmittag an das Gaubenfenster herangetreten und nach dem ersten Blick zurückgeprallt, weil ich eine Gruppe wahrgenommen habe, die auf mich gewirkt hat, wie eine Theaterszene. Es standen drei schwarz gekleidete Menschen, zwei Männer, eine Frau, in einer Reihe, von mir aus links der Mann, den ich als den "Skin" bezeichne. Setze das in Anführungszeichen, weil er Szenemerkmale hatte, aber ich ihn nicht gefragt habe, ob er einer ist. Er stand an der Seite wie ein Feldherr und hat das Grundstück gezeigt. Auch noch dabei ein jüngerer Mann, den ich als "Lehrling" bezeichne, der ist dann weg und nicht wieder aufgetaucht. Ich habe zuerst die Gruppe durch die Fensterscheibe angeschaut und habe zuerst gedacht: Oh lustig, ein Skinhead und drei Punker. Hat mir geholfen, den Schreck zu bewältigen. Habe Fernglas genommen, das IMMER AN DEM FENSTER STEHT. Habe daraus geschlossen, dass die drei Männer eine sehr gerade, militärische Haltung hatten, aber schon so, wie man sich vorstellt, dass Punker in der Gegend herumhängen.
Die Frau, die ich später als Frau Zschäpe erkannt habe, stand ganz rechts, neben ihr die beiden Männer, die ich als Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erkannt habe, links davon der Skin. Die Frau ist nach vorne getreten und hat eine Hand auf die Schaukel gelehnt, die sehr nahe an die Mauer gebaut war. Und in diesem Augenblick hatte ich das Gefühl, jetzt will ich nicht mehr an dem Fenster stehen, es ist nicht meine Art, Nachbarn zu beobachten. Ich wollte mich zeigen, mein Gesicht zeigen. In diesem Augenblick hatten wir Blickkontakt, sie hat den Blick gehalten. (Zschäpe schmunzelt). In diesem Moment haben sich alle in einer vorbildlichen Art umgedreht - ich bin keine Ausbilderin, aber das ist mir aufgefallen - und sind ganz schnell ins Haus.
Ich habe das gespeichert, so wie ich ein Theaterstück speichere, und bin dann zur Tagesordnung übergegangen. Der „Skin“ war mir nicht fremd und auch den jüngeren Mann hatte ich schon gesehen. Möchte nun ganz nach vorne gehen. Im Jahr 2003/2004 wurde dieser Baumarktzaun aus geflochtenen Elementen angebracht, man konnte es nur noch über das Dachfenster einsehen. Dieser Zaun hat mich geärgert, weil er in dieser eigentlich ganz schönen Straße wüst aussah, aber so ist es halt. Es gab keinen Austausch mit diesem Nachbargrundstück, es gab keinerlei Kontakt zu den Nachbarn, keine Begrüßungen, keine Ankündigungen, wie man es mit den anderen Menschen so gemacht hat. Im Frühjahr 2005 wurde mit Grabungen auf dem Grundstück begonnen. Die haben mich beunruhigt. Sie haben zu ungewöhnlichen Zeiten stattgefunden, waren nicht angekündigt und zu Zeiten, bei denen man ausgeht, da war Ruhe, abends, nachts, Als der "Skin" mal gegraben hat, habe ich das Fenster aufgemacht in der Erwartung, dass es zu Kontakt kam. Hat sich der "Skin" nur in einer aggressiven Pose hingestellt und nichts gesagt. Ich habe bestimmte Phasen der Grabungen nicht gesehen, habe Erde und eine Folie gesehen, in einer Ecke besonders tief. Habe gesehen: schwere Betonkübel geschleppt. Schwerstarbeit. Weiteres Merkmal, das mich sehr nachdenklich gemacht hat: Schaukel war ein buntes Stahlrohrgerüst, wie man sie heute nicht mehr auf Spielplätzen aufstellt, aber ich bin so nachdenklich gewesen, weil ich dachte, da kann doch niemand drauf schaukeln. Ich habe dann noch zu sagen, dass in den Jahren 2004 bis 2006 im Westkamp lang anhaltend Wohnmobile geparkt worden sind. Insbesondere ein Wohnmobil, das dort sehr lange geparkt hat. Aber das muss nicht das gleiche Wohnmobil gewesen sein, dass im März 2006 dort geparkt hat. Ungewöhnliches Kennzeichen, ein "Z" ("Zwickauer Land" = Z). Habe noch nie vorher ein solches Kennzeichen gesehen und es gab auch noch "C" und "A".
Richter Götzl: Haben Sie Ihre Beobachtungen geteilt?
Zeugin Veronika von A.: Mit meinem Mann, der damals noch nicht mein Mann war. Er hat eigene Wahrnehmungen gemacht. Die "schwarze Front" war sehr bedrohlich. Sonst zu niemand. Zu einem Freund mal allgemein "wir haben ein schwieriges Umfeld". "Ich habe danach so einschneidende Beobachtungen wie diese Grabungen nie mehr gemacht." So eine Gruppe ist mir danach auch nicht mehr begegnet.
G.: Haben Sie sonst noch Erinnerungen zu diesem Grundstück seit März 2006?
A.: Keine, die sich mir eingeprägt hätten.
G.: Personen oder Ereignisse, ist da noch irgendwas präsent?
A.: Gegenüber hat eine Frau gewohnt, die wir "unsere Alarmanlage" nannten, weil sie immer am Fenster hing.
G.: "Unsere Alarmanlage" - wer war das?
A.: Soll ich den Namen sagen?
G.: Ja.
A.: Frau S. Aber die ist verstorben.
G.: Weiterer Verlauf?
A.: Im November 2011, als der Wohnwagen ausbrannte und Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sich dort umgebracht hatten, sind Fahndungsfotos veröffentlich worden und es war eine spontane Reaktion, ich habe zu meinem Mann gesagt, das sind die Männer, die ich auf dem Grundstück gesehen habe. Und in diesem Kontext habe ich eine Verbindung zum Thema Wohnwagen hergestellt. In diesem Kontext wurde Frau Zschäpe ja auch bekannt und der Kontext NSU hat sich auch erschlossen und ich habe gesagt, diese Frau war auch dabei. Ich habe dann in der weiteren Abfolge, auch durch unsere Tageszeitung, mitbekommen, dass sehr viel Material sichergestellt worden ist und dass es Listen von Sympathisanten und Kontaktpersonen gibt - und aus diesen Informationen habe ich entnommen, dass eine breite Aufarbeitung stattfindet und einmal hieß es, es gebe 150 oder 300 Personen auf einer Liste. Und ich habe für mich gesagt: Dortmund ist ein solches Zentrum neonazistischer Bestrebungen, Dortmund ist dabei.
Ich habe gesagt, ich werde meine Beobachtungen einbringen, wenn es nötig wird. Ich bewahre das jetzt, ich behalte das bei mir und bin davon ausgegangen - bis zur Anklage - dass auch das Dortmunder Umfeld erkundet wird und es sicher so sein wird, dass auch andere solches Wissen haben. Zum Zeitpunkt der Anklage war ich sehr erstaunt, dass niemand aus Dortmund dabei war und es ist doch eine sehr gewaltbereite Szene in Dortmund. Meine Wahrnehmung war, das könnte so sein, zumal doch auch der Mord an Mehmet Kubasik (2006, Dortmund) dem NSU zuzurechnen war. Und als es dann so war, dass es keine Spuren in Dortmund zu dem NSU gegeben hat: Habe sehr mit mir gerungen, wie ich es machen soll. Habe mich entschieden, nicht zur Polizei zu gehen, a) weil es eine Stufe zu hoch war und b) weil ich dachte, ich warte noch.
Habe dann im Februar 2012 noch vor der Anklage, auf "Der Westen" einen Artikel von David Schraven gelesen und dieser Artikel hat mich davon überzeugt, dass er viele Informationen hat und ein guter Rechercheur ist und über viele Kontakte verfügt. Habe ihm eine e-mail geschrieben. Habe mail Mitte Februar abgeschickt und bis Ende März keine Reaktion bekommen, habe gedacht, OK, das ist nicht wichtig. Habe gedacht, dann ist es nicht wichtig. Hat sich dann Ende März gemeldet, hat gesagt, es ist hängen geblieben. Ich habe ihn dann am nächsten Tag angerufen, nur allgemein von einer Gruppe gesprochen, die ich beobachtet habe. Habe zu ihm gesagt, vielleicht gibt es Listen, vielleicht tauchen da Personen auf, vielleicht der Hausmeister Herr D... "Ich habe das dann wieder zu mir genommen, habe ein Prinzip, dass ich da nicht hinterher telefoniere. Ich habe meine Beobachtungen, aber das ist keine Story". Ich habe dann im Juli 2013 im Radio oder im Internet-Portal "Der Westen" einen Bericht über die Verhandlung hier gelesen. Davor gab es noch eine Berichterstattung über einen Briefwechsel zwischen Beate Zschäpe und einem Dortmunder Neonazi. Habe gelesen, Antrag Bliwier (Nebenklage-Anwalt) auf Vernehmung Zeugen zum Briefwechsel. Ganzer Kontext war: Es gibt keinen Kontakt nach Dortmund. Da habe ich gedacht, jetzt muss ich es mitteilen. Das Gericht wird das werten, jedenfalls möchte ich das mitteilen und habe gedacht, Rechtsanwalt Bliwier ist in der Lage, diese Information einzubeziehen. Insbesondere hatte ich das Vertrauen, dass diese Kanzlei sehr ernsthaft prüfen wird, ob diese Information geeignet ist. Ich habe mir am gleichen Tag die Kontaktdaten herausgesucht.
(Holger Schmidt, SWR)
12.35 Uhr. Mittagspause bis 13.45 Uhr.
(Heike Borufka, HR)
13.50 Uhr. Zschäpe wird gebracht, kommt mit blauer Plastiktasche.
13.53 Uhr. Zeugenvernehmung von Veronika von A. wird fortgesetzt.
Richter Götzl: An welchem Ereignis machen sie fest, dass es der 31. März war?
Zeugin Veronika von A.: Geht um Umzug eines engen Familienmitglieds vom Studienort.
G.: Um welches Familienmitglied geht es?
A.: Ich hatte erhofft, dass Sie mir diese Frage ersparen, weil ich wegen des NSU-Umfelds als Mutter etwas Angst habe. Aber es ist meine Tochter.
G.: Sind zurückgeschreckt bei Anblick der Gruppe, warum?
A.: Es war die Ausrichtung, sehr starre Haltung, mit einem Ruck zurückgegangen.
G.: Was haben die denn gemacht?
A.: Gemacht hat nur der "Skinhead" was, hat mit einem Arm auf etwas hingewiesen. Er hat besonders auf diese linke Seite, was ich als Sandkasten wahrgenommen habe, gedeutet.
G.: Können Sie einzelne Personen beschreiben?
A.: Was sich mir am stärksten eingeprägt hat, ist eine Silhouette einer Gruppe. Ich habe nur eine deutliche Erinnerung an die Camouflage-Hose des "Skinheads" und eine komplett schwarze Kleidung hinsichtlich der Männer und der Frau. Kann keine Einzelheiten der Kleidung schildern.
G.: Haarfarbe/Frisur?
A.: Der "Skinhead" hatte Glatze, der linke, größere Mann auch, bei dem anderen bin ich mir nicht sicher, ob er auch eine Glatze hat. Die Frau hatte zurückgeworfenes dunkles Haar. Konnte nicht sehen, ob es nur zurückgestreift oder zusammengebunden war.
G.: Sichtverhältnisse?
A.: Ich habe es als diesig in Erinnerung. Kein blauer Himmel, kein bewölkter, sondern ein geschlossener.
G.: Bei welchen Gelegenheiten Skinhead schon wahrgenommen?
A.: Eigentlich nur bei den Grabungsarbeiten. Habe den Mann für den Hausmeister gehalten, für Herrn D. Da stand so ein Schild. Aber ich kann nicht bestätigen, ob es sich um den gehandelt hat. Glatze, stiernackig, sehr muskulös, die Camouflage-Hose und eben dieser gesamte körperliche Eindruck. Die Person, die ich als "Lehrling" beschrieben habe, habe ich das erste Mal bei den Grabungen gesehen. Hatte Overall an. Bei den Grabungen schien er wie ein Helfer, nicht wie der Anschaffer, deshalb habe ich ihn so für mich als "Lehrling" bezeichnet. Es hatte sich doch in mir festgesetzt, dass etwas verborgen werden sollte. Spielt ja eine Rolle, dass ein so hoher Zaun aufgebaut wurde. Und es waren keine Zeugen gewünscht. Der Mann hat sich so hingestellt, dass ich ihn nicht mehr sehe.
G.: Sie sprechen von Vermutungen, dass nachts oft gegraben wurde, was beobachtet?
A.: Im Frühjahr, April/Mai, möglicherweise dann nochmal im Herbst. Abends nach Dämmerung.
G.: Haben Sie Frau öfter gesehen?
A.: Nur einmal eine Frau, sonst nie eine Frau auf dem Anwesen gesehen.
G.: Haben Sie mal Kinder gesehen?
A.: Habe mal Kinder gesehen, weiß aber nicht, ob das vor oder nach 2006 war.
G.: Sie sagen, es sollte etwas verborgen werden, weitere Überlegungen?
A.: Nein, keine Überlegungen, hatte Befürchtungen. Lag an aufgeheizter Stimmung. 2005 ist ein junger Mann von einem Neonazi im U-Bahnhof erstochen worden. Dann kommt hinzu, dass dieser Stadtteil um den Jahrtausendwechsel sehr unter Eindruck des Polizistenmordes stand. Es war insgesamt eine Atmosphäre von rechten, neonazistischen Kräften, die bei mir eine sehr große Wachheit hervorgerufen haben. Führte zu Überlegungen, wenn da am helllichten Tag etwas vergraben wird. Werden da vielleicht verbotene Dinge begraben? Hatte solche Fantasien, da müsste irgendetwas schnell geschehen. War eine Befürchtung, habe das nie gesehen, dass da was begraben wurde. Habe befürchtet, dass belastendes Material da versteckt wird. Hatte mehrmals Telefonhörer in der Hand und dachte, was macht ein Polizist, wenn er eine ältere Frau hat, die berichtet, auf dem Nachbarschaftsgrundstück werde gegraben. Hatte die Befürchtung, dass das unter Nachbarschaftsstreit abgelegt wird und möglicherweise der Skinhead dann bei mir vor der Tür steht. Wenn mir etwas auffällt, beobachte ich weiter, ob die Gefahr sich mir annähert und mir etwas auffällt. Ich verfalle nicht in Hysterie. Das sind sonst die Wurzeln von Nachbarschaftstratschereien, die mag ich nicht. Habe Nachbarin nur mal nach Wohnwagen gefragt, ob er ihr gehört. Das hat sie verneint. Wir haben die Aufmerksamkeit auf das Umfeld sehr wach gehabt, hatten schräg gegenüber eine Gaststätte. Als wir 1996 dort eingezogen sind, hat sich dort ein Gästeklientel herausgebildet, die auch gerne draußen saßen und geknobelt haben und aufgesprungen sind und gerufen haben. Wirtin gesagt: ich gehe zur Polizei, wenn hier noch einmal mit Hitlergruß gegrüßt wird.
(Richter Götzl fragt nach Erinnerung nach Presseveröffentlichungen, Fahndungsfotos.)
A.: An den Gesichtern. Ich habe eigentlich keine Ganzkörperfotos gesehen, habe erst die beiden Männer gesehen und dann das Foto von Frau Zschäpe. Die spontane Aussage war die einer ganz großen Sicherheit. Dann habe ich mich hinterfragt. Ich habe wörtlich den Satz: Das sind die Männer, die ich bei uns auf dem Grundstück gesehen habe. Und als ich die Frau sah, habe ich gesagt: Das ist die Frau, die ich auf dem Grundstück gesehen habe. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass mein Eindruck aus der Gruppe gekommen ist. Habe jemand gesehen, der so aussieht wie Frau Zschäpe. Jetzt muss man auch in Rechnung stellen, dass ich Frau Zschäpe schon auf Fotos gesehen habe. Wenn ich nicht so sicher gewesen wäre, würde ich das heute nochmal prüfen. Aber der feste Blick und der feste Zug um den Mund: Ich würde sagen: ja.
(A. wendet sich direkt zu Zschäpe)
Also, wenn sie nicht ein perfektes Double hat, würde ich das so sagen.
(Zschäpe grinst und schüttelt dann leicht den Kopf).
(Holger Schmidt, SWR)
15.05 Uhr.
Bundesanwalt Diemer: Wie bringen Sie "Skinhead" mit "Blumen" in Verbindung?
Zeugin Veronika von A.: Habe nur von Betonkübeln gesprochen, nicht von Blumen.
Oberstaatsanwalt Weingarten: Was war der Sandkasten, wenn er kein Sandkasten war? Ich würde gerne erkunden, was Sie auffällig finden und was nicht.
A.: Ich finde alles ungewöhnlich, was nicht funktional ist.
Weingarten: Möchte nicht auf dem Sandkasten "herumreiten", will aber wissen, ob Erde oder Sand drin ist. Was denn nun?
A.: Weiß ich nicht.
Weingarten: Hell oder dunkel?
A.: Weiß ich nicht.
(Gunnar Breske, MDR)
15.04 Uhr. Lichtbild-Mappe wird gezeigt. Blick aus dem Dachfenster auf das Grundstück – verschiedene Fotos – Zeugin von A. erläutert Grundstück. Götzl legt am Ende das Foto einer unbekannten Frau auf – schwarz-weiß – lockige, halblange Haare, rundes Gesicht. Wenn man es mit viel Wohlwollen betrachtet, sieht die Frau auf dem Bild Beate Zschäpe entfernt ähnlich – eine direkte Verwechslung ist meiner Ansicht nach aber schwer vorstellbar. Nachfrage des Senates zum Fernglas, welche Vergrößerung, was genau beobachtet? Antwort: Vergrößerung unklar, habe mir die Gesichter genau, nacheinander angeschaut.
(Heike Borufka, HR)
Zeugin von A. erklärt Blick aus dem Fenster anhand von Fotos. Beisitzender Richter Kuchenbauer: Was haben Sie mit dem Fernglas gesehen? Antwort: Die Gruppe. Hat insgesamt drei bis fünf Minuten gedauert, gehe davon aus, dass es mehr als vier Minuten waren. Keine besonderen Merkmale aufgefallen.
Bundesanwaltschaft: Gab es verschiedene Funktionen des Fernglases?
A.: In den Himmel schauen, Naturbeobachtungen, auch als es die Gaststätte gegenüber gab, um mal nachzuschauen.
Bundesanwalt Weingarten: Haben Sie oft da rausgeschaut?
A.: War sehr unterschiedlich. Meine Tochter hat bis zu ihrem Auszug das Zimmer bewohnt. War sehr oft oben, habe auch mit ihr aus dem Fenster geschaut. Als sie weg war, habe ich es seltener benutzt.
Weingarten: Und nach dem Auszug der Tochter?
A.: Als ich die Grabungsarbeiten einmal wahrgenommen habe, habe ich öfter mal aus dem Fenster geschaut. Gab Phasen, in denen ich mit Beunruhigung festgestellt habe, dass da etwas passiert.
Weingarten: Was beunruhigt Sie?
A.: Dass es nicht zu üblichen Tageszeiten passiert.
Weingarten: Woher wissen Sie, war nicht zu üblichen Tageszeiten?
A.: Weil ich es gesehen habe.
Weingarten: Haben sie VW Passat gesehen?
A.: Wüsste nicht mal, wie ein VW Passat aussieht.
Auf Frage Nebenkläger-Vertreter: Ich habe nie jemanden aus- oder einsteigen sehen am Wohnmobil. Aber mein Mann. Habe das erst vor Vernehmung meines Mannes in Polizeipräsidium Dortmund erfahren.
Verteidiger Heer (Anwalt Zschäpe) bittet um Beratungspause.
15 Minuten Pause.
(Gunnar Breske, MDR)
Fortsetzung 15.24 Uhr. Fragen Rechtsanwältin Sturm (Verteidigung Zschäpe) an Zeugin - zunächst muss der Monitor, der das Gesicht von Sturm verdeckt, weggerückt werden, da Zeugin gern das ganze Gesicht der Fragestellerin sehen will.
(Heike Borufka, HR)
15.24 Uhr. Auf Fragen von Rechtsanwältin Sturm (Verteidigung Zschäpe): Sie hatten geschildert, dass Sie im November 2012 Fotos von Mundlos und Böhnhardt gesehen haben. Sie sprachen dann auf Fragen des Vorsitzenden, dass Sie davon ausgegangen sind, als es die ganze Listen aus den Untersuchungs-Ausschüssen gab, sich das schon klären würde. In dieser ganz konkreten Situation in den nun folgenden Stunden, haben Sie darüber gesprochen?
Zeugin Veronika von A.: Habe nicht darüber gesprochen, nur eine Bemerkung zu meinem Mann und habe gedacht, was wird sich jetzt weiter entwickeln.
Sturm: Wie oft haben Sie daran gedacht, dass Sie abwarten wollen, was dann passiert?
A.: Oft.
Sturm: Was ist für sie oft?
A.: Nicht täglich. Wenn wieder eine Meldung durch die Presse ging, wenn wieder etwas gefunden wurde. Habe nicht gezielt Berichterstattung verfolgt, bin Leserin der "Süddeutschen" wie offensichtlich Frau Zschäpe auch. Es war nicht ein ständiger neuer Gedanke, sondern es war präsent, dass ich sie gesehen habe.
Sturm: Sie haben Info aus Medien geschöpft, da waren keine Erkenntnisse aus Dortmund enthalten und Sie wollten sich zurückhalten. Sind Sie davon ausgegangen, dass sämtliche Erkenntnisse über die Medien veröffentlicht werden?
A.: Bin davon ausgegangen, dass es ein größeres Wissen als meines gibt. Hatte schon so eine Fantasie, wenn das jetzt weiter ermittelt wird, irgendwann steht da drin, dass es eine Durchsuchung dort gegeben hat. Listenfrage spielte mehr in der Berichterstattung über Untersuchungs-Ausschuss eine Rolle, nicht in der Berichterstattung über den Prozess. War vor 2013. War mir bis heute nicht bewusst, dass ich die einzige gewesen sein soll, die Frau Zschäpe in der Nähe eines Tatorts gesehen hat. So habe ich mein Wissen nicht eingeordnet. Ist doch durchaus möglich, dass es auch ein Wissen gibt, das nicht veröffentlicht wird. Ich hatte nur Pressewissen, kein Prozesswissen.
Rechtsanwalt Stahl (Verteidigung Zschäpe): Sie haben sich mit Ihrem Mann über Beobachtungen/Grabungen unterhalten. Ihr Mann habe deutlicher gesagt, wie er Situation eingeschätzt hat. Ist das richtig?
A.: So habe ich das gesagt.
Stahl: Haben Sie sich mit ihrem Mann auch nochmal in den letzten Tagen unterhalten über diese Situation, über diese Grabungen?
A.: Wir haben uns unterhalten, ja.
Stahl: Hat Ihr Mann da was erzählt, was Ihnen neu war?
A.: Er hat mir nichts erzählt, was speziell zum Nachdenken angeregt hat. Grabungsfeld ist ein Teich gewesen, den der Hausmeister gegraben hat.
Stahl: Denken Sie immer noch, das waren Neonazis, die da gegraben haben?
A.: Könnte höchstens denken, das sind Neonazis, die nicht wissen, wo man Teiche anlegt.
Rechtsanwalt Klemke (Verteidigung Wohlleben): Was lesen Sie neben der "Süddeutschen" sonst noch für Zeitschriften?
A.: Die Zeit, die NZZ, FAZ, FAS und wenn ich in einer Bibliothek bin, lese ich alles, was da ist.
Klemke: Sie arbeiten als freie Journalistin, aber nicht für Tageszeitungen. Haben Sie in diesen Metiers veröffentlicht?
A.: Habe Buch veröffentlicht: "Junge Bilder vom Alter". War Mit-Autorin und Herausgeberin. Ist unter Vera von A. erschienen.
Klemke: Haben Sie schon Bücher herausgegeben?
A.: Ich habe in jungen Jahren unter dem Namen Vera A. "Grundwissen junger Sozialisten" herausgegeben, das wollten Sie doch gerne wissen oder? Ich bin stellvertretende Bundesvorsitzende der SDAJ (Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend) gewesen. Bin Mitglied des Parteivorstands der DKP (Deutsche Kommunistische Partei) gewesen, möchte das gerne abkürzen. Bin 1985 Sprecherin von „Erneuerinnen und Perestroika“ gewesen. Und bin 1988 ausgeschlossen worden.
Klemke: Ist Ihr Mann Spezialist für das Phänomen Neonationalsozialismus? Hat er sich Kenntnisse angeeignet?
A.: Kann man so sagen, ist Historiker. Neugeschichtler beschäftigen sich nicht nur mit einem Zeitabschnitt eng begrenzt. Hat sich als Direktor des Dortmunder Stadtarchivs sehr damit beschäftigt. Könnten Sie die Fragen nicht meinem Mann stellen? Ich spreche ungern über Dritte.
Verteidiger Klemke: Oh, diesen Eindruck hatte ich bislang nicht.
Richter Götzl will wissen, warum die Fragen nach Ehemann gestellt werden. Zeugin wird rausgeschickt. Klemke erklärt, es gehe um Glaubwürdigkeit. Zeugin wird nach kurzer Diskussion wieder reingeholt. Nebenklage-Anwältin Lunnebach will Gerichtsbeschluss.
Nebenklage-Anwalt Behnke: Wir sollten das Gezicke mal beenden.
(Wohlleben klopft auf Tisch, wird von Vorsitzendem gerügt).
15 Minuten Pause
(Holger Schmidt, SWR)
16.26 Uhr.
Veronika von A. machte eine schnippische Bemerkung.
Richter Götzl ermahnt: Lassen Sie das, ich habe den Eindruck, dass Sie versuchen, dass hier an sich zu ziehen!
Verteidiger Klemke wird ebenfalls angefahren.
Rechtsanwalt Schön ruft was von "Beanstandung" in den Raum.
Götzl platzt und droht mit Unterbrechung. "ICH ERMAHNE ALLE SEITEN ZUR SACHLICHKEIT."
(Holger Schmidt, SWR)
16.29 Uhr. Befragung von Zeugin Veronika von A. im Prinzip fertig. Nebenklage-Anwalt Erdal beantragt Vereidigung. 10 Minuten Pause, Gericht entscheidet bis 16.40 Uhr. Stellungnahme Generalbundesanwaltschaft: Sind nicht für Vereidigung.
(Heike Borufka, HR)
16.10 Uhr. Verfügung.
Richter Götzl: Frage ist zulässig, könnte von Bedeutung sein, aufgrund welcher Grundlage Ehemann zur Auffassung gekommen sein kann, dass im Nachbargrundstück Neonazis etwas vergraben haben könnten.
Zeugin Veronika von A.: Mein Mann hatte in den 80er und 90er Jahren Forschungsauftrag, Mahn- und Gedenkstätte Steinbacher einzurichten. Ist dort, wo jetzt Gedenkstein für NSU-Opfer steht. Bin sicher, mein Mann hat sich regelmäßig weitergebildet. Musste auf vielen Veranstaltungen die historischen Verknüpfungen zu weiteren Entwicklungen bearbeiten. Mein Mann hat sich Erkenntnisse über Neofaschismus angeeignet. Neofaschismus ist sicherlich was anderes als Neonazismus. Benutze in dem Zusammenhang den Begriff Neofaschismus, kam sicherlich auch mit Thema Neonazismus in Berührung.
Verteidiger Klemke: Welche Einstellung persönlich haben Sie zur NPD?
A.: Die NPD ist eine noch zugelassene Partei. Habe es mit außerordentlicher persönlicher Sorge gesehen, dass an Straßen Plakate auftauchten. Ich würde sie nicht wählen.
Klemke: Hat sich in Dortmund noch Partei gegründet, die den Namen "Die Rechte" trägt?
A.: Weiß, dass sich die Partei gegründet hat, mehr weiß ich darüber nicht.
Klemke: Wie weit war das Fenster von der Gruppe entfernt?
A.: Kann ich nicht schätzen, Sie müssen einen Dreisatz rechnen. Tue mich mit Höhenschätzungen schwer, gebe jetzt keine Schätzungen ab.
Klemke: Konnten Sie von da aus Einzelheiten der Gesichter ohne Fernglas erkennen?
A.: Konnte erkennen, dass mich Frau Zschäpe direkt angeguckt hat. Waren keine verschwommenen Gesichter, nicht jede Pore.
Klemke: Warum nehmen sie dann ein Fernglas?
Rechtsanwalt Bliwier (Nebenklage-Anwalt): Beanstande Vorhalt.
Richter Götzl: Frage zulässig.
A.. Auf Nachfrage RA Klemke: Habe eine Gruppe gesehen von Leuten, die schwarz gekleidet waren. Habe das Fernglas genommen und sie beobachtet.
Klemke: Haben Sie öfter mit Punks zu tun?
A.: Gebe denen öfter Geld und sehe die, wenn sie in der Stadt stehen. Sieht man in Dortmund oft, haben meistens Hunde dabei. Die Punker haben doch auch manchmal ganz schön wilde und gefärbte Frisuren. War eher Übersprungsituation auf das Erschrecken hin. War mehr Selbstberuhigung. Der Vorsitzende Richter Götzl mahnt sachliche Atmosphäre an und droht, erneut zu unterbrechen ("Dann dauert's heute eben noch länger").
RA Klemke: Warum wollten Sie ihr Gesicht zeigen, wenn Sie die Personen noch gar nicht gesehen haben?
A.: Weil ich Menschen nicht hinter Glasscheiben beobachte.
(Nebenkläger-Anwalt Pinar fragt nach Farbe der Wohnwagen.)
A.: Der große, der Ende März 2006 hinderlich vor Einfahrt stand, war weiß. Der zweite war eher so indifferent cremefarben. Kann Kennzeichen zu kleinerem und älteren Wohnwagen zuordnen: Z (steht für „Zwickauer Land“) und CA (steht für „Calau“/Brandenburg). Weiß nicht mehr genau, ob es dieselben Wohnwagen waren, haben ihren Platz gewechselt.
Richter Götzl: Zeugin bleibt unvereidigt.
(Gunnar Breske, MDR)
Keine weiteren Fragen - Antrag auf Vereidigung der Zeugin durch Nebenkläger-Anwalt Erdal - Götzl lehnt ab - muss Unterbrechen für Beschluss. Zeugin bleibt unvereidigt ... Danke schön - Wiedersehen.
(Holger Schmidt, SWR)
17.10 Uhr. Zeuge Werner I., 55, Polizeipräsidium Nordhessen. Lichtbilder Tatort Yozgat (Internetcafé Kassel). Außen, Innen, Gesamtansicht. Der ermordete Halit Yozgat liegt neben dem Tresen, vom Rettungsdienst anders gelegt. Eine Tasche von Yozgat in einer Telefonkabine, diverse Blutspuren: Tresen, Schreibtisch, an Hocker, Container. Zahlreiche Finger- und DNA-Spuren an Türen, Computer, Telefon, etcetera wurden gesichert.
Rechtsanwalt Klemke (Verteidigung Ralf Wohlleben): Welche Kamera?
Zeuge Werner I.: Nikon.
Klemke: Freihändig?
I.: Ja.
Klemke: Wie groß sind Sie?
I.: 1,89 Meter.
Rechtsanwältin Basay (Nebenklage): Parkplätze draußen?
I.: Soweit ich weiß, ja.
Basay: Parallel zur Straße?
I.: Gefühlt gesagt: ja.
Kurze Vernehmung. Jetzt noch ein Polizeibeamter für heute.
(Gunnar Breske, MDR)
17.10 Uhr. Hinweis der Nebenklage - Familie Yozgat möchte den Saal verlassen.
Richter Götzl: Natürlich, dann warten wir kurz.
Aussage des Zeugen, Polizeibeamter Werner I. beginnt: Erklärt anhand der Tatortfotos Räumlichkeit - es zieht sich etwas … Verteidiger Klemke fragt nach dem Fotoapparat, ob Stativ verwendet wurde und wie groß Herr I. ist - rätselhaft. Zeuge entlassen.
(Holger Schmidt, SWR)
17.41 Uhr. Zeuge ?? B., 47, Polizeipräsidium Nordhessen: Wir hatten ermittelt, sechs Zeugen zur Tat im Café. Zweimal Internet an Computern, zweimal in Telefonkabinen. Stellte sich raus: auch Andreas T. (Ex-Verfassungsschützer, Hessen) war am Computer. Alle Geräte an eine Uhrzeit gekoppelt, so dass man es gut eingrenzen konnte. Hamadi S. von 16.54 bis 17.03 telefoniert. Als er kam, alles OK, 17.03 Uhr war Tat schon begangen. Alles andere sind Spekulationen. Geräusche, die die Beteiligten gehört haben, spekulativ. Herr T. hat ausgesagt, als er das Café verlassen hat, konnte er Halit Yozgat nicht finden, ist raus und nochmal zurück und hat dort 50 Cent hingelegt. Haben wir nachvollzogen, hätte eine Minute gedauert, wären nur 40 Sekunden geblieben bis Hamadi S. wieder raus kam.
Richter Götzl: Ermittlungen T.?
Zeuge B.: Internetrechner ausgewertet und über ilove.de nickname und eine Telefonnummer, über die er bezahlt hat, einen Verdacht gehabt. Einige Tage TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) und dann festgenommen. Bis dahin wussten wir noch gar nicht, was er von Beruf ist, warum er sich nicht gemeldet hat: zum einen, weil er sich da nicht hat aufhalten dürfen, und zum anderen, weil er nicht wollte, dass seine Frau davon erfährt, dass er da chattet. Donnerstag nach Hause, Freitag frei und Familienfeier und überhaupt erst am Sonntag davon erfahren und am Montag über seine Stempeluhr geschaut, so dass er für sich der Meinung war, einen Tag zuvor dort gewesen zu sein. Nichts gehört, nichts gesehen, bei seiner Version geblieben. Also wieder entlassen, weil kein dringender Tatverdacht.
Richter Götzl: Wohnungsdurchsuchung?
Zeuge B.: Wohnung im Elternhaus: Schusswaffen und Munition, hatte aber Waffenbesitzkarte. Schriftstücke, mechanische Schreibmaschine, Bücher aus dem dritten Reich abgeschrieben, Unterschrift Hitlers nachgeahmt, Stempel gemacht und draufgedrückt. Alibiüberprüfungen: Während der ersten Tat: Geldautomat Kassel, während der sechsten Tat: Fortbildungsveranstaltung Verfassungsschutz Köln. Andere Taten: Dienst. Gab keine Zeiterfassung, also keine ganz sicheren Alibis.
Götzl: Haben Sie das Verhalten T.s rekonstruiert?
Zeuge B.: Ja. 1'05' Minuten als nötige Zeit ermittelt. Bleiben nur 41 Sekunden bis S. fertig telefoniert hat.
Rechtsanwalt Bliwier (Nebenklage-Anwalt): Wie zu der Einschätzung gekommen: "Organisation oder Einzeltäter, kleiner geschlossener Personenkreis mit rechtsradikalen Motiven"?
Zeuge erläutert Hypothese, Ergebnis der Gespräche der Mordkommissionen.
RA Bliwier: Andreas T.-These?
B.: T. könnte von VM (Verbindungs-Mann des Verfassungsschutzes) missbraucht werden sollen.
Götzl: Kannten Sie VM?
B.: Nur der Zahl und der Aufgabe nach. Nicht die Personalien.
Götzl: Warum?
B.: Weil der Schutz als wichtiger angesehen wurde.
Götzl: Schreiben von Herrn B. unterzeichnet, richtig?
B.: Ja.
Götzl: Gefühlslage?
B.: Leben ist nun mal das höchste Rechtsgut, für uns war das problematisch, wir konnten zwar Fragenkatalog stellen, hätten auch mit den Personen sprechen können, aber nicht als Polizisten.
Rechtsanwalt Schön (Nebenklage-Anwalt): Haben Sie mit den Quellen gesprochen?
B.: Nein.
Götzl: Warum?
B.: Wir müssen uns doch als Polizisten zu erkennen geben.
Hinweis
Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.