99. Verhandlungstag, 27.3.2014 Von "Otto" hinters Licht geführt?
Im NSU-Prozess hat es bei der Zeugin Juliane W. erneut teils schwer nachvollziehbare Erinnerungslücken gegeben. Auch ein ehemaliger Verfassungsschützer sorgte im Gerichtssaal für Irritationen.
27. März
Donnerstag, 27. März 2014
Es gibt sie immer wieder: diese Aussagen im NSU-Prozess, die einen verwundert bis ratlos zurück lassen. Am 99. Verhandlungstag war wieder so ein Moment. Auf dem Zeugenstuhl saß Norbert W., 67 Jahre alt, ehemaliger Verfassungsschützer und V-Mann-Führer von "Otto". Unter diesem Decknamen führte das Thüringische Landesamt für Verfassungsschutz die Neonazi-Größe Tino Brandt ab 1994. Rund sieben Jahre später wurde Brandt enttarnt und als V-Mann abgeschaltet. Sehr kooperativ und die wichtigste Quelle in Sachen Rechtsextremismus sei "Otto" gewesen, schilderte sein damaliger V-Mann-Führer nun im Gerichtssaal. Der Informant habe ehrlich und wahrheitsgemäß berichtet und den Verfassungsschutz "nicht hinters Licht" geführt.
Ein ehrlicher V-Mann?
Dass der Ex-Verfassungsschützer diese Aussage heute noch so trifft, muss verwundern. Zentrale Aufgabe von "Otto" war Informationen über den Aufenthaltsort der untergetauchten Neonazis Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zu beschaffen. Tino Brandt allerdings konnte nicht liefern, erfuhr angeblich nichts. Dabei war er Ende der 90er Jahre ganz dicht dran an denen, die heute als NSU-Unterstützer feststehen, darunter der Angeklagte Ralf Wohlleben. Der Zeuge André K. erklärte im NSU-Prozess Tino Brandt habe Geld für das abgetauchte Terrortrio gespendet. Möglicherweise ging also ein Teil des Informantenlohns für den V-Mann an die polizeilich gesuchten Neonazis. Umgerechnet rund 100.000 Euro soll Tino Brandt vom Verfassungsschutz erhalten haben. Auch ihn will das Gericht in München noch als Zeugen hören. Sein V-Mann-Führer Norbert W. und ein weiterer Ex-Verfassungsschützer sollen an einem weiteren Verhandlungstag ein zweites Mal vernommen werden.
Wieder Erinnerungslücken bei Juliane W.
Vor den beiden ehemaligen Verfassungsschützern wurde erneut Juliane W., die ehemalige Lebensgefährtin von Ralf Wohlleben vom Gericht befragt. Sie litt dabei wie schon am ersten Tag ihrer Vernehmung unter breiter, teils schwer nachvollziehbarer Amnesie - immer dann wenn es um wichtige Detailfragen ging. Auch Juliane W. bekam vom Verfassungsschutz Geld. Wie diese Kontakte abliefen, will sie aber quasi komplett vergessen haben. Ihre Aussagen wirkten teils einstudiert. Vielen Prozessbeteiligten drängte sich der Eindruck auf belogen zu werden. Eine Opferanwältin drohte ein Ordnungsgeld wegen Aussageverweigerung zu beantragen, verzichtete schließlich doch darauf. Die Erfolgsaussichten waren der Anwältin dann wohl doch zu begrenzt. Bockigen Zeugen nachzuweisen, dass sie sich erinnern können müssten ist schwierig. So wurde auch Juliane W. - Verfassungsschutz-Tarnname "Jule" - schließlich als Zeugin entlassen. Sie reiht sich ein bei den Zeugen, die den Eindruck hinterlassen haben, zur Wahrheitsfindung nicht beitragen zu wollen.