NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 100. Verhandlungstag, 01.04.2014

Zunächst berichtet ein ehemaliger V-Mann-Führer über seine Quelle, den Neonazi Tino Brandt. Danach wird ein Zeuge aus der rechten Szene angehört, der aber so wenig aussagefreudig ist, dass ihm der Richter mit Ordnungsmitteln droht.

Von: Paul-Elmar Jöris, Holger Schmidt und Thies Marsen

Stand: 01.04.2014 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Am Vormittag dieses Prozesstages wird der ehemalige V-Mann-Führer Reiner B. angehört - eine seiner Quellen in der rechten Szene war der Neonazi Tino Brandt, ein führender Kopf des "Thüringer Heimatschutzes". B. berichtet über seine Zusammenarbeit mit Brandt, z. B. über einen gescheiterten Versuch, das Trio nach seinem Untertauchen mit Hilfe von Brandt aufzuspüren. Am Nachmittag wird dann Thomas R. vernommen - er hatte dem Trio mehrere Wochen lang Unterschlupf in seiner Wohnung in Chemnitz gewährt. Zur Sprache kommt auch R.s Vergangenheit in der rechten Szene von Chemnitz und seine Verbindungen zur Organisation "Blood & Honour". Aufgrund seines nicht sehr aussagefreudigen Verhaltens und vieler Erinnerungslücken ermahnt Götzl den Zeugen wiederholt und droht sogar mit Ordnungsgeld oder Haft.

Zeugen:
Reiner B. (Führung des V-Manns Tino Brandt)
Thomas R. (Unterstützung des Untertauchens von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt im Jahr 1998)

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Thies Marsen, BR)
Richter Manfred Götzl betont trocken: "Dann darf ich Sie zum 100. Verhandlungstag begrüßen."

Zeuge Rainer B. (57) - Diplom-Verwaltungswirt - wohnhaft in Bad Bergheim.
Damals LfV (Landesamt für Verfassungsschutz) Thüringen, beauftragt mit der Führung von V-Mann Tino Brandt
Götzl: Wie kam es zu den Kontakten mit Tino Brandt, insbesondere 1998, wie weit waren Sie damit befasst, welche Informationen haben Sie erhalten?
B: Ich habe die Quelle T. B. etwa 1994 als V-Mann-Führer übernommen mit Kollege F. zusammen, der war dienstrangmäßig über mir, aber älter, deshalb hab' ich die Quelle zu 90 Prozent geführt. Allerdings meine einzige Quelle im Bereich Rechtsextremismus, weil eigentlich mein Thema Linksextremismus war. Als die drei verschwunden waren, haben wir mit der Quelle Brandt versucht, die Spur aufzunehmen. Brandt hat sein KfZ zur Verfügung gestellt, und das wurde mit Technik ausgestattet und T. B. sollte dann das Auto André K. überlassen, mit der Hoffnung, dass das dann zu den Dreien führt, Ergebnis ist bekannt, K. hat uns nicht zu den Dreien geführt.
G: Wie sah die Struktur des Verfassungsschutz damals aus?
B: Ich gehörte zu Referat 21, zuständig für die Führung von linken Quellen, das war während des Aufbaus des Amtes, da hat man noch nicht so unterschieden, deshalb habe ich eine Quelle Rechtsextremismus übernommen. Meines Wissens habe ich die Quelle Brandt dann im Jahr 1998 abgegeben, aber das kann ich nicht abschätzen, ich vermute Sommer oder Herbst, hatte auch keine Gelegenheit Akten einzusehen. Ich wurde dann 2000 oder 2001 nochmal mit der Quelle Brandt betraut, indem ich sie nämlich abschalten sollte.
G: Warum abgeschaltet?
B: Kann ich nur mutmaßen, war aber der Wunsch der Leitung, es gab offenbar ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen W. (ehemals V-Mann-Führer Brandt) und Roewer (Präsident LfV). Ich hatte den Auftrag und hab die Quelle dann abgeschaltet. Bei dem Auftrag wurde mir angedeutet, dass Roewer vermutet, dass W. nicht loyal ist. Es war auch nicht seine Art, Dinge näher auszuführen.
G: Wie war der Umgang mit Tino Brandt?
B: In der Regel einmal die Woche getroffen, anlassbezogen auch öfter. Getroffen meist Donnerstag nach der Arbeit. Die Quelle arbeitete damals die meiste Zeit in Coburg bei einem rechtsextremen Verlag, haben uns auf Parkplätzen, in Hotels, manchmal auch auf halbem Weg nach Thüringen getroffen, war eine recht junge Quelle, so um die 20, und demgemäß in seinen politischen Ansichten sehr gefestigt, aber noch nicht in seiner Persönlichkeit. Überzeugter Neonazi - und er dachte wohl auch, er könne mit uns spielen. Er hatte sich ja am Anfang in der Szene offenbart, allerdings gegenüber einer Quelle, die dann Alarm geschlagen hat. Wir haben erst mal abgewartet und festgestellt, dass er sich offenbar nicht der ganzen Szene offenbart hat, sondern nur der anderen Quelle gegenüber. Wir waren immer misstrauisch, immer nur kurzfristig mit der Quelle Treffpunkte ausgemacht, Treffpunkte zeitweise auch observiert, wir haben geschaut, dass da nichts anbrennt.
G: Wie hat er sich genau offenbart?
B: Er hat offenbar gesagt, dass er angesprochen wurde von uns. Ich darf allerdings über diese Quelle nicht reden.
B: Der hat in seinem ganzen Leben nichts anderes gemacht, nur Kontakte im rechtsextremen Milieu, ich muss sagen: sehr hochrangige Kontakte, das unterstreicht ja auch seine Arbeit für "Nation und Europa", sicher wird in so einem Verlag nicht jeder eingestellt, das zeigt, dass er überzeugter Neonazi ist. Er hat versucht, mit uns zu spielen, aber wir haben ihn verführt mit Geld, wir haben ihn sehr gut für die Infos [bezahlt].
Normal bei einer Quelle, dass er erst einmal einen Verräterkomplex hat, den haben wir ihm versüßt, indem wir ihn mit Geld gelockt haben und dann aber auch die Zügel angezogen haben: Wenn er uns nichts liefert, wird der Geldhahn zugedreht.
Dieses Spiel habern wir gut beherrscht, sodass sich die Zusammenarbeit gut [entwickelte].
Später war das ein Problem, weil er omnipotent war in der Szene, dadurch dass er so gut vernetzt war und weil wir ihn finanziell gut ausgestattet haben, war er derjenige, der den Ton in der Szene angegeben hat - das war uns nicht recht, da sind wir auf die Bremse getreten, Treffen ausgemacht, wenn wir wussten, dass er zu einem wichtigen Treffen (von Neonazis) wollte. Er war 24 Stunden für die Szene erreichbar.
Es ist uns nicht so gelungen, wie wir uns das gerne gewünscht hätten.
Wenn wir Infos von anderen Verfassungsschutzämtern hatten und wir den Eindruck hatten, dass er das auch wissen müsste, haben wir ihn auf den Stuhl gesetzt und unter Druck gesetzt. Wir konnten aber schwer einschätzen, ob er uns was verschweigt oder etwas nur vergessen hatte. Wenn einer 24 Stunden vernetzt ist in der Szene, dann ist es normal, wenn man innerhalb eines Treffens alle Infos abgreifen kann. Aber wir merkten immer wieder, dass er gerade am Anfang versucht hat, Infos zurückzuhalten. Aber das wurde besser, weil er gemerkt hat, dass wir auch andere Infos hatten.
G: Was ist der "Verräterkomplex"?
B: Verräterkomplex ist ganz normal, im Bereich Linksextremismus noch mehr. Die müssen sich dran gewöhnen, dass sie mit dem Staat zusammenarbeiten, den sie eigentlich bekämpfen. Lindern tun das nur die finanziellen Zuwendungen. Konnte ich bei Tino Brandt immer weniger wahrnehmen. Ich habe das nie angesprochen, weil das macht keinen Sinn. Es gab viele Situationen, dass er z. B. völlig unbefangen mit wichtigen Leuten in der Szene telefoniert hat und das Handy laut gestellt hat, so dass ich mithören konnte. Das habe ich in der letzten Zeit vielfach gemacht.
G: Was bekam er und nach welchen Kriterien?
B: Kann keine genauen Summen nennen, aber er war die bestbezahlte Quelle, er war Spitzenverdiener, nur noch eine ähnliche gut bezahlte Quelle, pro Woche zwischen 200 und 400 DM, zwischendurch auch eine Sonderzuwendung. Aber im Verhältnis zu anderen Quellen stimmte die Relation. Wenn es z. B. Hess-Gedenkmärsche gab und wir dicht an ihm dran waren, dann war das so eine Art Motivationsprämie, die ihm in Aussicht gestellt wurde, und die hat er auch bekommen. Wir wollten die Sicherheitsbehörden gut informieren können über geplante Aktionen.
G: Wann wurde bezahlt?
B: Üblicherweise Donnerstag, wenn ich ihn getroffen habe.
G: Wann haben die Namen Zschäpe, Böhnhardt, Mundlos eine Rolle gespielt?
B: Die Namen waren mir sehr lange ein Begriff, den der "THS" war sehr präsent. Brandt war in Saalfeld/Rudolstadt, was etwas weiter weg war von Jena, die Quelle Brandt war überwiegend in diesem Raum aktiv. Infos aus Jena, die haben wir mit aufgenommen, aber es war eigentlich nicht unsere Absicht, die ganze Szene nur mit der Quelle abzudecken, wir wollten gute Quellen im Bereich Gera/Jena bekommen. Nach dem Verschwinden der drei war es doch so, dass wir keine Zugänge hatten im Bereich Jena, deshalb doch auf Brandt zurückgegriffen, was nicht unbedingt gut gehen konnte, weil die Quelle Brandt eigentlich nichts in Jena zu tun hatte, sondern nur einen Draht hatte, am besten zu André K., wir hatten die Hoffnung, dass K. uns mit dem Fahrzeug mit Spurfolgesystem (Peilsender) zu den Dreien führt.
Es ist uns gelungen bzw. Tino Brandt gelungen, dem K. das Auto unterzujubeln, aber ich meine mich zu erinnern, dass sich K. trotzdem verfolgt fühlte, obwohl das nicht logisch war, vielleicht sind die wichtigsten in der Szene aber auch einfach immer davon ausgegangen, dass sie verfolgt werden.
G: In welchem Zusammenhang sind Sie auf Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gestoßen?
B: Seit 1994 regelmäßig Treffen des "THS" in der Kneipe "Am Weinberg" in Saalfeld, da ist die komplette Szene aufgeschlagen bis zu 70, 80, 90 Leute. Da tauchten diese Namen auf, auch bei Demos. Es war uns bewusst, dass die wichtig sind, zusammen mit K. und Wohlleben. Die waren jedem, der sich in Thüringen mit Rechtsextremismus befasst hat, geläufig.
G: Haben Sie damals auch über Puppentorso, Stadionbombe usw. Erkenntnisse und Infos gewonnen?
B: Wir haben sicherlich die Quellen abgefragt, Konkretes ist da nicht zutage gekommen, aber das hielt ich für normal, das fand schließlich in Jena statt, dass das nicht jeder wusste, war normal, ich kann mir vorstellen, dass die Quelle gesagt hat, ich traue das dem oder dem zu, aber er hat nicht konkret geliefert, da war die Quelle zu weit weg.
G: Ist versucht worden, eine andere Quelle zu bekommen?
B: Es gab immer Bemühungen, Quellen zu aquirieren, aber nachdem ein Riss durch das Amt geht, ist die Abteilung Forschung und Werbung eingedampft worden. Wir haben das schon beklagt, man kann eine Quelle nur beurteilen, wenn man weitere Quellen hat. Ein Rest Zweifel blieb immer.
B: Verschiedene Ansätze, wir haben ihn schon versucht zu erziehen, uns schriftliche Berichte zu bringen, aber wir haben das aufgegeben. Weil das, was er geliefert hat, nichts war und weil wir schon gemerkt haben, dass das für ihn gefährlich ist. Deshalb nur mündliche Berichte, Treffen mit Diktiergerät.
G: Was können Sie mir zur Einstufung von T. B. sagen?
B: Vermutlich ziemlich hochwertige Stufe, weil im Großen und Ganzen entsprach die Berichterstattung dem, was zu erwarten war.
Einmal da wurde ich von unserem Präsidenten sehr stark angegangen, die Quelle habe gelogen. Ich hatte die Quelle am Donnerstag getroffen und in der Lagebesprechung des Amtes am Freitag wurde erzählt, dass in Gotha am Wochenende etwas Großes geplant sei. Ich habe Brandt konfrontiert, der sagte, "da waren zwei schlecht getarnte Zivilbullen am Mittwochabend beim Treffen und die haben wir ordentlich verarscht."
G: Wie ist von Ihrer Seite die Zuverlässigkeit überprüft worden?
B. Einerseits Observationen, andererseits Berichte von anderen VS-Ämtern, außerdem mit anderen V-Mann-Führern getroffen und abgeglichen. Aber es gab ein Restrisiko.
G: Können Sie uns ein Bild von Tino Brandt geben, wie er sich verhalten hat?
B: Er kam mir immer ein bisschen verschmitzt vor, immer so ein Lächeln, Mischung aus Unsicherheit und geglaubter Überlegenheit, schwierig einzuschätzen. Ich glaube, er hat das ein stückweit genossen, dass er gewusst hat, wie wichtig er für uns war. Er konnte sich anhand unserer Fragen wahrscheinlich schon ein gewisses Bild machen, wo wir nicht so gut drauf sind und wo wir gut drauf sind. Ganz schwierig, ihn zu beschreiben. Manchmal kam er mir auch vor wie ein Kindskopf. Spieltrieb, er wollte immer die neuesten Handys, da kam er mir nicht so reif vor, wie er sich politisch gegeben hat, aber das ist nicht verwunderlich in der Szene.
G: Haben Sie nach der Abschaltung nochmal Kontakt gehabt?
B: Nein.
G: Zu Abschaltung und den Umständen?
B: Hauptgrund war wohl, dass er in der NPD ein wichtiges Amt hatte oder übernehmen wollte und dem Herrn Roewer der Kragen geplatzt ist. Ich habe Abschaltvermerk angefertigt und damit war die Sache für mich erledigt, aber ich war damals schon einige Jahre nur mehr im Bereich Linksextremismus. Er war ein bisschen geschockt, aber letztlich konnte ich ihm sehr gut bedeuten, was dazu führte: weil er sich nicht an Weisungen gehalten hat und zu prominent geworden war.

(Thies Marsen, BR)
11.23 Uhr, Fortsetzung Befragung B.
Anwesend auf der Zuschauertribüne: Der türkische Generalkonsul in München.
Es geht erst um die Fragen, wie Berichte gefertigt und beschriftet werden.
G: Was für spezielle Aufträge haben Sie Tino Brandt gegeben? Was wollten Sie für Infos bekommen?
B: Ständiger Auftrag: Szene abzulichten, wer ist Mitglied, wer nicht? Personenzusammenhänge feststellen. Des Weiteren die ganz normalen Tage in der Szene, Führergeburtstag, Hess-Gedenkmarsch, Sommersonnenwende, das waren Tage, da ging man davon aus, dass die in der Szene von besonderer Relevanz sind. Da sollte er sagen, was an diesen Tagen geplant ist. Kamen auch Nachfragen aus der Auswertung, bestimmte Dinge abzuklären. Es wurden immer mal wieder Lichtbilder vorgelegt der Quelle zur Klärung oder Erkenntnisse, die aus Observationen stammten, um bestimmte Leute zu identifizieren oder Ereignisse zu verifizieren, aber nichts Konkretes mehr in Erinnerung.
G: Ging es auch mal um Pässe für Zschäpe, Böhnhardt, Mundlos?
B: Ich kann da ganz schwer unterscheiden, was ich in der Presse gelesen habe und was ich selbst erlebt habe. Ich kann es nicht ausschließen, ich halte es für möglich.
G: Wir werden Sie nochmal benötigen, nach der Einvernahme von Herrn Brandt.
Unterbrechen die Einvernahme und setzen zu späterem Zeitpunkt fort.

11.50 Uhr.
Beweisantrag RA Gül Pinar (Nebenklage-Anwältin der Angehörigen des ermordeten Süleyman Tasköprü):
Lichtbilder die im Jahre 1997 von Rudolf-Hess-Veranstaltung in Worms gemacht wurden, zu den Akten, diese sollen Tino Brandt vorgelegt werden. Darauf sind auch Böhnhardt und Mundlos und Zschäpe. Fotos beweisen, dass Zschäpe bereits 1997 fest in der rechtsextremen Szene integriert war. Zschäpe hat durch ihre Teilnahme für die Ideologie nach außen geworben und hatte schon 1997 herausragende Rolle, wobei sie sich in der Veranstaltung alleine bewegte und Aufgaben übernahm.
(ACHTUNG: Sie hat das Jahr verwechselt - es war 1996)

Mittagspause.

(Thies Marsen, BR)
Nach der Mittagspause, ab 13.26 Uhr.
Zeuge Thomas R. (Unterstützung des Untertauchens von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Jahr 1998)
44 Jahre, gelernter Ausbaumaurer - macht "beruflich nix".
Glatze, Vollbart, Brille, Latzhose und dasselbe blauweiß-gestreifte Sweatshirt, wie es Zschäpe heute auch trägt. Stiernacken.

(Paul-Elmar Jöris, WDR)
Richter Manfred Götzl: Kannten Sie Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos?
R: Ich habe die irgendwann mal kennengelernt. Wann weiß ich nicht. Die sind irgendwann einmal zu mir gekommen ... und dann weg. Was soll ich da erzählen?
G: Mit Gegenfragen kommen Sie hier nicht weiter.
R: Die haben geklingelt und gefragt, ob sie bei mir schlafen können. Das war's.
G: Wann war das?
R: 96 oder 98 oder so, nach der Bundeswehrzeit. (95/96)
G: Wo sind Sie aufgewachsen?
R: Ich bin normal aufgewachsen.
G: In Chemnitz?
R: In Karl-Marx-Stadt (Name von Chemnitz in der DDR).
G: War das der erste Kontakt mit den Dreien?
R: Ich gehe davon aus, das war zum ersten Mal.
G: Erzählen Sie mir, wie die Situation war.
R: Hat geklingelt, waren drei Leute, die wollten bei mir schlafen. Habe ich die Tür aufgemacht. Hat immer wieder einmal jemand bei mir geschlafen.
G: Wer hat bei Ihnen geschlafen?
R: Weeß nicht. Hat immer wieder einer geklingelt und rein.
G: 98, 99 - wer hat in diesem Zeitraum bei Ihnen geschlafen?
R: Am Wochenende, wenn Party war oder so.
G: Wie war das mit den Dreien?
R: Geklingelt, Tür auf, geschlafen, was soll ich dazu noch sagen?
G: Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das etwas ausführlicher darstellen.
R: Weeß nicht, was ich sagen soll. Weiß ja auch nicht, wie das ist, wenn bei Ihnen Besuch ist.
G: Wie lange waren die bei Ihnen?
R: Ein oder zwei Wochen, weiß nicht mehr, waren dann weg.
G: Später Kontakt?
R: Ja. Getroffen beim Fahrradfahren, Computerspiele ausgetauscht.
G: Wo?
R: In Chemnitz oder so, Zwickau. Stadtpark oder Kaufhalle oder so, wo man sich halt trifft.
G: Wo trifft man sich?
R: Stadtpark, Kaufhalle.
G: Wo in Zwickau?
R: In der Wohnung. Wo die drei waren. Ich hatte Computerspiele und DVDs. Wenn ich was Neues hatte, habe ich getauscht.
G: Was waren die gemeinsamen Interessen?
R: Habe ich doch gesagt: Spiele, DVD und Fahrradfahren.
G: Gemeinsame Interessen bezieht sich auf alle drei?
R: Ja. Kumpelhaft. Wenn ich die nicht hätte leiden können, hätte ich keinen weiteren Kontakt gehabt. Ist auch logisch.
G: Engeren Kontakt mit einem der drei?
R: Nö, alle gleich behandelt.
G: Wie sind die mit Ihnen umgegangen?
R: Müssen Sie die fragen, weiß nicht, was die von mir denken (zwei der Drei sind tot).

(Thies Marsen, BR)
G: Wie war es mit Uwe Mundlos?
R: Unproblematisch. Kumpelhaft, kann ich nichts weiter dazu sagen.
Zeuge ist extrem pampig, Götzl extrem nachsichtig.

(Holger Schmidt, SWR)

13.55 Uhr.
G: Was haben Sie so gemacht?
R: Fahrradtouren!
G: Wohin?
R: Stadtpark zum Beispiel. Waren aber nur die zwei Kerle dabei.
G: Wer?
R: Die zwei J-U-N-G-E-N.
G: Wie oft?
R: Immer, wenn wir Spiele getauscht haben. Ein- bis zweimal im Monat.
G: Was für Spiele?
R: Strategie und Adventure. Und Spielfilme. Aber was damals auf dem Markt war, weiß ich nicht mehr.
G: Mit wem haben Sie die Spiele und Filme getauscht?
R: Wenn es beim Fahrradfahren war, dann mit den beiden, und wenn in der Wohnung, dann mit allen Dreien.
G: Fahrradtour - wie lange?
R: Stunde oder so.

(Thies Marsen, BR)
(Will drei-, viermal in der Wohnung in Zwickau gewesen sein.)
G: Wann das erste Mal?
R: 99/2000, ich weiß das nicht mehr genau.
G: Hatten Sie eine Telefonnummer?
R: Hatte ich, ja.
G: Wer hat sich gemeldet?
R: Mundlos, Böhnhardt oder (bleibt stehen).
G: Was wussten Sie über den Aufenthalt?
R: Nichts.
G: Haben Sie sie mal gefragt?
R: Nein, wieso?
G: Haben Sie mal gefragt wie es Ihnen geht?
R: Wenn ich die getroffen habe, hab ich doch gesehen, wie es ihnen geht. (Weiß noch, dass er selbst 149 DM für sein Rad gezahlt hat, aber will keine Ahnung haben, was für Räder Mundlos und Bönhardt hatten.)
G: Über was haben sie gesprochen bei den Fahrradtouren?
R: Über Computerspiele und DVDs und wann man sich das nächste Mal trifft, die ganz normalen Dinge im Alltag.
G: Wie lange waren die in Ihrer Wohnung?
R: Ein, zwei Wochen.
G: Haben Sie nicht gefragt, warum sie bei Ihnen übernachtet haben?
R: Hab' ich nicht gefragt, das war damals gang und gäbe.
Ich hatte zwei Zimmer-Wohnung. Die Gäste waren vorne in der Hauptstube. Das war immer mal so.
G: Was haben Sie von den Dreien gehört?
R: Die wollten bei mir schlafen, dann war das ok. Über was soll ich mich sonst noch unterhalten haben? Ganz normal, "da hat irgendwer angerufen und gesagt, ich soll mal den Fernseher anmachen" (angeblich war der Anrufer Thomas S.). Und hat gesagt, "du weißt schon, wen du da hast." Da kam im Fernsehen, dass da drei gesucht werden.
(Götzl muss wirklich alles, alles aus der Nase ziehen, benennt das auch, lässt es aber geschehen.)
R: "Kripo live" (MDR-Sendung) angeschaut, da wurden drei gesucht, die untergetaucht sind.
G: Haben die drei die Sendung mit angesehen?
R: Ich gehe mal davon aus, ich hatte ja einen eigenen Fernseher.
G: Haben Sie mit ihnen darüber geredet?
R: Deswegen tue ich mich doch nicht mehr groß unterhalten, deswegen.
G: Ist das nicht ungewöhnlich?
R: Sicher ist das ungewöhnlich, aber was soll ich machen? Das war halt so und dann ist es so gewesen.
G: Wusste Thomas S., dass die bei Ihnen waren?
R: Ich geh mal davon aus, er hat die auch zu mir gebracht. (Aufstöhnen im Publikum)
G: Was hat Thomas S. erklärt, dass die bei Ihnen übernachten sollen?
R: Der wusste, dass öfter bei mir welche übernachten, und hat mich gefragt, ob ich die drei aufnehmen kann und ich hab gesagt ja. (Er will aber erst drei Tage später erfahren haben warum - durch die Fernsehsendung.)
G: War S. ein Freund von Ihnen?
R: Ja.
G: Woher gekannt?
R: Vom Fußball, zu DDR-Zeiten schon.
G: Hat S. die drei besucht?
R: Nein.
G: Was haben Sie gemacht?
R: Essen gemacht, Fernsehen geguckt, weiß nicht, was man da noch machen soll.
G: Wie kam es zu Kontakten in die Zwickauer Wohnung?
R: Kontakt ist nie abgebrochen. Ich sollte dann eines Tages nach Zwickau kommen und mich nicht mehr mit ihnen in Chemnitz treffen.
G: Haben Sie die Adresse gehabt?
R: Nein, ich wurde am Bahnhof abgeholt.
G: War das immer dieselbe Wohnung, in der Sie waren?
R: Ja.
G: Wer hat Sie abgeholt?
R: Mundlos oder Böhnhardt.
G: Beschreiben Sie die Wohnung.
R: Ich war in der Stube und mal auf der Toilette und in der Küche, mehr habe ich da nicht gesehen.
(Schüttelt manchmal wild den Kopf.)
G: Wann waren Sie in der Wohnung?
R: Gegen 2000, dann ist der Kontakt abgebrochen.
G: Wann war der letzte Kontakt?
R: Kann ich nicht sagen, kann auch 2001 gewesen sein.
G: Besonderer Vorfall (dass es keinen Kontakt mehr gab)?
R: Nö. Hatte auch beruflich mehr zu tun, war auf Montage.
G: Haben Sie nochmal versucht, die drei zu erreichen?
R: Nö.
G: Wussten Sie, warum die drei gesucht wurden?
R: Aus dem Fernsehen. Dass die halt einen Koffer wo abgestellt hatten und das 'ne Garage gefunden wurde.
G: Darüber mal gesprochen?
R: Kann sein.
G. Was haben sie zu den Vorwürfen gesagt?
R: Na dass sie untertauchen und ne Wohnung suchten.
G: Wie sind die miteinander umgegangen?
R: Freundschaftlich.
G: Alle miteinander gleich umgegangen?
R: Ja.
15 Minuten Pause.

(Thies Marsen, BR)
14:37 Uhr - Fortsetzung Befragung Thomas R.
G: Was hatten die drei damals dabei?
R: Weiß ich nicht mehr.
G: Haben Sie etwas zur Verfügung gestellt?
R: Kann möglich sein, mal eine Jogginghose oder so was.
G: Hatten die einen Computer dabei?
R: Die? Nee!
G: Hatten die drei Waffen dabei?
R: Nee.
G: Waren Waffen Thema?
R: Nee. Die haben halt sachte gemacht, dass sie nicht überall rumlaufen können, die sind bestimmt nicht zu dritt aus meiner Wohnung raus und dann durch Chemnitz gelaufen.
G: Ich dachte, sie waren mal einkaufen zusammen?
R: War mal mit einem unterwegs.
G: Auch mit Zschäpe?
R: Weiß ich nicht, kann möglich sein.
G: Gab es denn Gespräche mit den Dreien oder mit einem der Dreien über polizeiliche Fahndung, über ihr Verhalten, wie Sie sich verhalten sollen?
R: Ich habe mit niemandem drüber gesprochen.
G: Haben Sie mal dran gedacht, sich an die Polizei zu wenden?
R: Nee.
G: Warum nicht?
R: Nee.
G: Das ist keine Antwort auf meine Frage.
R: Was soll ich dazu sagen?
G: Sind Sie aufgefordert worden, mit niemandem darüber zu sprechen?
R: Weiß ich nicht, hab ich von mir aus gemacht. Ist ja dann logisch, dass ich mit niemandem quatsch'.
G: Kennen Sie André E. (den Angeklagten)?
R: Ja, von Veranstaltungen und Partys.
G: Wie gut kennen Sie ihn?
R: Normal. Nicht so gut. Weiß nicht wie lange.
G: Kannten Sie ihn damals schon, als die bei ihm gewohnt haben?
R: antwortet schnell: Nein.

G: Woher wissen Sie das so genau?
R: Das muss so 2004 gewesen sein.
G: Was für Veranstaltungen?
R: Sportliches, Partys und Konzerte. Was soll ich da Näheres sagen? Vielleicht beim Fußballturnier oder beim Volleyballturnier oder so was.
G: Was sagen Ihnen Begriffe wie "Blood & Honour"?
R. Ja. Das ist eine verbotene Organisation. Was soll ich dazu sagen, eine nationale, das wird wohl ziemlich jeder wissen, oder?
G: Die "88er" - was sagt Ihnen das?
R: Dass das eine Zahl ist, die mit irgendwas in Zusammenhang gebracht wird. (Stöhnen im Publikum)
G: Was?
R: Muss ich doch hier jetzt nicht sagen.
G: Doch. Ich muss bei Ihnen ja alles nachfragen.
R: Tut mir leid. (schweigt aber weiter)
- langes, sehr langes Schweigen -
G: Wofür steht die Zahl?
R: Ich weiß es nicht.
G: Beschreiben Sie mir mal die "88er" näher.
R: Ganz normale Leute, wir haben Konzerte, Partys und so gemacht.
G: Sie beziehen sich also mit ein?
R. Damals ja.
G: Welche Zeit meinen Sie?
R: 96 - 2000.
G: Haben die "88er" etwas mit "Blood & Honour" zu tun?
R: Eigentlich nicht.
G: Hatten Sie etwas mit "B & H" zu tun?
R: Ich hab' damals bissel was mitgemacht, ja.
G: Was?
R: Konzerte organisiert.
G: Welche Konzerte waren das?
R: Verschieden, deutsche und internationale Gruppen in Deutschland.
G: Was haben Sie gemacht?
R: Mal Saalschutz, mal jemanden abholen.
G: Welche Leute gehörten dazu?
R: Also ich bin da zu Veranstaltungen hin und habe da was gemacht, das war's.
G: Das war doch nicht im luftleeren Raum.
R: Das will ich nicht sagen.
G: Das müssen Sie schon sagen. Bitteschön.
R: Das will ich aber nicht.
G: Dann müssen Sie damit rechnen, dass wir gegen sie Ordnungsmittel einlegen.
R: Ja.
G: Machen wir mal 5 Minuten Pause, dann können Sie sich das überlegen. Ordnungsgeld oder Haft - Lassen Sie sich das mal durch den Kopf gehen.

Fortsetzung 15.10 Uhr.
G: Ist das nach wie vor die Situation, dass Sie nichts sagen?
R: 2006 Hausdurchsuchung bei mir und das Ermittlungsverfahren und das läuft noch, meines Erachtens. Das war in Dresden, wo die bei mir Hausdurchsuchung gemacht haben.
G: Haben Sie Aktenzeichen?
R: Hab jetzt nichts dabei. Richtet sich gegen mich wegen "Blood & Honour"
Nochmal Pause - bis 15.25 Uhr - um abzuklären, ob das Verfahren noch läuft.

(Paul-Elmar Jöris, WDR)
15.37 Uhr.
Verfahren gegen Thomas R. ist bereits eingestellt. Er wird als Zeuge ein weiteres Mal geladen werden.
Ende für heute.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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