106. Verhandlungstag, 15.4.2014 "Ich glaube Ihnen kein Wort!"
Mit diesen Worten endete heute die Befragung des Zeugen Andreas T. durch Ismail Yozgat. Der Vater des mutmaßlichen NSU-Mordopfers Halit Yozgat war wenig überzeugt vom Wahrheitsgehalt der Aussagen des Mannes, der am Tattag am Tatort war.
15. April
Dienstag, 15. April 2014
Der ehemalige hessische Verfassungsschützer Andreas T. war heute zum sechsten Mal vor dem Oberlandesgericht im NSU-Prozess geladen und befragt worden. Und zum sechsten Mal waren viele Prozessbeteiligte vom Wahrheitsgehalt seiner Aussagen nicht überzeugt. Ismail Yozgat ist der Vater von Halit Yozgat, dem vermutlich neunten Mordopfer des NSU. Er hatte seinen Sohn am 6. April 2006 blutüberströmt hinter der Ladentheke des eigenen Internetcafés in Kassel gefunden. Das ist jetzt acht Jahre her. Jedes Mal, wenn der Vater des Ermordeten im Prozess das Wort vom Vorsitzenden Richter erteilt bekommt, kochen seine Emotionen hoch - so, also ob er jenen Tattag erneut durchleiden würde.
T. war nach dem Verbrechen selbst ins Visier der Ermittler geraten. Er galt zunächst als Hauptverdächtiger. Er war verhört, seine Wohnung durchsucht worden. Am Tattag war er selbst in jenem Internetcafé, um auf einer Flirt-Website zu chatten. Rekonstruktionen lassen darauf schließen, dass er sich wahrscheinlich sogar zum Tatzeitpunkt in den Räumlichkeiten aufgehalten haben muss. Doch von all dem erfährt sein Arbeitgeber, der hessische Verfassungsschutz erst Tage später.
Ungereimtheiten
Der Verfassungsschützer will den blutüberströmten Halit Yozgat nicht auf dem Boden liegend gesehen haben. Er habe zwar nach ihm gesucht, um zu bezahlen. Entdeckt haben will er den Schwerstverletzten aber nicht. Er habe zwar 50 Cent auf den weiß-grauen Ladentisch gelegt, die Blutflecke auf der Oberfläche seien ihm aber nicht aufgefallen. Wie kann man jemanden nicht sehen, obwohl man gerade nach ihm sucht? Diese Frage quält den Vater des Opfers bis heute. Ismail Yozgats Stimme bebt, überschlägt sich mehrmals. Er steht immer wieder auf, um die Situation möglichst plastisch nachzustellen. Um den Prozessbeteiligten einen genauen Eindruck über die damaligen Umstände zu vermitteln. Richter Götzl ermahnt ihn mehrmals, sich zu setzen: "Herr Yozgat, ich wäre Ihnen wirklich sehr verbunden, wenn Sie jetzt wieder Platz nehmen würden!"
Richter kritisiert Kriminalbeamten scharf
Wesentlich härter fällt die Kritik des Richters gegenüber einem Beamten des Landeskriminalamts Thüringen. Er war als Zeuge geladen, um über die Funde in einer von Beate Zschäpe angemieteten Garage in Jena zu berichten. 1998 war dort eine Bombenwerkstatt ausgehoben und insgesamt vier Rohrbomben und 1,4 Kilo TNT-Sprengstoff sichergestellt worden. Der LKA-Mitarbeiter ist Experte für die Entschärfung von unkonventionellen Brandvorrichtungen und sollte den Hergang und die Ergebnisse seiner Begutachtung wiedergeben - und zwar möglichst präzise. Gleich zu Beginn der Vernehmung ließ er den Richter wissen, dass er keine Unterlagen mit nach München gebracht hätte. Den eigenen Untersuchungsbericht, den er vor über 15 Jahren verfasst hatte, habe er sich vorher lediglich noch einmal schnell angeschaut - deshalb könne er keine Detailfragen beantworten. Götzl las ihm daher viele Passagen aus dem Bericht vor und erntete als Antwort meist nur ein Nicken.
Nach einer knappen Stunde ist der Richter mit seiner Geduld am Ende. Er weist den Mitarbeiter des LKA Thüringen mit deutlichen Worten darauf hin, dass er als Beamter verpflichtet sei, sich ordentlich auf eine Befragung vorzubereiten: "Das steht so auch im Beamtengesetz. Nur Nicken - das ist zu wenig." Die Entschuldigung des LKA-Mannes fällt recht kleinlaut aus: "Es war ja auch jede Menge Material." Der Erkenntnisgewinn: Die untersuchten Rohrbomben waren nicht funktionstüchtig, weil die Zünder fehlten. Der Beamte schloss daraus, dass die Bombenbauer entweder nicht über die entsprechenden Kenntnisse oder über das notwendige Material verfügten. Doch die Tatsache, dass TNT und Schwarzpulver verwendet worden waren und die gesamte Bauweise der Bombe zeugten von einer bestimmten Absicht und viel Fleiß: "Das mach ich ja nicht aus Jux", so der Beamte.