NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 141. Verhandlungstag, 22.9.2014
Am 141. Verhandlungstag wird Thomas B. befragt. Er gehörte in den 90er Jahren zur kriminellen Jugendclique um Uwe Böhnhardt, bis er nach einem schweren Unfall und Drohungen gegen sein Leben ausstieg.
Zeuge:
Thomas B., Maler (Jugendfreund von Uwe Böhnhardt)
ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal
(Eckhart Querner, BR)
Zeuge Thomas B., 37 Jahre alt., gelernter Maler und Verputzer, zur Zeit in Behandlung in einer Fachklinik.
B: In den 90er Jahren waren wir Clique: haben gemeinsam Straftaten begangen: Einbrüche, Diebstähle. Mit 15 Jahren (1992) hatte ich Autounfall, bin ausgestiegen, seitdem keinen Kontakt zu Uwe Böhnhardt.
Gö: Wer zählte zur Clique?
B: Schulkollegen in Winzerla (er nennt jetzt diverse Spitznamen), gab zweite Clique in Lobeda: mit Uwe Böhnhardt, Enrico T., P. und S. u.a.
Gö: Wann hat sich Schulkollegen-Clique gegründet?
B: Seit der vierten Klasse. Gute Freunde. Immer zusammengehangen. Der Kontakt zu Lobeda-West kam erst nach Grenzöffnung zustande: 1990/91.
Gö: Beispiele von Straftaten, wer war beteiligt?
B: Ingo J., der war schon älter und hatte schon Erfahrungen mit Aufbrüchen. Er hat es mir gezeigt. Uwe Böhnhardt hat auch mehrere Sachen mit J. betrieben. So hab ich Böhnhardt kennengelernt. Auch Autorennen gefahren. Bis zu meinem Unfall. Das war auch so eine Fahrt. Ich hatte damals Schädel-Hirn-Trauma, keine Erinnerungen. Wir waren in Waldstück. Da sollen mehrere Leute gewesen sein. Die einen sagen, ich bin durch die Frontscheibe geflogen. Andere, ich lag neben der Fahrertür. Andere sagen, ich bin gar nicht gefahren.
Gö: Wer hat Ihnen davon berichtet?
B: Meine Familie. Und ein Kripobeamter, der mir geschildert hat, wie es sich zugetragen haben soll. Erinnerung bei mir ist weg.
Gö: Sie können sich nicht erinnern, ob Sie gefahren sind?
Bi: Ja. Mein Vater hatte einen Bekannten, der bei Autorennen dabei war. Der hat auch gesagt, ich sei nicht gefahren. Es gab auch Videokamera, die das Rennen gefilmt hat. Video ist nicht wieder aufgetaucht. Beamter berichtete, ich habe rechts neben der Beifahrertür gelegen.
Gö: Erinnerung, wer dabei war?
B: Ich weiß nicht: Immer eine Clique, ca. 30 Leute.
Gö: Haben Sie mit Freunden darüber gesprochen?
Bi: Ich hab nie wieder Kontakt aufgenommen. Seitdem nie wieder in Jena.
Gö: Warum hat Ihre Familie erzählt, Sie seien gestorben?
B: Es war schwierige Zeit. Ich war weder links noch rechts. Habe oft Prügel bezogen, saß zwischen den Stühlen. Meine Eltern hatten Angst, dass mir was passieren würde.
Gö: Warum suchten Leute nach Ihnen?
Bi: In erster Linie war die Sorge, dass ich zu viel gewusst hätte über die Autoknackerei. Angst, ich würden jemanden belasten, z.B. den S. Der war ein guter Bekannter von Enrico T.
Gö: Hatten Sie mal angekündigt, was zu sagen?
B: Es war damals schwierig. Ich hab viel getrunken. Wurde von Polizei öfter verhört. Deshalb Angst, ich würde der Polizei was erzählen.
Gö: Beispiel für Bedrohung?
B: Die sind mal gekommen mit mehreren Autos und haben die Scheiben des Hauses eingeschlagen, wo wir uns immer getroffen haben. Bin von rechten Gruppen regelrecht gejagt worden (als ich 13 war, Todesangst).
Gö: Können Sie mir Herrn Böhnhardt mal beschreiben?
B: Böhnhardt war ein lustiger Typ. Er wusste genau was er wollte und wie er es kriegt. Er war schnell aggressiv.Wechselte schnell von lustig auf aggressiv. Wo ich ihn richtig gekannt habe, hab ich gemerkt, dass er gefährlich war. Hatte ein Stück weit Angst vor ihm. Habe mich, schon vor dem Unfall, so weit es ging abgesondert von ihm.
Gö: Mehr zu Böhnhardt?
B: Er hatte halt immer so ein Lächeln im Gesicht. Hat Sprüche gerissen. Mehr so ein lockerer Typ.
Gö: Wenn er ärgerlich wurde, wie sah das aus?
B: Hat rumgebrüllt, geschlagen. Meistens wenn es nicht so war, wie er sich das vorgestellt hatte, wenn was nicht so geklappt hat.
Gö: Beispiel vor Augen?
B: Da war z.B. ein Bekannter von uns. Ein Bekannter unserer Clique. Der fuhr einen Scirocco. Böhnhardt fuhr einen Turbodiesel. Wollte Autos tauschen. Dann hat Bekannter gemerkt, dass er ein gestohlenes Auto eingetauscht hatte. Zoff, Uwe ist da ausgeflippt.
Gö: Haben Sie das aus Erzählungen?
B: Beim Tausch war ich dabei, und später auch.
Gö: Böhnhardt wusste, was er wollte, haben Sie vorhin erzählt. Können Sie das anschaulicher darstellen?
B: Böhnhardt hat nichts gemacht, was er nicht durchdacht und geplant hatte.
Gö: Auf welche Situation bezieht sich das?
B: Wenn ich z.B. nachts nach Lobeda bin und hab ein Auto gesehen, was mir gefiel, hab ich mir das geholt. Uwe Böhnhardt hat mehrmals geguckt, wann das beste Zeitfenster zum Diebstahl wäre.
Gö: Inwiefern war B. gefährlich?
B: Wenn er sauer wurde! Mir hat er Angst gemacht, wenn er so drauf war.
Gö: Wieviel Zeit haben Sie miteinander verbracht?
B: Ein Jahr ungefähr. Mit Unterbrechungen.
Gö: Wie oft haben Sie ihn da gesehen?
Bi: Mal fünf Tage die Woche, mal zwei Wochen nicht, manchmal war er jeden Tag da.
Gö: Haben Sie mit B. gemeinsam Straftaten begangen?
B: Das hab ich damals (bei der Polizei) schon ausgesagt, dass wir gemeinsam Autos geknackt haben.
Gö: Wie oft?
B: Kann ich jetzt nicht mehr sagen. Der Ingo war auch ab und zu dabei. Das war unterschiedlich.
Gö: Sonstige, andere, weitere Straftaten, gemeinsam mit Böhnhardt?
B: Mit Herrn Böhnhardt nicht.
Gö: Zitiert aus Akte: In der Nacht vom 12. auf den 13. 9.1992 hebelten der Angeklagte (Böhnhardt) und der gesondert Verfolgte B. (der aktuelle Zeuge) Fenster eines Abholmarktes auf und entwendeten Spielgeräte und Genussmittel.
B: Da war ich nicht dabei, Böhnhardt aber auch nicht. Ich dachte das wären andere gewesen.
Gö: Kleidung des Böhnhardt?
B: Springerstiefel, Glatze rasiert (in der Mitte meistens noch was stehen gelassen), Bomberjacke, schwarzes T-Shirt. Ich kenn ihn nur so.
Gö: Clique Winzerla: Die einzelnen Personen untereinander. Gab's da einen Anführer?
B: Wir waren alles Schulkollegen. Wohnten in Neubaugebiet. Haben an Mopeds rumgebastelt. Manchmal kam die Polizei, die dachten: ich wär der Anführer.
Gö: Clique Lobeda: Wie sah diese Clique aus? Welche Rolle hatte Böhnhardt? Gab es Anführer?
B: Kann ich wenig sagen. Entweder wir waren in Winzerla oder in Lobeda. Wer da ein Anführer gewesen wäre, kann ich nicht sagen. Auch Böhnhardt hing genauso rum wie wir.
Gö: Was können Sie zu Herrn T. (Enrico T.) berichten?
B: Rein zufällig mal in Lobeda wieder getroffen. War mal mit ihm in seinem Gartenhaus. Eher so flüchtige Sachen, nicht so speziell wie mit dem Ingo oder dem Uwe.
Gö: Wie standen Böhnhardt und T. zueinander?
B: Die müssen schon engeren Kontakt zueinander gehabt haben. Wenn man sich in Lobeda getroffen hat, hat T. Kontakt zu Böhnhardt gehabt.
Gö: Was haben Sie mit T. unternommen?
B: Ich hab nicht viel Kontakt zu ihm gesucht. Er hat nicht viel gesprochen. Seine ganze Art war so schleimig, über nett und über freundlich. Von der Art her.
Gö: Haben Waffen in diesem Kreis eine Rolle gespielt?
B: Damals nicht. Weder bei uns in Winzerla noch in Lobeda.
Gö: Damals? - Wissen Sie was über andere Zeiten?
B: Es gab da mal einen Fall in einem Haus an der Saale. Da lagen Waffen auf dem Tisch. Hab ich bei der Polizei in Jena angegeben.
Gö: Was waren das für Waffen?
B: Weiß ich nicht mehr.
Gö: Versuchen Sie es mal so etwa zu beschreiben.
B: Ich denke, da lagen Revolver. Auf dem Tisch lag kein ganzes Arsenal. Zwei oder drei Waffen. Revolver oder Pistolen.
Gö: Haben Sie sich mit T. unterhalten, wofür er sie braucht, woher er sie hat?
B: Hat mich damals nicht interessiert.
Gö: Wann war das gewesen?
B: Vor meinem Unfall überhaupt. 1990/91.
Gö: Wann war Unfall?
Bi: 18. Mai 1992 Ich bin danach 15 geworden.
Gö: War das das einzige Mal, dass sie bei einem aus der Clique Waffen gesehen haben?
B: Ja.
Gö: Wurde über Waffen gesprochen?
B: Nie.
Gö: Hatten Sie damals ein Gefühl für Waffen?
B: Das hat mich eigentlich nicht interessiert. Ich hab mich für's Schrauben, fürs Rumfahren mit Autos interessiert.
Gö: Wer gehörte jetzt aus diesem Bereich von Leuten, die Sie kannten, zur rechten Szene?
B: Böhnhardt (rechte Kleidung), der Ingo (J.)…. (der Zeuge nennt jetzt noch ein paar andere Namen bzw. Spitznamen)
Gö: Enrico T.?
B: War immer normal gekleidet. Unscheinbarer Typ.
Gö: Kannten Sie denn später Uwe Mundlos?
B: Nä. Nie kennengelernt.
Gö: Frau Zschäpe?
B: Bin nicht sicher. Ich war nicht im Winzerclub. Ich kenn sie nicht.
Gö: Kennen sie Ralf Wohlleben?
B: Nein.
Gö: Sagt Ihnen der Name Madley's was (der Szeneladen in Jena, über den Ceska-Kauf gelaufen sein soll)?
B: Nein.
Gö: Haben Sie mal eine Waffe gehabt?
B: Nee.
Pause. Fortsetzung um 15:00 Uhr
(Holger Schmidt, SWR)
16.15 Uhr
Der bayerische Rechtspopulist und Islamgegner Michael Stürzenberger (Die Freiheit Bayern) ist am Nachmittag als Zuschauer gekommen.
16.35 Uhr
Fortsetzung der Befragung von Thomas B.
Rechtsanwältin Sturm (Verteidigung Zschäpe): Wie war das mit Alkohol in Ihrer Clique?
B: Wir haben alle getrunken, ich glaube, der Böhnhardt hat nichts getrunken.
Sturm: Wie war das bei Ihnen?
B: Ich habe extrem viel getrunken.
Sturm: Wann hat das angefangen?
B: 1989/1990, so mit 12, 13
Sturm: Menge?
B: Täglich sowieso, so zwischen 20-24 Bier und eine Flasche Schnaps
Sturm: Wie ging es weiter?
B: Zunächst gar nichts mehr getrunken, ein paar Jahre gar nicht mehr getrunken. Dann wieder angefangen, zuletzt wieder sehr große Mengen. Habe viele Sachen verdrängt, bis zur Aussage 2012, da ist das wieder alles hochgekommen, wieder Unfall gebaut, wieder getrunken.
Rechtsanwältin Basay (Nebenklage Simsek) hält Vermerk aus der Vernehmung von B. bei der Polizei vor. Dort sagte B., er habe Angst.
Basay: Wovor genau haben Sie Angst?
B: Teilweise vor der rechten Szene, die mich mehr oder weniger gejagt hat, teilweise auch die Linken, weil ich mich mit Rechten abgegeben habe. Die Angstzustände, die ich als 12, 13jähriger hatte, kamen wieder hoch, teilweise Verfolgungswahn, bis heute.
Rechtsanwalt Hedrich (Verteidigung André E.): Klinikaufenthalt nur wegen Alkohol?
B: Nein wegen Spätschäden nach dem Unfall.
Hedrich: Nehmen sie derzeit Medikamente?
B: Nein.
Vernehmung ist wenig später beendet und der Verhandlungstag vorüber.
Hinweis
Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.