NSU-Prozess


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Reportertagebuch 180. Verhandlungstag Ein Tag der Abgründe und Absurditäten

Ein Bewohner der Kölner Keupstraße, der den Nagelbombenanschlag überlebte, wurde unwissentlich zum Nebenkläger. Das berichtete er im heutigen Prozesstag. Eine BKA-Beamtin berichtete ihrerseits von zynischen Wetten unter dem NSU-Trio.

Stand: 29.01.2015 | Archiv

Eckhart Querner | Bild: BR

29 Januar

Donnerstag, 29. Januar 2015

Die Kommissarin berichtet detailliert über verschiedene Ordner und Dateien auf der DVD, die die Mitglieder des NSU-Trios angelegt hatten. "Killer", "Mein Kampf", "Reiseplanung", darin eine Auflistung von möglichen Anschlagszielen in Deutschland: Moscheen, Synagogen, Parteizentralen, außerdem Adressen und Kontaktdaten von Banken und Waffengeschäften. Die mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe werden für zehn Morde, zwei Bombenanschläge und zahlreiche Banküberfälle verantwortlich gemacht. Die Beamtin findet in den Dateien allein in Köln 109 Adressen.

Zynismus pur

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR zum Artikel 180. Verhandlungstag, 29.01.2015 Der Datenordner "Killer"

Am 180. Verhandlungstag im NSU-Verfahren vor dem Münchner Oberlandesgericht ging es noch einmal um Ziele, die von den Rechtsterroristen ins Visier genommen worden waren. Konkrete Anhaltspunkte lieferte dabei eine Liste, die nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt aufgefunden worden war. [mehr]

Auf der DVD auch Dateien mit zwei DinA3-Papieren. Zu sehen sind sogenannte Wettvereinbarungen zwischen „Böhni“ (Uwe Böhnhardt) und „Liese“ (Beate Zschäpe). Die Verabredung: Am 1. Mai (wahrscheinlich 2005) will „Böhni“ 85 kg Körpergewicht erreichen, „Liese“ will „strandtaugliche 62 kg“ erreichen. Wie sollte das gehen? Durch das Putzen bestimmter Wohnräume, durch das Schneiden von Videoclips. Richter Götzl liest aus den Wettvereinbarungen vor: „Sollten wir beide versagen, werden wir gemeinsam die Wohnung putzen.“ Zynischer geht es kaum: fit werden für die nächsten Anschläge, Überfälle und Morde.

Ohne Wissen zum Nebekläger

Dann die beiden Zeugen aus der Kölner Keupstraße. Der 62-jährige technischer Angestellte Franz Peter S. aus Köln und seine 78-jährige Schwiegermutter. Sie haben Glück gehabt, blieben bei der Explosion der Nagelbombe im Stadtteil Mülheim unverletzt. Merkwürdig: Ein Frankfurter Rechtsanwalt, Ferhan Tikbas, nimmt Kontakt mit dem Zeugen auf, will ihn und die Schwiegermutter anwaltlich vertreten, möchte, dass sie im Münchener Prozess als Nebenkläger auftreten.

S. lehnt ab, vier Wochen später erfährt er vom Oberlandesgericht München, dass er Nebenkläger sei. Eine Vollmacht hat S. aber nie unterschrieben. Er ruft Tikbas an. Der erklärt ihm zur Rechtfertigung, er habe immer noch gehofft, S. würde ihm die Vollmacht noch zusenden. Richter Götzl fragt den Zeugen: Würden Sie Herrn Tikbas vorsorglich von seiner Schweigepflicht entbinden? Die Antwort: Ja. - Götzl wird dem nachgehen, so viel ist klar.


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