199. Verhandlungstag, 22.04.2015 Das Versagen der Verfassungsschützer
Die Sicherheitsbehörden haben im Zusammenhang mit dem NSU oft versagt. So versandeten wichtige Informationen. Das zeigte erneut die Aussage eines Verfassungsschützers vor dem Oberlandesgericht München. Von Eckart Querner.
22. April
Mittwoch, 22. April 2015
Gordian Meyer-Plath ist ein Meister des geschliffenen Wortes und Liebhaber des komplizierten Satzbaus. An etliche Sachverhalte aus dem Jahr 1998, zu denen er heute als Zeuge im NSU-Prozess befragt wird, erinnert sich der studierte Philologe nicht, sagen tut er das lieber etwas umständlich und altbacken: "Das ist mir nicht erinnerlich."
Ein äußerst penibler Mann
Meyer-Plath, 46 Jahre alt und Präsident des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz, ist ein äußerst penibler Mann. Jedes Mal, wenn er an den Richter-Tisch gerufen wird, um Fotos oder Textausschnitte zu begutachten, schiebt er nach dem Aufstehen seinen Stuhl unter den Zeugentisch. Als wenn er nicht wieder kommen wolle.
Vielleicht wäre es dem Landesamt-Chef auch am liebsten, das Versagen der Sicherheitsbehörden nicht noch einmal offen legen zu müssen. Bereits im Jahr 2013 musste er vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags zu seiner Tätigkeit als ehemaliger V-Mann aussagen. Meyer-Plath war 1998 beim Landesamt für Verfassungsschutz in Brandenburg einer der zwei V-Mann-Führer von Carsten S., genannt Piatto. Im August 1998 berichtete dieser Piatto dem Dienst, ein hochrangiges Mitglied von Blood & Honour aus Chemnitz sei beauftragt worden, dem untergetauchten NSU-Trio eine Waffe zu besorgen.
Information versandete im Landesamt
Eine höchst brisante Information - doch sie versandete irgendwo im Landesamt, weder Meyer-Plath selbst noch andere Mitarbeiter der Behörde leiteten die Aussage an die Polizei weiter. Die fahndete damals bereits nach dem Zwickauer NSU-Trio. Im Bundestags-Untersuchungsausschuss räumte Meyer-Plath bereits eigene Fehler ein: "Ich war damals ein Frischling." War es ein Versehen? Oder Schlamperei – aus Sicht vieler Vertreter der Nebenklage ist das ein krasser Fall von "System"- oder "Strukturversagen".
Und so ist es auch kein Zufall, dass heute Morgen vor dem Oberlandesgericht München eine Handvoll Demonstranten mit großen Pappschildern steht. Im NSU-Verfahren haben sie den heutigen 199. Verhandlungstag zum "Verfassungsschutztag" ausgerufen, denn auch der zweite Zeuge, der heute befragt werden soll, ist Geheimdienstmitarbeiter. Dieser habe seinen V-Mann, den NSU-Unterstützer Marcel D. sogar gedeckt, als dieser vor Gericht gelogen habe, lautet der Vorwurf der Demonstranten von "Blackbox Verfassungsschutz". Aus ihrer Sicht sind beide Zeugen des heutigen Verhandlungstages Schuldige, die "auf die Anklagebank" gehören.
Über den Umgang mit V-Leuten
Heute plauderte Meyer-Plath auch aus dem Nähkästchen der V-Mann-Führer. Bei den Treffen mit seiner Quelle Carsten S. habe dieser über das Untertauchen des Trios geredet, "also über Dinge, die uns [beim Landesamt] gar nicht bekannt waren." Es sei nicht nur um extremistische Themen gegangen, sondern zum Beispiel auch um Fußball, eine "professionelle, entspannte Atmosphäre", wie Meyer-Plath sie beschreibt. Und dann kommt ein merkwürdiger Satz, den Prozessbeobachter nicht verstehen: "Den Menschen Carsten S. – ich habe ihn 38 oder 39 Mal getroffen – dazu kann ich mir kein Bild machen." Irgendwie nicht vorstellbar, dass man sich nach so vielen Treffen angeblich kein Bild von seinem Gegenüber machen kann.
Als die Befragung zu Ende ist, steht Meyer-Plath auf und bevor er den Saal verlässt, schiebt er den Stuhl noch akkurater unter den Zeugentisch als zuvor. So akkurat hat das Landesamt für Verfassungsschutz in Brandenburg nicht funktioniert.